Kernrezeptor
Synonyme: nukleärer Rezeptor, ligandenaktivierter Transkriptionsfaktor, nukleärer Hormonrezeptor
Englisch: nuclear receptor
Definition
Kernrezeptoren sind Rezeptoren in Form intrazellulärer Proteine, die als ligandenaktivierte Transkriptionsfaktoren fungieren. Typische Liganden sind lipophile Hormone, die systemisch oder lokal wirken.
Liganden
Kernrezeptoren binden u.a. folgende Liganden:
Biochemie
Basismechanismus
Nachdem die lipophilen Liganden durch die Zellmembran gelangt sind, binden sie an die passenden Kernrezeptoren, die entweder im Zytosol oder im Zellkern lokalisiert sind. Durch die Bindung kommt es zu einer Konformationsänderung des Rezeptors. Die Konformationsänderung löst eine Reaktionskaskade aus, als deren Ergebnis der Kernrezeptor an DNA-Abschnitte bindet, die der Transkriptionskontrolle dienen. Die Bindungsstellen bezeichnet man als hormonresponsive Elemente (HREs). Abhängig von bestimmten Cofaktoren, kommt es dadurch zu einer Steigerung oder Hemmung der Transkription bestimmter Gene. Die meisten Kernrezeptoren bilden im Rahmen dieser Abläufe Dimere, einige sind jedoch auch als Monomere wirksam.
Aufgrund des Zeitanspruchs für die Transkription und die anschließende Translation, setzt die Hormonwirkung nicht sofort, sondern erst mit einer Verzögerung von ca. 1-2 Stunden ein. Lipophile Hormone sind daher in der Regel für Prozesse zuständig, die nicht zeitkritisch sind.
Struktur
Damit Kernrezeptoren ihre Funktion ausführen können, müssen sie bestimmte strukturelle Voraussetzungen erfüllen. Typischerweise gliedert sich der Aufbau von Kernrezeptoren in folgende Abschnitte bzw. Domänen:
- A/B-Domäne : N-terminale Domäne (NTD)
- C-Domäne: DNA-bindende Domäne (DBD)
- D-Domäne: Hinge-Region
- E-Domäne: Liganden-bindende Domäne (LBD)
- F-Domäne: C-terminale Domäne (CTD)
N-terminale-Domäne
Die NTD enthält die ligandenunabhängige Aktivierungsdomäne Activation function-1 (AF-1). Sie ist eine intrinsisch ungeordnete Region, die für die Interaktion mit Cofaktoren und die Stabilität des Rezeptors verantwortlich ist. Die NTD weist viele posttranslationale Modifikationen (PTMs) auf.
DNA-bindende Domäne
Die DBD enthält zwei charakteristische Zinkfingermotive, die ein Zinkion über vier konservierte Cysteinreste binden. Sie bildet zwei senkrecht zueinanderstehende α-Helices. Die erste Helix liegt zwischen den beiden Zinkfingermotiven und ist für die Bindung an die hormonresponsiven Elemente (HREs) der DNA verantwortlich. Der verantwortliche Bereich wird als P-Box bezeichnet. Die zweite Helix stabilisiert diese Bindung durch unspezifische Interaktion mit dem Rückgrat der DNA. Sie enthält zudem die D-Box, die bei einigen Kernrezeptoren an der Dimerisierung beteiligt ist.
Hinge-Region
Die Hinge-Region (engl. für Gelenk) ist ein flexibler Bereich, der unterschiedliche Ausrichtungen der DBD und LBD zueinander ermöglicht und somit die Dimerisierung und DNA-Bindung unterstützen kann. Zudem weist die Hinge-Region eine hohe Variabilität zwischen den verschiedenen Kernrezeptoren auf und trägt somit vermutlich zu den zell- und genspezifischen Funktionen der Rezeptoren bei. Sie vermittelt die Bindung weitere Cofaktoren und integriert durch PTMs weitere zelluläre Signale.
Liganden-bindende Domäne
Die LBD besteht aus 11 bis 13 α-Helices, die zum Teil antiparallel angeordnet sind und sich gegenseitig flankieren. Dieser Aufbau wird als "sandwich fold" bezeichnet und ist in allen Kernrezeptoren nahezu gleich. Durch die Bindung des Liganden bzw. Agonisten an der Domäne kommt es zu einer Konformationsänderung, die zur Repositionierung der C-terminalen Helix (H12) führt. Diese enthält die ligandenabhängige Aktivierungsdomäne Activation function-2 (AF-2). Die Position von H12 reguliert die Bindung von Coaktivatoren und Corepressoren. Des Weiteren befindet sich der primäre Dimerisierungsbereich innerhalb der LBD.
C-terminale Domäne
Die CTD unterscheidet sich stark zwischen den verschiedenen Kernrezeptoren. Ihr wird keine generelle Funktion zugewiesen.
Konservierung
Hohe Konservierung weisen nur die DBD und LBD auf, die anderen Bereiche variieren stark zwischen den verschiedenen Kernrezeptoren.
Dimerisierung
Der Großteil der Kernrezeptoren bindet die DNA als Dimer. Dabei kommen sowohl Homo- als auch Heterodimere vor. Die Dimerisierung wird vorwiegend durch die LBD vermittelt, aber auch andere Bereiche wie z.B. die Hinge-Region können an der Dimerisierung beteiligt sein.
Coaktivatoren und Corepressoren
Der Effekt der Kernrezeptoren auf die Expression der Zielgene wird durch die assoziierten Coregulatoren mitbestimmt. Abhängig von der Konformation der LBD können entweder Coaktivatoren oder Corepressoren binden. Diese vermitteln die Interaktion mit weiteren Faktoren und steuern über die Acetylierung bzw. Deacetylierung der Histone die Transkriptionseffizienz.
Klassifikation
Die Kernrezeptoren können hinsichtlich ihres Wirkmechanismus oder ihrer Homologie klassifiziert werden.
… nach Mechanismus
Die Einteilung in drei Klassen basiert auf der Organisation der HRE und den Dimerisierungseigenschaften:
- Klasse I: Diese Kernrezeptoren binden als Homodimere an palindromische Hexanukleotid-Repeats, die durch 3 Basenpaare separiert sind. Klasse-I-Kernrezeptoren liegen i.d.R. im Zytoplasma an Hitzeschockproteine (HSPs) gebunden vor. Die Bindung des Liganden führt zur Konformationsänderung, die in der Dissoziation vom HSP und der Translokation in den Zellkern resultiert. Beispiele sind Steroidrezeptoren wie Östrogen-, Androgen- oder Progesteronrezeptoren.
- Klasse II: Klasse-II-Kernrezeptoren binden als obligate Heterodimere mit dem Retinoid-X-Rezeptor (RXR) an zwei Hexanukleotid-Repeats, die 1 bis 5 Basenpaare auseinander liegen. Die unterschiedliche Anzahl an Spacer-Nukleotiden ist dabei entscheidend für die Spezifität. Rezeptoren der Klasse II befinden sich meist im Zellkern, wo sie mit Corepressoren assoziiert sind. Durch Bindung des Liganden wird der Corepressor verdrängt und stattdessen können Coaktivatoren binden. Die Klasse-II-Rezeptoren fungieren als Sensoren, die abhängig vom metabolischen Status der Zelle bestimmte Gene aktivieren. Beispiele sind Schilddrüsenhormonrezeptoren, Retinsäurerezeptoren, Vitamin-D-Rezeptoren sowie Peroxisom-Proliferator-aktivierte Rezeptoren und Leber-X-Rezeptoren.
- Klasse III: Kernrezeptoren dieser Klasse befinden sich meist im Zellkern und können als Monomer oder Dimer an die DNA binden. Beispiele sind die Östrogen-ähnliche-Rezeptoren, Sterogenoider-Faktor-1 und Rev-ErbA.
… nach Homologie
Die humanen Kernrezeptoren sind nach ihrer Homologie in 7 Unterfamilien eingeteilt:
- Unterfamilie 1: Thyroidhormonrezeptor-ähnliche
- Unterfamilie 2: Retinoid-X-Rezeptor-ähnliche
- Unterfamilie 3: Östrogenrezeptor-ähnliche
- Unterfamilie 4: Nervenwachstumsfaktor IB-ähnliche
- Unterfamilie 5: Steroidogener-Faktor-ähnliche
- Unterfamilie 6: Keimzell-Kernfaktor-ähnliche
- Unterfamilie 0: Verschiedene
Diese werden in weitere Untergruppen aufgeteilt.
Thyroidhormonrezeptor-ähnliche
- Gruppe A: Schilddrüsenhormonrezeptoren (Ligand: Schilddrüsenhormone)
- Schilddrüsenhormonrezeptor-α (THRA)
- Schilddrüsenhormonrezeptor-β (THRB)
- Gruppe B: Retinsäurerezeptoren (RAR) (Ligand: Vitamin A)
- Retinsäurerezeptor-α (RARA)
- Retinsäurerezeptor-β (RARB)
- Retinsäurerezeptor-γ (RARG)
- Gruppe C: Peroxisom-Proliferator-aktivierte Rezeptoren (PPAR) (Ligand: Fettsäuren, Prostaglandine)
- Gruppe D: Rev-ErbA (Ligand: Häm)
- Gruppe F: RAR-verwandte Orphanrezeptoren (Ligand: Cholesterin)
- Gruppe H: Leber-X-Rezeptor-ähnliche (Ligand: Oxysterol)
- Leber-X-Rezeptor-β (NR1H2)
- Leber-X-Rezeptor-α (NR1H3)
- Farnesoid-X-Rezeptor (NR1H4) (Ligand: Gallensäure)
- Gruppe I: Vitamin-D-Rezeptor-ähnliche (Ligand: Vitamin D)
- Vitamin-D-Rezeptor (VDR)
- Pregnan-X-Rezeptor (NR1I2)
- konstitutiver Androstan-Rezeptor (NR1I3)
Retinoid-X-Rezeptoren-ähnliche
- Gruppe A: Hepatozyten-Kernfaktor-4 (Ligand: Fettsäuren)
- Hepatozyten-Kernfaktor-4-α (HNF4A)
- Hepatozyten-Kernfaktor-4-γ (HNF4G)
- Gruppe B: Retinoid-X-Rezeptoren (Ligand: Retinoide, 9‐Cis-Retinsäure)
- Retinoid-X-Rezeptor-α (RXRA)
- Retinoid-X-Rezeptor-β (RXRB)
- Retinoid-X-Rezeptor-γ (RXRG)
- Gruppe C: Hodenrezeptoren
- Hodenrezeptor-2 (NR2C1)
- Hodenrezeptor-4 (NR2C2)
- Gruppe E: TLX/PNR
- Protein-Tailless-Homolog (NR2E1)
- Photorezeptor-spezifischer Kernrezeptor (NR2E3)
- Gruppe F: COUP/EAR
- COUP-Transkriptionsfaktor 1 (NR2F1)
- COUP-Transkriptionsfaktor 2 (NR2F2)
- V-erbA-verwandtes Protein (NR2F6)
Östrogenrezeptor-ähnliche
- Gruppe A: Östrogenrezeptor (ER) (Hormon: Östrogene)
- Östrogenrezeptor-α (ESR1)
- Östrogenrezeptor-β (ESR2)
- Gruppe B: Östrogen-ähnliche Rezeptoren (ERR)
- Östrogen-ähnlicher Rezeptor-α (ESRRA)
- Östrogen-ähnlicher Rezeptor-β (ESRRB)
- Östrogen-ähnlicher Rezeptor-γ (ESRRG)
- Gruppe C: 3-Ketosteroidrezeptoren
- Glukokortikoidrezeptor (NR3C1) (Ligand: Cortisol)
- Mineralokortikoidrezeptor (NR3C2) (Ligand: Aldosteron)
- Progesteronrezeptor (PGR) (Ligand: Progesteron)
- Androgenrezeptor (AR) (Ligand: Testosteron)
Nervenwachstumsfaktor IB-ähnliche
- Gruppe A: NGFIB/NURR1/NOR1
- Nervenwachstumsfaktor IB (NR4A1)
- Kernrezeptor-verwandtes Protein 1 (NR4A2)
- Neuronen-abgeleiteter Orphanrezeptor 1 (NR4A3)
Steroidogener-Faktor-ähnliche
- Gruppe A: SF1/LRH1 (Ligand: Phosphatidylinositol)
- Steroidogener-Faktor 1 (NR5A1)
- Leberrezeptor-Homolog 1 (NR5A2)
Keimzell-Kernfaktor-ähnliche
- Gruppe A: GCNF
- Keimzell-Kernfaktor (NR6A1)
Verschiedene
- Gruppe B: DAX/SHP
- Kernrezeptor DAX-1 (NR0B1)
- Orphan-Kernrezeptor SHP (NR0B2)
Quellen
- Weikum et al. The nuclear receptor superfamily: A structural perspective Protein Sci 2018
- Aagaard et al. Molecular basis for gene-specific transactivation by nuclear receptors Biochim Biophys Acta 2011
Literatur
- "Duale Reihe Biochemie" - Joachim Rassow et. al., Thieme-Verlag, 3. Auflage