Fettembolie-Syndrom
Englisch: fat embolism syndrome
Definition
Beim Fettembolie-Syndrom, kurz FES, handelt es sich um die systemische Manifestation einer Fettembolie in der Mikrozirkulation. Das FES tritt vor allem als Komplikation bei der Fraktur langer Röhrenknochen auf und ist durch die Trias aus Atemnot, neurologischen Symptomen und Petechien gekennzeichnet.
Epidemiologie
Da keine einheitlichen diagnostischen Kriterien für das FES existieren, variieren die Angaben zur Prävalenz stark. Bei rund 1 bis 2 % der Frakturen großer Röhrenknochen tritt das FES als Komplikation auf.
Ätiologie
Fettembolien werden meist durch Traumata induziert. Hierzu zählen Frakturen (z.B. Femurschaftfraktur) oder Operationen der großen Gelenke (z.B. endoprothetischer Gelenkersatz). Seltener haben Fettembolien auch nicht-traumatische Ursachen, z.B.:
- Sichelzellanämie
- akute und chronische Pankreatitis
- Fettleber (Steatosis hepatis)
- Osteonekrose
- prolongierte Therapie mit Glukokortikoiden
- i.v.-Gabe instabiler Fettemulsionen
- Fettabsaugung
- Stammzelltransplantation
Pathophysiologie
Der Übertritt von Fettpartikeln in die Mikrozirkulation führt zu einer Schädigung des Kapillarbettes. Dabei ist am häufigsten das respiratorische System betroffen, aber auch das Gehirn, die Haut, die Augen und das Herz können beeinträchtigt sein.
Pathophysiologisch sind zwei Theorien beschrieben: die mechanische und die biochemische Theorie.
Mechanische Theorie
Die mechanische Theorie erklärt vor allem das trauma-bedingte FES. Im Zuge des Traumas gelangt Knochenmark direkt in das venöse System. Durch die Erhöhung des intramedullären Drucks werden Fettpartikel daraufhin über geschädigte Venolen und venöse Sinusoide freigesetzt, was letztendlich zu einer Obstruktion des Kapillarbetts führt.
Das Vorliegen eines persistierenden Foramen ovale (PFO) kann die Verteilung der Fettpartikel begünstigen und den Zustand somit verschlimmern.
Biochemische Theorie
Das auslösende Ereignis (traumatisch oder nicht-traumatisch) induziert hormonelle Veränderungen im Körper, die zur Freisetzung von freien Fettsäuren und Chylomikronen führen. Ebenfalls kommt es zum Anstieg von Akute-Phase-Proteinen wie CRP und zur Ausschüttung von proinflammatorischen Zytokinen (z.B. TNF-alpha). Das CRP bedingt die Agglutination der Fettpartikel und löst somit die Obstruktion aus. Zudem führen sowohl die freien Fettsäuren als auch die inflammatorischen Zytokine zu einer Schädigung des Kapillarbetts.
Klinik
Das FES manfestiert sich in der Regel 24 bis 72 Stunden nach dem Auslöser.
Mögliche klinische Befunde sind:
- respiratorische Insuffizienz mit Zeichen einer Lungenarterienembolie (Dyspnoe, Tachypnoe, Hypoxämie, arterielle Hypotonie)
- Neurologische Defizite (Vigilanzminderung bis hin zu Verwirrtheit)
- petechiales Exanthem
- Gesichtsfeldausfälle, Purtscher-Retinopathie
- Fieber
Die charakteristische Trias aus Dyspnoe, neurologischen Defiziten und petechialem Exanthem wird auch als Bergman-Trias bezeichnet.
Diagnostik
Die Diagnose eines FES ist schwierig, da die Anzeichen und Symptome häufig nur sehr vage und unspezifisch sind und zudem keine einheitlichen diagnostischen Kriterien existieren. Zu den möglichen Laborbefunden zählen:
- Blutbild: Anämie und Thrombozytopenie
- C-reaktives Protein ↑
- Gerinnung: Koagulopathien (z.B. DIC)
- Urin: Lipidurie (selten)
Diagnostische Kriterien
... nach Gurd und Wilson
Nach Gurd und Wilson (1970 und 1974) wurde die Erfüllung von zwei Hauptkriterien ("major criteria") oder wenigstens eines Hauptkriteriums sowie vier ungeordneter Kriterien ("minor criteria") zur Diagnose eines FES vorgeschlagen:
- Hauptkriterien:
- Petechien
- respiratorische Insuffizienz
- zerebrale Beteiligung bei Patienten ohne Kopfverletzung
- ungeordnete Kriterien:
- Fieber (> 38,5 °C)
- Tachykardie (> 110 bpm)
- Beteiligung der Netzhaut
- Ikterus
- renale Anzeichen
- Anämie
- Thrombozytopenie
- hohe Erythrozytensedimentationsrate
- Fett-Makroglobulinämie
... nach Schoenfeld
Nach den Schoenfeld-Kriterien werden verschiedene Symptome mit Punkten versehen und aufsummiert. Ein kumulativer Score über 5 ist erforderlich für die Diagnose:
Symptome | Punktanzahl |
---|---|
Petechien | 5 |
diffuse Infiltrate im Röntgenbild | 4 |
Hypoxämie | 3 |
Fieber | 1 |
Tachykardie | 1 |
Verwirrungszustände | 1 |
Differentialdiagnosen
Therapie
Zur Zeit (2022) existiert keine spezifische Therapie für das FES. In der Regel erfolgt eine unterstützende Behandlung, deren Hauptziel die Versorgung der Endorgane mit ausreichendem Sauerstoff ist.
Quellen
- UpToDate -Fat embolism syndrome, abgerufen am 18.08.2022
- Kwiatt und Seamon Fat embolism syndrome, Int J Crit Illn Inj Sci. 2013
- Adeyinka und Pierre Fat Embolism Statpearls, 2022