Embryonale Ohrentwicklung
Definition
Die embryonale Ohrentwicklung ist ein Prozess während der Embryogenese, bei dem das Außenohr, das Mittelohr und das Innenohr entstehen.
Embryologie
Außenohr
Der äußere Gehörgang entwickelt sich in der 4. Embryonalwoche aus dem Mittelabschnitt der 1. Kiemenfurche. Um diese spaltförmige Einsenkung entstehen nach einer Woche in den angrenzenden Arealen des 1. und 2. Kiemenbogens je 3 mesenchymale Wülste, die Ohrhöcker (Tubercula auriculae). Diese umkreisen die Kiemenfurche in einem dorsal geschlossenen Bogen. Durch Proliferation des Mesenchyms verlängert sich die Wand des äußeren Gehörgangs nach außen zum primären Gehörgang, aus dem später der knorpelige Abschnitt (Pars cartilaginea) wird.
Anfang des 3. Monats verschmelzen die Tubercula zum hinteren und vorderen Abschnitt der Ohrfalte. Dabei entstehen ca. zwei Drittel der Ohrmuschel aus dem Mesenchym des 2. Kiemenbogens. Im unteren Abschnitt zwischen dem ersten Tuberculum, das sich zum Tragus entwickelt, und dem 6. Tuberculum, das zum Antitragus wird, verbleiben Derivate der 1. Kiemenfurche als Incisura intertragica.
Der spätere knöcherne Abschnitt des äußeren Gehörgangs entstehen durch einen komplizierten Prozess: Zwischen Epidermis des primären Gehörgangs und dem Epithel der 1. Kiementasche besteht zunächst ein direkter Kontakt. Durch einwachsendes Mesenchym werden beide Epithelien getrennt. Dann proliferiert das Gehörgangsepithel zur Gehörgangsplatte (Lamina epithelialis meatus acustici externi) und wächst zur seitlichen Wand der sich entwickelnden Paukenhöhle vor. Dadurch entsteht der lange epitheliale Gehörstrang (Chorda epithelialis meatus acustici externi). Im 7. Monat unterliegen die zentralen Epithelmassen einer Apoptose. Somit entsteht das Lumen des sekundären Gehörgangs. Der Gehörgang setzt sich aus der lateralen Pars cartilaginea und der medialen Pars ossea zusammen.
Mittelohr
Die Ohrtrompete (Tuba auditiva) und die Paukenhöhle (Cavitas tympani) entwickeln sich aus der 1. Kiementasche, die als Recessus tubotympanicus nach lateral in Richtung auf die 1. Kiemenfurche vorwächst. Der Recessus wird im Bereich der späteren Paukenhöhle von Mesenchym umgeben, aus dem die knorpeligen Gehörknöchelchenanlagen entstehen. Dann wandelt sich das Mesenchym in peritympanales Gallertgewebe um, in dem die Anlagen der drei Gehörknöchelchen eingelagert sind.
Hammer- und Ambossanlage entwickeln sich aus dem Meckel-Knorpel des 1. Kiemenbogens, die Steigbügelanlage aus dem Reichert-Knorpel des 2. Kiemenbogens. Zwischen Hammer und Amboss entsteht ein Gelenkspalt, die Articulatio incudomallearis, der dem primären Kiefergelenk von Knorpelfischen entspricht.
Das Gallertgewebe wird resorbiert, sodass sich der Recessus über die Anlagen der Gehörknöchelchen in Richtung Mastoid ausdehnt und alle Strukturen mit Schleimhaut überzieht. Durch gekröseartige Falten bleibt die Schleimhaut mit der Paukenhöhlenwand verbunden. Aus den Falten entstehen die Bänder der Gehörknöchelchen (Ligamenta ossiculorum auditus) und die Schleimhautfalten (Plicae tunicae mucosae). Weiteres Vorwachsen der Schleimhaut führt zur Entstehung von Aditus ad antrum und Antrum mastoideum. Postnatal wächst die Schleimhaut weiter in das Mastoid und Felsenbein vor und formt die Cellulae mastoideae und petrosae.
Innenohr
Die Entstehung des Innenohrs beginnt mit der ektodermalen Ohrplakode (Placoda otica) über dem dorsolateralen Rhombencephalon am Ende der 3. Embryonalwoche. Eine Woche später sinkt die Ohrplakode zur Ohrgrube (Fovea otica) ein und bildet dann die Ohrblase (Vesicula otica). Aus der Ohrblase differenziert sich das häutige Labyrinth (Labyrinthus membranaceaus). Zuerst entsteht dorsomedial ein schlauchförmiges Divertikel (Diverticulum endolymphaticum), die Anlage von Ductus und Saccus endolymphaticus. Die restliche Ohrblase wird unterteilt in:
- ventralen Saccus cochlearis
- dorsalen Saccus vestibularis
Der Saccus vestibularis wird in drei senkrecht aufeinander stehende scheibenförmige Bogengangsanlagen abgeflacht. Die zentralen Wandanteile der Scheiben verkleben zu einem zweischichtigen Epithel, das dann einschichtig verschmilzt und durch fokale Apoptosezonen aufgelöst wird. Zuletzt persistieren nur noch die peripheren Teile, die zu den Bogengängen (Ductus semicirculares) werden.
Die Bogengänge münden in den unteren Teil des Saccus vestibularis, der sich zum Utriculus entwickelt. Während der Bildung der Bogengänge entsteht eine Mesenchymfalte (Plica utriculosaccularis), die die Verbindung zwischen Saccus vestibularis und cochlearis zum Ductus utriculosaccularis einengt. Hier wird auch der Endabschnitt des Ductus endolymphaticus einbezogen und in Ductus utricularis und Ductus saccularis untergliedert.
Der Saccus cochlearis wird unterteilt in einen oberen Abschnitt, den Sacculus, und einen unteren Abschnitt, den Ductus cochlearis. Der Ductus cochlearis verlängert sich und rollt sich schneckenartig ein. Die Verbindung zwischen Sacculus und Ductus wächst langsamer und wird zum engen Ductus reuniens.
Aus dem initial einschichtigen Epithel der Ohrblase und ihrer Derivate wandern Zellen aus, die sich zu Ganglienzellen des Ganglion vestibulare und cochleare differenzieren. An den Stellen, in denen die Nervenfasern einwachsen, verdickt sich das Epithel, sodass Macula sacculi, Macula utriculi und die drei Cristae ampullares entstehen. Im Ductus cochlearis entsteht das Organum spirale (Corti-Organ). Gegen Ende des 2. Monats haben sich somit bereits die wesentlichen Teile des häutigen Labyrinths entwickelt.
Das Mesenchym um die Ohrblase verknorpelt. In der 10. Woche entsteht zwischen Knorpelkapsel und Ductus cochlearis entlang der Anlage des Organum spirale ein Flüssigkeitsraum, die Scala tympani. Ende des 4. Monats entwickelt sich ein ähnlicher Raum auf der gegenüberliegenden Seite des Ductus cochlearis, die Scala vestibuli. An der Spitze der Cochlea (Helicotrema) gehen Scala tympani und vestibuli ineinander über. Die Wand zwischen Ductus cochlearis und Scala vestibuli wird als Membrana vestibularis bezeichnet, die Wand zur Scala tympani als Membrana basilaris. Auf letzterer differenziert sich das Corti-Organ mit den Haarzellen und der Membrana tectoria.
Die Bildung der Korpelkapsel beginnt um den 30. Tag. Am 50. Tag verschmilzt sie mit dem Knorpel der Basalplatte. An folgenden 3 Abschnitten unterbleibt die Verknorpelung:
Das Foramen perilymphaticum kommuniziert mit dem Subarachnoidalraum und wird ab der 10. Woche durch ein knorpeliges Septum (Processus recessus) in die Fenestra vestibuli und den Recessus scalae tympani untergliedert. Aus diesem geht der Canaliculus cochlea mit dem Aquaeductus cochleae hervor.
Zwischen Ohrkapsel und membranösem Labyrinth entwickelt sich ab dem 57. Tag ein trabekulär geformtes Mesenchym. Dieser Spaltraum wird zum Perilymphraum (Spatium perilymphaticum), wobei die trabekuläre Struktur im Bereich der Bogengänge und des Utriculus zeitlebens erhalten bleibt.
Die Verknöcherung der Labyrinthkapsel beginnt ab der 16. Woche mit vielen individuellen Knochenkernen, die bis zur 21. Woche entstehen. In der 23. Woche sind die 3 Schichten der knöchernen Labyrinthwand ausgebildet:
- Innenschicht: Geflechtknochen
- Mittelschicht: verkalkter Knorpel mit Knochenperlen (Globuli interossei)
- Außenschicht: Geflechtknochen
Ab dem 2. Lebensjahr folgt stellenweise ein Umbau zu Lamellenknochen. In der Mittelschicht finden zeitlebens fokale Ossifikationsprozesse statt.
Klinik
Bei Störungen der Verschmelzung der Ohrhöcker können im Bereich der Ohrmuschel kleine Fistelgänge mit zystischen Erweiterungen bestehen bleiben. Eine bakterielle Besiedlung der Ohrfisteln führt zu präotischen Abszessen.
Überzählige Ohrhöckerchen führen zu rundliche Hautanhängsel, den sogenannten Aurikularanhängen, die als Derivate der 1. Kiemenfurche präaurikulär bis zum Mundwinkel vorkommen können.
Bei übermäßiger Ossifikation in der Mittelschicht der Labyrinthwand können die Fenestrae vestibuli und tympani mit einbezogen werden (Otosklerose).
um diese Funktion zu nutzen.