Denervationssyndrom der Schulter
Synonyme: Denervierungssyndrom der Schulter, Denervationssyndrom der Rotatorenmanschette
Englisch: denervation syndrome of the shoulder, rotator cuff denervation syndrome
Definition
Als Denervationssyndrome der Schulter werden pathologische Zustände zusammengefasst, bei denen eine Störung der motorischen Nerven zu einem Denervationsödem der Rotatorenmanschette und/oder des Musculus deltoideus führt.
Anatomie
- Der Nervus suprascapularis innerviert die Musculi supraspinatus und infraspinatus.
- Der Nervus axillaris innerviert die Musculi teres minor (C5) und deltoideus (C5 und C6).
- Die Nervi subscapulares innervieren den Musculus subscapularis.
Ursachen
Man unterscheidet mehrere Denervationssyndrome der Schulter, unter anderem:
- neuralgische Schulteramyotrophie (Parsonage-Turner-Syndrom)
- Quadrilateral-Space-Syndrom
- Idiopathische Teres-Minor-Atrophie
- Incisura-Scapulae-Syndrom
Dabei können meist verschiedene Ursachen zu den Syndromen führen:
Neuralgische Schulteramyotrophie
Die genaue Ursache der neuralgischen Schulteramyotrophie ist derzeit (2023) unklar. Möglicherweise handelt es sich um eine autoimmun-getriggerte Neuritis des Plexus brachialis nach Virusinfektionen oder Impfungen.
Fibröse Bänder
Fibröse Bänder können zu verschiedenen Erkrankungen führen:
- Kompression des Nervus axillaris (Quadrilateral-Space-Syndrom)
- Kompression des Nervus suprascapularis durch hypertrophiertes oder kalzifiziertes Ligamentum transversum scapulae superius an der Incisura scapulae (Incisura-Scapulae-Syndrom) oder Ligamentum transversum scapulae inferius an der Incisura spinoglenoidalis
- Faszienschlinge um den Musculus teres minor (idiopathische Teres-minor-Atrophie bei jüngeren Patienten)
Paralabrale Zysten
Paralabrale Zysten entstehen meist nach Labrumläsionen. Am häufigsten sind sie an der Incisura spinoglenoidalis lokalisiert, wo sie zu einer Kompression des Nervus suprascapularis führen können. Dabei sind nur die Muskeläste für den Musculus infraspinatus betroffen.
Große paralabrale Zysten können sich bis zur Incisura scapulae ausdehnen. Die Kompression des Nervus suprascapularis betrifft dann die Äste der Musculi infraspinatus und supraspinatus.
Selten sind die Zysten inferior lokalisiert, wo sie eine Kompression des Nervus axillaris (Quadrilateral-Space-Syndrom) bedingen. Dabei sind die Musculi teres minor und deltoideus betroffen.
Traktionsverletzung von Nerven
Dehnung bzw. Traktion von Nerven können nach vorheriger Schultergelenkluxation oder Humeruskopffraktur auftreten. Dabei ist insbesondere der Nervus axillaris betroffen. Weitere Ursachen sind:
- vorherige Schulteroperation: Der den Musculus teres minor betreffende Muskelast des Nervus axillaris befindet sich in topographischer Nähe zur inferioren Gelenkkapsel und kann leicht verletzt werden.
- chronische Irritation oder Traktion des Nervus suprascapularis oder Nervus axillaris bei Überkopf- und Wurfsportarten
- Verletzungen des Plexus brachialis
Bei älteren Patienten mit idiopathischer Teres-minor-Atrophie liegen meist eine degenerative Arthropathie sowie Rotatorenmanschettenrupturen vor, die zu einer Dezentrierung des Humerus mit Irritation des entsprechenden Muskelastes führen.
Weitere Ursachen
Auch eine zervikale Radikulopathie, Verletzungen des Rückenmarks sowie Raumforderungen am Plexus brachialis (insbesondere Metastasen bei Mammakarzinom) können zu einer Denervation führen.
Pathophysiologie
Die Nervenkompression führt zu einer Erhöhung des Extrazellulärvolumens und des kapillären Blutvolumens im Muskel. Weiterhin findet sich eine Neurapraxie.
Klinik
Neuralgische Schulteramyotrophie
Bei der neuralgischen Schulteramyotrophie sind in der Regel der Nervus suprascapularis bzw. die Musculi supra- und infraspinatus betroffen. Bei zwei Drittel der Patienten zeigt sich auch eine Beteiligung des Musculus deltoideus. Es treten meist plötzliche Schulterschmerzen auf, gefolgt von einer Parese in Abduktion und Außenrotation. In ca. 20 % der Fälle wird ein bilaterales Auftreten beobachtet.
Quadrilateral-Space-Syndrom
Beim Quadrilateral-Space-Syndrom liegt eine Kompression des Nervus axillaris im Quadrilateral Space vor. Betroffen sind der Musculus teres minor und/oder der Musculus deltoideus. Es finden sich Schmerzen und Parästhesien, die bei Flexion, Abduktion und Außenrotation verstärkt werden.
Idiopathische Teres-minor-Atrophie
Die idiopathische Teres-minor-Atrophie zeigt sich mit einer Schwäche in Abduktion und Außenrotation (Hornblower-Zeichen). Bei Adduktionsstellung ist die Außenrotation nur gering geschwächt. Werden Schulterschmerzen beklagt, haben diese meist eine andere Ursache.
Diagnostik
Denervationssyndrome werden in der Regel durch eine Anamnese und eine körperliche Untersuchung diagnostiziert. Zusätzlich können bildgebende Verfahren eingesetzt werden.
Bildgebung
In der MRT der Schulter finden sich je nach Erkrankungsverlauf verschiedene Befunde:
- hyperakute Denervation (< 1 Woche): normales Muskelsignal
- akute bis subakute Denervation (1 Woche bis mehrere Monate): intramuskuläres Denervationsödem mit diffus erhöhtem T2w-Signal.
- chronische Denervation (> mehrere Monate): Muskelatrophie, zum Teil mit fettiger Infiltration (erhöhtes T1w-Signal).
Bei der idiopathischen Teres-Minor-Atrophie zeigt sich meist kein Muskelödem.
Differenzialdiagnosen
- Partialruptur der Rotatorenmanschette: kein Denervationsödem. Hohes T2w-Signal im Bereich des Sehnenteilrisses.
- transmurale Rotatorenmanschettenruptur: führt auch zu einer fettigen Muskelatrophie. Hohes T2w-Signal im Bereich der Ruptur, ggf. mit Sehnenretraktion.
- Muskelverletzungen: führen zu einem Muskelödem
- inflammatorische Myopathie: je nach Ursache erhöhte Entzündungsmarker und ggf. Autoantikörper
- subakromiales Schulterimpingement: hakenförmiges Akromion, subakromiale Osteophyten, Tendinopathie der Rotatorenmanschette
- Tendinosis calcarea: Ablagerung von Hydroxylapatit-Kristallen in der Supraspinatussehne
- Zervikale Bandscheibenherniation: kann ebenfalls mit Schulterschmerzen und Denervationsödemen einhergehen.
Literatur
- Ahlawat S et al. Spectrum of suprascapular nerve lesions: normal and abnormal neuromuscular imaging appearances on 3-T MR neurography, AJR Am J Roentgenol. 2015;204(3):589-601
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