Cumarin-Intoxikation (Hund)
Synonyme: Cumarin-Vergiftung, Cumarinderivat-Intoxikation
Definition
Cumarin-Intoxikationen sind eine häufige Form der Vergiftung (Intoxikation) beim Hund. In den meisten Fällen werden sie durch die perorale Aufnahme von Rodentiziden ausgelöst, die zu massiven Gerinnungsstörungen führen.
Chemie
Cumarin ist ein natürlicher Duftstoff, der einen ähnlichen Duft wie die Schoten der Vanillepflanze aufweist. Es kommt als Pflanzeninhaltsstoff in Cassiazimtsorten, Tonkabohnen, Waldmeister sowie in einigen Gras- und Kleearten vor. Aufgrund des angenehmen Geruchs wird Cumarin vielfach in Kosmetika eingemischt.
Synthetisch hergestellte Cumarin-Derivate kommen vorwiegend zur Nagerbekämpfung in Form von Rodentiziden zum Einsatz.
Pathophysiologie
Cumarin selbst weist nur eine geringe Toxizität auf. Erst bei hohen Dosen oder bei langandauernder Exposition konnten bei Hunden und anderen Säugetieren Leberschädigungen mit zentrolubulären Nekrosen festgestellt werden.
Im Gegensatz dazu wirken Dicumarol und synthetische Cumarin-Derivate gerinnungshemmend, indem sie die Reaktivierung von Vitamin K durch das Enzym Vitamin-K-Epoxidreduktase kompetitiv hemmen. Die Gerinnungsfaktoren II (Prothrombin), VII (Proconvertin), IX (Christmas-Faktor) und X (Stuart-Faktor) werden in der Leber in Form einer inaktiven Vorstufe synthetisiert. Im endoplasmatischen Retikulum wiederum werden diese Vorstufen durch Carboxylierung eines Glutaminsäureesters in die aktiven Faktoren überführt. Diese Carboxylierung ist jedoch mit der Oxidation des Kofaktors Vitamin K verbunden, sodass als Oxidationsprodukt Vitamin-K-Epoxidreduktase entsteht.
Durch Cumarin-Derivate fällt die posttranslationelle Carboxylierung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X aus. Infolge dessen kommt es nach dem Verbrauch der noch vorhandenen Gerinnungsfaktoren (etwa 3 bis 4 Tage später) zu einer Koagulopathie mit Ausbildung multipler Hämorrhagien.
Klinik
Die Wirkung und das klinische Bild von Cumarin-Derivaten hängt stark von ihrer Halbwertszeit und der Dosis ab. Während Cumarin-Derivate der 1. Generation (z.B. Warfarin) rasch inaktiviert werden (1 bis 6 Tage), bleiben Rodentizide der 2. Generation (z.B. Diphacinone, Brodifacoum, Bromadiolone) lange aktiv (2 bis 4 bzw. maximal auch 10 Wochen).
Etwa 3 bis 4 Tage nach der Aufnahme des Giftes entwickeln sich die ersten Symptome. Typisch sind anhaltende und schwere Blutungen, Hämatome nach leichten Verletzungen sowie spontan auftretende Körperhöhlen- (Hämothorax, Hämoabdomen), Lungen-, Gelenk- und/oder Magen-Darm-Blutungen. Je nach Schweregrad der Vergiftung stellt sich eine Anämie ein und es kommt zu regionalen Symptomen - abhängig von der Lokalisation der Blutung (z.B. Dyspnoe und Husten bei Hämothorax).
Bei Gehirnblutungen, akuter Blutung ins Perikard (Herztamponade) oder Hämothorax können akute Todesfälle beobachtet werden.
Differenzialdiagnosen
- kongenitale Koagulopathien
- DIC
- Thrombozytopenien oder Thrombozytopathien (v.a. bei Oberflächenblutungen)
- Traumata (z.B. Hämothorax)
- Neoplasien (z.B. rupturiertes Milzhämangiosarkom)
- Vasopathien
- hämorrhagische Gastroenteritis
Diagnose
Neben einer ausführlichen Anamnese und klinischen Untersuchung geben v.a. die typischen Laborwerte erste Hinweise auf eine Vergiftung mit Cumarin-Derivaten.
Sowohl PTZ als auch aPTT sind 1 bis 2 Tage nach der Giftaufnahme deutlich verlängert. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit des Faktors VII ist die PTZ in der Regel stärker verlängert als die aPTT. Die TZ hingegen befindet sich im Referenzbereich. Oftmals liegt gleichzeitig auch eine gering- bis mittelgradige Thrombozytopenie vor. Ein gleichzeitiger Abfall des Hämatokrits und der Plasmaproteine sind als Anzeichen schwerer Blutungen anzusehen.
In unklaren Fällen ist ein Rodentizidnachweis im Blut mittels Gaschromatographie möglich.
Therapie
Liegt die Rodentizid-Aufnahme erst wenige (< 4 Stunden) zurück, sollte zur Entgiftung ein Emetikum (Apomorphin 0,08 mg/kgKG s.c.) verabreicht werden. Bei Abklingen der Übelkeit ist zusätzlich Aktivkohle (Carbo medicinalis) einzugeben. Kann kein Erbrechen ausgelöst werden, ist eine Magenspülung indiziert.
Parallel dazu sollten bei schweren Blutungen die Gerinnungsfaktoren mithilfe von gefrorenem Plasma (FFP ca. 10 ml/kgKG) substituiert sowie bei gleichzeitiger Anämie auch Frischblut (ca. 20 ml/kgKG) verabreicht werden. Zusätzlich müssen sämtliche Maßnahmen zur Schocktherapie (kristalloide Lösungen, Sauerstoffzufuhr, Thorakozentese u.ä.) eingeleitet werden. Um die Gerinnungsfaktoren längerfristig stabilisieren zu können, ist eine Vitamin-K-Substitution notwendig. Hierbei kann folgendes Schema angewendet werden:
- initial: 4 bis 5 mg/kgKG i.v.
- anschließend: 2 mg/kgKG BID p.o. für einige Tage
- danach: 1 mg/kgKG BID p.o. für 2 bis 4 Wochen
Der Gerinnungsstatus ist regelmäßig zu überwachen, um den Behandlungserfolg kontrollieren zu können.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Prognose
Bei rechtzeitiger Intensivtherapie ist die Prognose gut. Schwere Thorax- oder Gehirnblutungen verkomplizieren den Verlauf und erschweren eine genaue Abschätzung der Prognose.
Quellen
- CliniPharm CliniTox. Coumarinderivate - Kleintier CliniTox Klinische Toxikologie (abgerufen am 29.09.2021)
- AGES - Österreichische Agentur für Ernährungssicherheit. Cumarin Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (abgerufen am 29.09.2021)
Literatur
- Niemand HG (Begr.). Suter PF, Kohn B, Schwarz G (Hrsg.). 2012. Praktikum der Hundeklinik. 11., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Enke-Verlag in MVS Medizinverlag Stuttgart GmbH & Co. KG. ISBN: 978-3-8304-1125-3