Tyrothricin
Handelsnamen: Tyrosur®, Dorithricin® u.a.
Englisch: tyrothricin
Definition
Als Tyrothricin wird ein Gemisch von Peptidantibiotika bezeichnet, die als Naturstoffe von dem Bakterium Bacillus brevis produziert werden.
Chemische Zusammensetzung
Als Tyrothricin wird ein Gemisch verschiedener zyklischer oder linearer Polypeptide bezeichnet, die aus jeweils zehn Aminosäuren aufgebaut sind (Dekapeptide). Hauptbestandteile sind Tyrocidine (Anteil bis 75 bis 80%) und Gramicidine (20 bis 25%). Tyrothricin liegt als weißer bis fast weißer, pulverartiger Feststoff vor und ist unlöslich in Wasser sowie löslich in Ethanol (96%) und Methanol. Gramicidine sind stärker lipophil als Tyrocidine und verhalten sich pH-neutral. Tyrocidine weisen hingegen eine stärkere Polarität auf und reagieren alkalisch.
Die wichtigsten Substanzen sind:
- Tyrocidine: zyklische Struktur, Dekapeptide, zwei variable Aminosäurereste
- Tyrocidin A: Summenformel C66H88N13O13, Molekülmasse 1.271 g/mol
- Tyrocidin B: Summenformel C68H89N14O13, Molekülmasse 1.311 g/mol
- Tyrocidin C: Summenformel C70H90N15O13, Molekülmasse 1.350 g/mol
- Tyrocidin D: Summenformel C72H91N16O12, Molekülmasse 1.373 g/mol
- Tyrocidin E: Summenformel C66H88N13O12, Molekülmasse 1.255 g/mol
- Gramicidin S: chemisch enger mit Tyrocidinen als Gramicidinen verwandt. Summenformel C60H92N12O10, Molekülmasse 1.141,44 g/mol. Zyklische Verbindung; zwei Moleküle Gramicidin S verbinden sich zu einer helikalen Struktur mit einem Kanal mit drei taschenartigen Erweiterungen im Inneren. Die taschenartigen Strukturen innerhalb des Kanals ermöglichen die Bindung von Natrium- und Kaliumionen.
- Gramicidine, vor allem A, B und C: lineare Struktur, Pentadecapeptide mit alternierenden (sich abwechselnden) D- und L-Aminosäuren
- Gramicidin A1: Summenformel C99H140N20O17, Molekülmasse 1.882 g/mol
- Gramicidin A2: Summenformel C100H142N20O17, Molekülmasse 1.896 g/mol
- Gramicidin C1: Summenformel C97H139N19O18, Molekülmasse 1.859 g/mol
- Gramicidin C2: Summenformel C98H141N19O18, Molekülmasse 1.873 g/mol
Bei Arzneimitteln, die Tyrothricine entsprechend der Monographie Tyrothricin Ph. Eur. enthalten, wird von einer Differenzierung der Einzelsubstanzen abgesehen. Die Deklaration erfolgt als "Tyrothricin".
Gewinnung
Die Gewinnung erfolgt aus Bacillus brevis-Kulturen im aeroben Submersverfahren. Dabei sind die Bakterienkulturen in der Kulturflüssigkeit eingetaucht. Rohtyrothricin wird durch Ansäuern (Senken des pH-Werts) ausgefällt, anschließend filtriert und mit Ethanol extrahiert. Mit Kochsalzlösung kann Tyrothricin hieraus ausgefällt werden.
Pharmakologie
Gramicidine und Tyrocidine sind oberflächenaktiv, als Angriffspunkt wurde die Zellmembran identifiziert. Gramicidin S liegt in der Zellmembran vermutlich im gleichen strukturellen Zustand vor, wie obig geschildert. Die Einbuchtungen im Inneren des Kanals der Gramicidinstrukturen nehmen Natrium- und Kaliumionen dabei nicht fest gebunden auf, sondern ermöglichen ein Durchwandern der Ionen durch den Kanal. Dieser auch als Ionophorese bezeichnete Effekt ist ungeordnet, Ionen strömen ungeregelt in Richtung des jeweiligen Konzentrations- und elektrochemischen Gradienten. Hieraus resultiert eine bakterizide Wirkung, unter anderem durch Störung der Membraneigenschaften, ggf. mit Zytolyse.
Gramicidine wirken gegen grampositive und gramnegative Bakterien, Tyrocidine in erster Linie gegen grampositive Bakterien. Es ist trotz langjähriger Anwendung keine starke Ausbildung von Antibiotikaresistenzen gegenüber Tyrothricin zu beobachten.
Pharmakokinetik
Tyrothricine sind bei peroraler Applikation nicht bioverfügbar. Bei topischer Applikation können die Wirkstoffe jedoch in den Blukreislauf gelangen, wenn die Haut bzw. Schleimhaut verletzt ist. In der Folge können systemische Effekte auftreten.
Toxikologie
Die toxische Wirkung der Tyrothricine ist unspezifisch. Das heißt, sie beschränkt sich nicht nur auf die Zellen des Krankheitserregers (in diesem Falle Bakterien, also Prokaryoten). Es werden auch die Zellen von Eukaryoten, einschließlich fungaler (von Pilzen stammend) und menschlicher Zellen, angegriffen. Bei Resorption in den Blutkreislauf sind systemisch vor allem Erythrozyten betroffen. Folglich kann es zu einer Hämolyse durch Zelltod von Erythrozyten kommen.
Indikation
Die Anwendung von Tyrothricin kann erfolgen bei:
- Infektionen am Auge (z.B. Konjunktivitis) in Form von Augentropfen und Augensalben, häufig in Kombination mit anderen Wirkstoffen. Hierbei werden in erster Linie Zubereitungen angewandt, die Gramicidine und keine Tyrocidine enthalten.
- Entzündungen der Schleimhäute des Rachens, die durch bakterielle Sekundärinfektionen im Zuge von Erkältungserkrankungen entstehen können. Die Anwendung erfolgt in Kombination mit anderen Wirkstoffen in Form von Lutschtabletten. Die Wirksamkeit des Tyrothricins ist hier umstritten, vermutlich werden keine effektiven Wirkstoffkonzentrationen bei dieser Anwendungsform erreicht.[1]
- Monopräparate werden zur antiinfektiösen Wundbehandlung, etwa Schürf- und Kratzwunden, eingesetzt. Hierfür stehen Cremes, Gele und Puder zur Verfügung.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Als Nebenwirkungen können auftreten:
- Hämolyse, Nephrotoxizität und Hepatotoxizität bei Resorption
- Überempfindlichkeitsreaktionen
Kontraindikationen
Die Anwendung kann kontraindiziert sein bei:
- frischen, offenen Verletzungen der betroffenen Haut- und Schleimhautpartien
- mangels gesicherter Erkenntnisse bzgl. Teratogenität und Übergang in die Muttermilch soll Tyrothricin nicht während der Schwangerschaft und Stillzeit angewandt werden
- Tyrothricin darf nicht systemisch angewandt werden, etwa durch gezielte parenterale Applikation
Einzelnachweise
- ↑ Scholz & Schwabe: Taschenbuch der Arzneibehandlung - Angewandte Pharmakologie, Springer Verlag, 13. Aufl.
Literatur
- Mutschler et al.: Mutschler Arzneimittelwirkungen, 8. Aufl, Wissenschaftl. Verlagsgesellschaft.
- Dingermann et al.: Pharmazeutische Biologie - Molekulare Grundlagen und klinische Anwendung, Springer Verlag, Frankfurt und München 2002.
- Europäisches Arzneibuch (Ph. Eur. 8), Arzneibuchmonographie Tyrothricin, 2014.
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