Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom
Synonym: Thrombose-Thrombozytopenie-Syndrom
Englisch: thrombosis with thrombocytopenia syndrome
1. Definition
Das Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom, kurz TTS, ist ein seltenes Krankheitsbild, das durch die Kombination aus einer Thrombozytopenie und Thrombosen charakterisiert ist.
2. Hintergrund
Das Syndrom wurde 2021 erstmalig im Zusammenhang mit den COVID-19-Impfstoffen AZD1222 und Ad26.COV2-S beschrieben. Von der Brighton Collaboration (BC) wurde diesbezüglich im Mai 2021 eine vorläufige Falldefinition publiziert.[1]
3. Einteilung
Nach der BC-Falldefinition müssen folgende Kriterien für das Vorliegen eines Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndroms erfüllt sein:
- neu aufgetretene Thrombozytopenie: < 150.000/µl
- Thrombose: arteriell oder venös
- Level 1:
- diagnostiziert per Bildgebung, pathologischer Untersuchung oder im Rahmen eines operativen Eingriffs (z.B. Thrombektomie)
- Level 2:
- klinische Anzeichen einer tiefen Beinvenenthrombose, Lungenarterienembolie, arteriellen Thrombose, eines Schlaganfalls oder eines Myokardinfarktes
- unterstützende labormedizinische (erhöhte D-Dimere) oder bildgebende Diagnostik (Röntgen-Thorax, Echokardiographie, native CT)
- Level 3:
- klinische Anzeichen einer Thrombose oder Thromboembolie
- Level 1:
Wurde innerhalb der letzten 100 Tage eine Heparintherapie durchgeführt, wird der Zusatz "H" ergänzt.
4. Epidemiologie
Das TTS tritt sehr selten als schwerwiegende Nebenwirkung der oben genannten Vektorimpfstoffe gegen COVID-19 auf. Eine Auswertung des Paul-Ehrlich-Institutes des Zeitraums vom 27.12.2020 bis zum 30.06.2021 ergab, dass in 42 % der in Deutschland berichteten Fälle Männer und in 58 % Frauen betroffen waren.[2]
5. Pathogenese
Das Erkrankungsmuster ähnelt dem der Heparin-induzierten Thrombozytopenie Typ II und wird auch als Vakzine-induzierte prothrombotische Immunthrombozytopenie (VIPIT) bezeichnet. Bei betroffenen Patienten konnte eine Assoziation mit erhöhten Antikörpertitern gegen den Plättchenfaktor-4 (PF4) mit einer konsekutiv verstärkten Thrombozytenaktivierung nachgewiesen werden. Daher nimmt man an, dass es durch die Impfung zu einer Immunstimulation mit Antikörperbildung gegen den Plättchenfaktor kommt. Spezifische Risikofaktoren sind bisher (08/2021) nicht bekannt.
Die Thrombosen treten charakteristischerweise an atypischen Lokalisationen auf, z.B. als Hirnvenen-, Milzvenen-, Lebervenen- oder Mesenterialvenenthrombose. Zudem kann es zu einer disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) kommen.
6. Klinik
Folgende Symptome, die wenige Tage bis drei Wochen nach der Impfung auftreten, können Anzeichen eines TTS sein:
- petechiale Blutungen außerhalb der Injektionsstelle
- abhängig von der Lokalisation der Thrombose:
- Dyspnoe, Thoraxschmerz
- Beinschmerzen, Beinumfangsvermehrung
- Abdominalschmerz, Übelkeit, Erbrechen
- starke Kopfschmerzen, verschwommenes Sehen, Krampfanfälle
7. Diagnostik
Die Diagnostik beinhaltet folgende Untersuchungen:
- klinisch: Thrombosezeichen?
- labormedizinisch:
- Blutbild
- Gerinnungsdiagnostik, PF4-Antikörper-Test (HIT-Screening), ggf. funktionelle Tests (HIPA-Test, Serotonin-Freisetzungs-Assay)
- bildgebend:
Wird im zeitlichen Zusammenhang (innerhalb von drei Wochen) mit einer vektorbasierten COVID-19-Impfung eine Thromboyztopenie festgestellt, sollte eine Untersuchung bezüglich einer Thrombose erfolgen. Auch umgekehrt ist eine Thrombozytopenie-Diagnostik im Falle von Thrombosen empfohlen. Ist jeweils nur ein Aspekt auffällig, kann unter Umständen auch ein frühes Stadium des TTS vorliegen.
8. Differentialdiagnosen
- autoimmune thrombotisch-thrombozytopenische Purpura (TTP)
- atypisches hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS)
- Antiphospholipid-Syndrom
- paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie
- maligne hämatologische Erkrankungen
9. Therapie
Die Therapie des Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndroms sollte unter Hinzunahme fachspezifischer hämatologischer und hämostaseologischer Expertise erfolgen. Eine einheitliche Behandlungsleitlinie liegt noch (08/2021) nicht vor, jedoch bestehen Empfehlungen von Fachgesellschaften:[3]
- Antikoagulation mittels Danaparoid, Argatroban, DOAKs, ggf. Fondaparinux
- eine Blutverdünnung mittels Heparin kann erfolgen, wenn eine Heparin-induzierte Thrombozytopenie sicher ausgeschlossen ist
- Unterbrechung der immunvermittelten prothrombotischen Prozesse mittels intravenösen Immunglobulinen (erst nach Abschluss der labormedizinischen Diagnostik)
10. Quellen
- ↑ Brighton Collaboration: https://brightoncollaboration.us/wp-content/uploads/2021/05/TTS-Interim-Case-Definition-v10.16.3-May-23-2021.pdf Updated Proposed Brighton Collaboration process for developing a standard case definition for study of new clinical syndrome X, as applied to Thrombosis with Thrombocytopenia Syndrome (TTS), 18.05.2021, abgerufen am 09.08.2021
- ↑ Paul-Ehrlich-Institut: Bericht über Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Impfkomplikationen nach Impfung zum Schutz vor COVID-19 (Berichtszeitraum 27.12. bis 30.06.2021) 15.07.2021, abgerufen am 09.08.2021
- ↑ Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e.V.: https://gth-online.org/wp-content/uploads/2021/04/GTH-Stellungnahme-AstraZeneca_4-1-2021.pdf Aktualisierte Stellungnahme der GTH zur Impfung mit dem AstraZeneca COVID-19 Vakzin, Stand 1. April 2021, abgerufen am 09.08.2021