Methylenblau
Handelsname: Methylthioniniumchlorid (Proveblue 5 mg/ml Injektionslösung)®
Synonym: Tetramethylthioninchlorid
Englisch: methylene blue
Definition
Methylenblau ist ein Derivat des Phenothiazins, das vor allem als Farbstoff in der mikroskopischen Diagnostik verwendet wird. Es wird außerdem als Vitalfarbstoff in der Chirurgie und als Antidot bei Vergiftungen mit Methämoglobinbildnern eingesetzt.
Chemie
Methylenblau hat die Summenformel C16H18ClN3S und eine molare Masse von 319,86 g·mol−1.
Eigenschaften
Methylenblau ist ein sogenannter basischer (kationischer) Farbstoff, der in wässriger Lösung dunkelblau erscheint.
Diagnostische Anwendung
... als Farbstoff
Methylenblau kommt vor allem als Farbstoff in der Mikroskopie zum Einsatz.
Vorgehen
Für die Färbung werden die Proben auf dem Objektträger zunächst luftgetrocknet und dann dreimal durch die Flamme eines Bunsenbrenners gezogen. Die Mikroorganismen werden dadurch inaktiviert; das Präparat ist somit fixiert. Die fixierten Objektträger werden dann gefärbt: alkoholische Methylenblau-Lösung wird mit Kalilauge verdünnt (Löffler-Methylenblau) und auf den Objektträger aufgebracht.
Charakteristik
In der monochromen Färbung mit Methylenblau erscheinen alle proteinhaltigen Strukturen dunkelblau. Die Zellkerne werden stark, das Zytoplasma nur schwach angefärbt. So können vor allem die Formen der Körperzellen und eventuell vorhandener Mikroorganismen beurteilt werden. Dies erlaubt eine rasche Orientierung als Grundlage weiterer Diagnostik.
Indikation
Methylenblau wird als Bestandteil der May-Grünwald-Färbung oder der Manson-Färbung vor allem zum Nachweis von Bakterien verwendet, insbesondere in der Gonorrhö-Diagnostik zum Nachweis von Neisseria gonorrhoeae.
Weiterhin lässt sich beispielsweise die graue Substanz im peripheren Nervensystem (PNS) gut mit Methylenblau anfärben.
Methylenblau kommt auch in der Molekularbiologie zum Einsatz, wo es zum Färben von DNA und RNA beim Northern Blot oder Southern Blot als weniger toxische Alternative zu Ethidiumbromid verwendet wird.
... als Vitalfarbstoff
Da Färbungen am lebenden Organismus möglich sind, zählt Methylenblau zu den Vitalfarbstoffen. Der Farbstoff wird vereinzelt in der Chirurgie zur Darstellung von Fisteln und der regionalen Lymphknoten eingesetzt (Off-Label-Use).[1] Dabei kann es zu einer grünen Verfärbung des Blutplasmas und des Urins des Patienten kommen.[2]
Kontraindikation
Eine intrathekale Applikation von Methylenblau ist kontraindiziert. Beim Kontakt mit Nervengewebe werden neurotoxische Wirkungen mit schwerwiegenden Folgen (Meningismus, Querschnittslähmung, Radikulopathie, Enzephalopathie) ausgelöst. Auch eine subkutane Anwendung ist kontraindiziert.[3][4]
Therapeutische Anwendung
... als Antidot bei Methämoglobinämie
Methylenblau wird bei toxischer oder medikamentös verursachter Methämoglobinämie als Antidot eingesetzt. Es beschleunigt die Umwandlung von Methämoglobin durch NADPH-abhängige Reduktion des Fe3+ der Hämgruppe zu Fe2+. Es kann als Antidot bei Vergiftungen durch folgende Methämoglobinbildner (MetHb > 30 %) verwendet werden:[3][5]
Bei genetisch bedingtem Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase-Mangel oder Vergiftungen mit Chloraten ist Methylenblau unwirksam.[6]
Dosierung
Empfohlen wird eine streng intravenöse Applikation von 1 bis 2 mg/kgKG über 5 Minuten. Die Wirkung sollte innerhalb von 30 Minuten eintreten. Wenn der MetHb-Spiegel erneut ansteigt, kann die Applikation einmalig mit der gleichen Dosis nach einer Stunde wiederholt werden. Unter der Injektion kommt es zu einer blauen Verfärbung der Haut und der Schleimhäute des Patienten.[6]
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
... bei refraktärem Schock
Methylenblau ist ein Inhibitor der Guanylatcyclase, der die Bildung von zyklischem Guanosinmonophosphat (cGMP) und die Freisetzung von Stickstoffmonoxid (NO) hemmt. Durch die Unterdrückung einer überschießenden NO-Wirkung kann die Hämodynamik bei distributiven Schockformen in Verbindung mit Sepsis, Herzrhythmusstörungen, Anaphylaxie und Vergiftungen stabilisiert werden. Die klinische Evidenz für eine routinemäßige Verabreichung von Methylenblau beim refraktären pharmakologisch induzierten Schock ist bisher (2024) nicht ausreichend belegt.[7]
Dosierung
Eine streng intravenöse Applikation von 1 bis 2 mg/kgKG über 5 Minuten wird empfohlen. Bei Vergiftungen mit Amlodipin kann sich eine Infusion von 1 mg/kgKG/h anschließen.[8]
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Kontraindikation
Methylenblau ist ebenfalls ein potenter Inhibitor der Monoaminooxidase A (MAO-A) und partieller Inhibitor der Monoaminooxidase B (MAO-B). In Kombination mit Pharmaka, welche die Serotonin-Wiederaufnahme hemmen (SSRI), kann bei der Anwendung von Methylenblau ein Serotoninsyndrom ausgelöst werden. Die gleichzeitige Anwendung ist deshalb kontraindiziert.[9]
... bei Enzephalopathie durch Ifosfamid
Methylenblau kann prophylaktisch und therapeutisch eingesetzt werden, um eine durch die Behandlung mit Ifosfamid verursachte Enzephalopathie zu verhindern bzw. zu behandeln.[10][11]
Dosierung
- Prophylaxe: orale oder langsame intravenöse Applikation von 50 mg über 5 Minuten alle 6 bis 8 Stunden, solange der Patient mit Ifosfamid behandelt wird
- Therapie: intravenöse Applikation von 50 mg über 5 Minuten alle 4 bis 6 Stunden bis zum Abklingen der Symptome[8]
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Quellen
- ↑ Implantatentfernung nach Osteosynthese. Leitlinien Unfallchirurgie. AWMF-Nr. 012-004, abgerufen am 11.01.2024
- ↑ Xu B, Wang X. Green Dialysis Effluent and Plasma. New Engl J Med 2024 - Fallbericht mit Abb.
- ↑ 3,0 3,1 Methylthioniniumchlorid Proveblue 5 mg/ml Injektionslösung. Fachinformation, abgerufen am 11.01.2024
- ↑ Steiner HH, Steiner-Milz HG. Schwere Komplikationen nach intrathekaler Applikation von Methylenblau-Lösung. Laryng Rhinol Otol 1986
- ↑ Florian Eyer, Christian Rabe in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für klinische Toxikologie (GfKT). Antidotarium. Rote Liste, abgerufen am 09.01.2024
- ↑ 6,0 6,1 Heinemeyer G, Fabian U. Der Vergiftungs- und Drogennotfall. 3. Aufl., Berlin, Wiesbaden 1997
- ↑ Warrick BJ et al. A systematic analysis of methylene blue for drug-induced shock. Clin Tox 2016
- ↑ 8,0 8,1 Olson K, Smollin CG (eds.) Poisoning and drug overdose. 8th ed., New York et al. : McGraw Hill 2022
- ↑ Ng BK, Cameron AJ. The role of methylene blue in serotonin syndrome: a systematic review. Psychosomatics. 2010
- ↑ Turner AR et al. Methylene blue for the treatment and prophylaxis of ifosfamide-induced encephalopathy. Clin Oncol (R Coll Radiol). 2003
- ↑ Pelgrims J et al. Methylene blue in the treatment and prevention of ifosfamide-induced encephalopathy: report of 12 cases and a review of the literature. Br J Cancer. 2000
Weblink
- Bistas E, Sanghavi DK. Methylene Blue. [Updated 2023 Jun 26]. In: StatPearls Internet 2024, abgerufen am 25.03.2024