Interventionelle Radiologie
Definition
Die interventionelle Radiologie, kurz IR, ist ein Teilgebiet der Radiologie, das minimalinvasive Diagnose- und Therapieverfahren unter bildgebender Kontrolle umfasst. Im Gegensatz zur diagnostischen Radiologie, die primär der Erkennung von Erkrankungen dient, fokussiert sich die interventionelle Radiologie auf aktive Behandlungsmaßnahmen mithilfe bildgebender Techniken wie Ultraschall, Computertomographie (CT), Magnetresonanztomographie (MRT) und Angiographie.
Geschichte
Die Grundlagen der interventionellen Radiologie wurden in den 1920er Jahren mit der Einführung der Angiographie gelegt, bei der Blutgefäße durch Injektion von Kontrastmittel visualisiert werden konnten. 1953 entwickelte der schwedische Radiologen Sven-Ivar Seldinger die nach ihm benannte Seldinger-Technik, die bis heute (2025) die grundlegende Methode zur Katheterisierung von Gefäßen mittels einer Führungssonde darstellt.
Der amerikanische Radiologe Charles T. Dotter gilt als der "Vater der interventionellen Radiologie". Er führte 1964 die erste perkutane transluminale Angioplastie (PTA) durch, indem er einen verengten arteriellen Abschnitt mittels Kathetertechnik erweiterte. Die Arbeiten des deutschen Kardiologen Andreas R. Grüntzig führten in den 1970er Jahren zur Entwicklung des Ballonkatheters, der vor allem zur Behandlung koronarer Herzerkrankungen eingesetzt wurde. Dieses Verfahren wurde später auch auf andere Gefäßregionen ausgeweitet. In den 1970er Jahren wurden die ersten Embolisationstechniken zur Behandlung von arteriovenösen Malformationen oder Tumoren eingeführt.
Mit der Verbreitung der Computertomographie und des Ultraschalls in den 1980er Jahren konnten zunehmend bildgesteuerte Eingriffe durchgeführt werden. Diese Techniken revolutionierten die Behandlung von Abszessen, Tumoren und vaskulären Pathologien.
In den letzten Jahrzehnten entwickelte sich die interventionelle Radiologie weiter und führte hochkomplexe Verfahren zur Behandlung einer Vielzahl an Erkrankungen ein, z.B. die transjuguläre intrahepatische portosystemische Shunt-Anlage (TIPS), die Radiofrequenzablation (RFA) und die transarterielle Chemoembolisation (TACE) sowie die Thrombektomie bei ischämischem Schlaganfall.
Die interventionelle Radiologie entwickelt sich kontinuierlich weiter und integriert fortschrittliche Technologien wie die interventionelle Magnetresonanztomographie (iMRT), die eine strahlungsfreie Bildgebung ermöglicht. Zudem werden zunehmend roboterassistierte Verfahren und künstliche Intelligenz eingebunden. Mit einem stetig wachsenden Spektrum an Anwendungen und einer engen Verzahnung mit anderen medizinischen Fachdisziplinen ist die interventionelle Radiologie heute ein unverzichtbarer Bestandteil der modernen, personalisierten Medizin.
Eingriffe
Es gibt eine Vielzahl an interventionell-radiologischen Eingriffen, beispielsweise:
Vaskuläre Interventionen
- Angioplastie und Stent-Implantation: Erweiterung von verengten oder verschlossenen Gefäßen (z.B. Koronararterien, Nierenarterie oder Arteria carotis interna)
- Thrombektomie und Thrombolyse: Entfernung oder Auflösung von Blutgerinnseln, insbesondere bei akuten Schlaganfällen, Lungenembolien oder tiefen Venenthrombosen
- Embolisation: Gezielter Verschluss von Blutgefäßen zur Behandlung von Tumoren, Blutungen oder Gefäßfehlbildungen sowie zur Schmerztherapie, z.B. Uterusarterienembolisation bei Uterusmyomen, Prostataembolisation (PAE) bei benigner Prostatahyperplasie, Tumorembolisation bei HCC, Transarterielle periartikuläre Embolisation (TAPE). Als Embolisate werden dabei zum Beispiel Gelatine-Partikel, Metallspiralen oder Polymerkügelchen verwendet.
- Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPS): bei portaler Hypertension
- Aortenstent und endovaskuläre Aneurysmareparatur (EVAR): Behandlung von Aortenaneurysmen mittels Stentgraft
- Cavafilter: Ein in der unteren Hohlvene platzierter Metallfilter, um eine eventuell in den Beinen entstandene Venenthrombose nicht in die Lunge (Lungenembolieprophylaxe) oder in das Herz (Herzinfarktprophylaxe) gelangen zu lassen. Solche Cavafilter können unter Umständen permanent in der Vena cava inferior belassen werden.
Onkologische Interventionen
- Transarterielle Chemoembolisation (TACE): Lokale Behandlung von Lebertumoren durch Gabe von Embolisaten und Chemotherapeutika (Chemoembolisation)
- Radiofrequenzablation (RFA), Mikrowellenablation (MWA): Lokale Zerstörung von Tumorgewebe durch Hitze nach bildgesteuertem Einbringen von Sonden in den Tumor
- Kryoablation: Lokale Zerstörung von Tumorgewebe durch extreme Kälte (flüssiger Stickstoff, Argongas) nach bildgesteuertem Einbringen von Sonden in den Tumor
- Selektive interne Radiotherapie (SIRT): Lokale Behandlung von Lebertumoren mit radioaktiven Mikrosphären.
Hepatobiliäre Interventionen
- Gallenwegsdrainage und Stent-Implantation: Temporäre Drainagen oder permanente Stents zur Ableitung von Galle bei Obstruktionen der Gallengänge.
- Perkutane transhepatische Cholangiographie (PTC): Diagnostik und Therapie von Gallengangsverschlüssen
Perkutane Interventionen
- Perkutane Biopsie: Bildgestützte Gewebeentnahme aus dem menschlichen Körper
- Drainagenanlage: Ableitung von aufgestauter Flüssigkeit (z.B. bei Abszess)
- periradikuläre und Facettengelenktherapie: Lokale Einbringung von Analgetika (Schmerzmittel) und Glukokortikoiden
- Perkutane Neurolyse des Sympathikus (Sympathikolyse): insbesondere zur Behandlung bei fortgeschrittener pAVK.
- Perkutane Neurolyse des Plexus coeliacus: zur Behandlung chronischer viszeraler Schmerzen
- Vertebroplastie, Kyphoplastie: Einbringung von Knochenzement zur Stabilisierung bzw. Reparatur beschädigter Wirbelkörper
Weitere Interventionen
- Gastrostomie: Anlage von Ernährungskathetern in den Magen (oder Dünndarm)
- Anlage eines Portkatheters
- Lymphangiographie
- Dakryozystoplastie: bei Tränenwegstenosen
- Renale Denervation: bei therapierefraktärer arterieller Hypertonie