Hidradenitis suppurativa
Synonyme: Acne inversa, Akne inversa, Aknetriade, Acne tetrade, Morbus Verneuil, Pyodermia fistulans sinifica
Englisch: hidradenitis suppurativa, acne inversa, Verneuil's disease
Definition
Die Hidradenitis suppurativa, kurz HS, ist eine rezidivierende, schubförmig und oft chronisch-progredient verlaufende Hauterkrankung, der eine schmerzhafte Entzündung der Talgdrüsen und äußeren Wurzelscheiden der Terminalhaarfollikel zugrunde liegt. Sie kann zu ausgedehnten Vernarbungen sowie zu sterilen Abszessen mit Fistelbildung und/oder bakteriellen Infektionen führen.
- ICD10-Code: L73.2
Nomenklatur
Der Begriff "Hidradenitis suppurativa" ist nach aktueller Ansicht (2023) irreführend, da die Erkrankung nicht von den Schweißdrüsen, sondern von den Talgdrüsen und den Haarfollikeln ausgeht. Die Entzündung der Schweißdrüsen erfolgt sekundär. Da der synonym genutzte Begriff "Acne inversa" jedoch hinsichtlich der Pathogenese ebenfalls inkorrekt ist, wird hier der insgesamt geläufigere Terminus "Hidradenitis suppurativa" verwendet.
Epidemiologie
Die Daten zur Verbreitung der Erkrankung sind mit einer hohen Unsicherheit belegt, da aufgrund falscher Diagnosestellung und falscher Weitergabe des ICD-Codes mit einer hohen Dunkelziffer zu rechnen ist. Man geht von einer Inzidenz von ca. 10 Fällen/100.000/Jahr und einer Prävalenz von 1 bis 4 % in Industrieländern aus.[1] Für Deutschland gibt es bisher nur die Veröffentlichung der Deutschen Interessengemeinschaft Akne inversa e.V., die ca. 2 Millionen Erkrankte annimmt. Diese Angabe basiert jedoch auf einer Schätzung und dürfte fehlerhaft sein.
Die Hidradenitis suppurativa tritt meist erst in der Pubertät oder im jungen Erwachsenenalter auf. Sie hat mit 20 und 40 Jahren eine zweigipflige Häufigkeit.[1] Ein früherer Beginn ist in der Literatur nur in 2 bis 5 % der Fälle beschrieben. Auch nach der Menopause ist sehr selten mit einem Ausbruch der Erkrankung zu rechnen.
Die Erkrankung betrifft beide Geschlechter, wobei sie bei Männern häufiger perianal sowie perigenital auftritt, bei Frauen eher axillär. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer.[1]
Ätiologie
Die Ätiologie der Erkrankung ist nicht vollständig geklärt. Genetische Faktoren spielen eine Rolle, da die Erkrankung familiär gehäuft auftritt. Dabei scheint es sich um einen autosomal-dominanten Erbgang mit hoher Penetranz zu handeln. Der zugrunde liegende genetische Defekt soll sich in der Region 1p21.1–1q25.3 befinden[2] und Mutationen der Gamma-Sekretase betreffen.[3]
Darüber hinaus gibt eine Reihe von Faktoren, die den Krankheitsverlauf begünstigen bzw. zum Ausbruch der Krankheit führen:
- Rauchen
- Übergewicht
- Hyperhidrosis
- Hormonelle Einflüsse auf die Talgproduktion (Androgene)
- Immunologische Faktoren (TNF-α und Interleukin-17)
- Stress
Die Zusammensetzung der bakteriellen Besiedlung der Haut – insbesondere die Kolonisation mit Staphylococcus aureus – beeinflussen die Schwere des Krankheitsverlaufs. Die Hidradenitis suppurativa kann mit Autoimmunerkrankungen und metabolischen Störungen assoziiert sein.
Pathogenese
Ausgehend von einer Verhornungsstörung kommt es zur Anhäufung und Retention von Hornmaterial im Ausführungskanal der Talgdrüsen und im Bereich der Haarwurzel. Es kommt zu einer Entzündung von Talgdrüse und Haarwurzel mit eitriger Einschmelzung ihres Inhalts. Von hier aus kann sich die Entzündung im Gewebe ausbreiten und dabei benachbarte Schweißdrüsen einbeziehen. Dabei entstehen schmerzhafte Abszesse und Ulzerationen, die im späteren Verlauf eine Fistelbildung in Gang setzen. Die bakterielle Infektion ist jedoch nicht auslösend, sondern sekundär.
Ausschlaggebend für die Bevorzugung bestimmter Körperpartien (Perianalregion, Achseln) sind wahrscheinlich die günstigen Wachstumsbedingungen für Bakterien. Dazu zählen Faktoren wie hohe Hautfeuchtigkeit und -temperatur, sowie ein eher alkalischer pH-Wert der Haut.
Bei bakterieller Besiedlung findet man meist Staphylococcus aureus, Streptokokken (Streptococcus milleri, anaerobe Streptokokken) und Escherichia coli.
Symptomatik
Bei der Hidradenitis suppurativa finden sich einzelne oder gruppierte Entzündungsherde, die Schmerzen, Pruritus, Nässen und üblen Geruch verursachen, welche die Patienten im Alltag, aber auch nachts sehr belasten. Typisch sind weiche, sehr schmerzhafte, machmal gerötete und gering verschiebbare Knoten. Prädilektionsstellen sind die Axilla, die Perinealregion, die Genitalregion und der Kopf. Auch andere Feuchtgebiete des Integuments können befallen sein.
Die ca. 1 bis 3 cm breiten Knoten sind initial steril und können mit bakteriell bedingten Abszessen verwechselt werden. Sie sind meist mit seröser, blutig tingierter Flüssigkeit gefüllt, die sich nach einer tiefen Inzision als klebriger roter Ausfluss entleert.[1]
Einteilung
Nach der Schwere des Krankheitsbildes können nach Hurley drei Stadien unterschieden werden:
Stadium I
Auftreten von Riesenkomedonen. Einzelne oder multiple Läsionen ohne Vernarbung und Fistelbildung. Derbe, tastbare Knoten in der Haut. Verwechslung mit Acne conglobata oder Furunkeln möglich.
Stadium II
Rezidivierende Abszesse mit abgekapselten Eiteransammlungen und Fistelbildung, die einzeln oder multipel an verschiedenen Stellen auftreten. Auf manuellen Druck kann sich Talg, Eiter oder übelriechendes Sekret entleeren.
Stadium III
Diffuser, flächiger Befall einer Körperregion mit multiplen Abszessen, die zu großen Strängen zusammenfließen können. Zahlreiche, tief reichende und miteinander kommunizierende Fistelgänge – daneben narbigen Areale mit ausgebrannten Entzündungsherden.
Komplikationen
Bei komplizierten Verläufen entstehen Phlegmonen, die sich in der Subkutis ausbreiten.
Bei Einschwemmung von Bakterien aus den Entzündungsherden in venöse Blutgefäße besteht die Gefahr einer Sepsis mit Erregerausbreitung in andere Körperregionen. In seltenen Fällen kommt es zu einer malignen Entartung der Läsionen in Form eines Plattenepithelkarzinoms. Dabei ist fast ausschließlich der Genitoanalbereich betroffen.[4]
Die Auswirkungen der Erkrankung wie beispielsweise Schmerzen, Bewegungseinschränkungen oder auch psychische Instabilität können die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigen und zu einer Anerkennung einer sozialrechtlich anerkannten Behinderung führen.[5] Die Betroffenen haben durch die Auswirkungen der Erkrankung und die Stigmatisierung einen hohen psychosozialen Leidensdruck. Es kommt zu ausgedehnten beruflichen Fehlzeiten und Partnerschaftsproblemen, häufig auch zu Depressionen. Die Lebensqualität ist im Vergleich zu anderen Dermatosen deutlich erniedrigt.
Patienten mit einer Hidradenitis suppurativa haben ein erhöhtes Risiko, an einem Diabetes mellitus Typ II zu erkranken. Dabei weisen Patienten im Hurley-Stadium III insgesamt ein höheres Risiko auf als Patienten in früheren Hurley-Stadien.[6]
Diagnose
Die Diagnose wird klinisch gestellt. Diagnosekriterien sind:[1]
- gruppierte entzündliche Knoten mit Fistelbildung
- typische Lokalisation (axillär, inguinal, inframammär und perineal)
- chronisch-rezidivierender Verlauf mit Narbenbildung
Therapie
Die Therapie richtet sich nach dem Schweregrad der Erkrankung. Unabhängig von den einzelnen Stadien ist eine Therapie bzw. Reduktion aller bekannten auslösenden Faktoren (z.B. Rauchen, Übergewicht) der Erkrankung anzustreben.[1]
Stadium I
Im Stadium I erfolgt die Therapie mit einer, je nach Schweregrad, topischen und/oder systemischen Antibiotikagabe. Therapeutika der Wahl sind zum Beispiel Minocyclin oder Erythromycin, aber auch Amoxicillin und Doxycyclin. Sie dienen zum Schutz vor einer bakteriellen Besiedlung der kavernenartigen Räume im Subkutangewebe. Die Gabe erfolgt in der Regel in kurzen Therapieintervallen über mehrere Tage. Allerdings werden sehr häufig nach Beendigung der Therapie Rezidive beobachtet. Um die Entzündungsreaktion zu hemmen, kann in monatlichen Abständen eine intraläsionale Injektion von Glukokortikoiden erfolgen.
Als antibakterielle bzw. antiseptische Lokaltherapeutika werden z.B. verwendet:
- Clindamycin-haltige Lösungen
- Ichthyol 2,0, Ungt. molle, Pasta zinci mollis aa ad 100,0 g
- Ichthyol 2,5, Pasa zinci mollis ad 100,0 g
- Octenidin-haltige Lotionen
Stadium II
In Stadium II werden die o.a. systemischen Antibiotika über einen längeren Zeitraum verabreicht, meist über 2–3 Monate. Bei unzureichender Wirkung können zusätzlich Clindamycin (300 mg p.o. 2 x täglich) und/oder Rifampicin (600 mg p.o. 1 x täglich) eingesetzt werden. Bei Frauen ist ggf. die Gabe von Antiandrogenen (Cyproteronacetat, Finasterid, Spironolacton), Östrogenen bzw. Kontrazeptiva hilfreich.
Inzision und Drainage der Entzündungsherde können die Symptomatik lindern, sind aber – anders als bei gewöhnlichen Hautabszessen – nicht ausreichend zur Krankheitsbekämpfung. Bei akuten entzündlichen Läsionen, die nicht übermäßig tief sind, kann ein Punch-Débridement durchgeführt werden. Fistelgänge sollte man frei legen und exzidieren. Tiefere Läsionen müssen ggf. plastisch gedeckt werden.
Stadium III
Für Stadium III ist meist ein aggressiveres Vorgehen notwendig, wobei antiinflammatorische Biologika wie Infliximab, Etanercept, Adalimumab und Secukinumab eingesetzt werden.
Darüber hinaus kann eine orale systemische Therapie mit Acitretin erwogen werden. Eine systemische Therapie mit Isotretinoin wird nicht empfohlen.[7]
Oft ist eine weit ausgedehnte chirurgische Exzision mit anschließender Transplantatdeckung der betroffenen Bereiche erforderlich. Alternativ kann eine ablative Lasertherapie versucht werden.
Weblinks
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 Garg A, Naik HB, Kirby JS. A Practical Guide for Primary Care Providers on Timely Diagnosis and Comprehensive Care Strategies for Hidradenitis Suppurativa. Am J Med. 2023 Jan;136(1):42-53. doi: 10.1016/j.amjmed.2022.09.025. Epub 2022 Oct 14. PMID: 36252715.
- ↑ Min Gao et al.: Inversa Acne (Hidradenitis Suppurativa): A Case Report and Identification of the Locus at Chromosome 1p21.1–1q25.3; Journal of Investigative Dermatology (2006) 126, 1302–1306
- ↑ Wang Z, Yan Y, Wang B. γ-Secretase Genetics of Hidradenitis Suppurativa: A Systematic Literature Review. Dermatology. 2021;237(5):698-704. doi: 10.1159/000512455. Epub 2020 Dec 17. PMID: 33333507; PMCID: PMC8491499.
- ↑ Pschyrembel - Acne inversa, abgerufen am 06.09.2022
- ↑ AWMF-Leitlinie: Therapie der Hidradenitis suppurativa/Acne inversa (PDF) Stand 2012
- ↑ Rached et al. Screening for Diabetes Mellitus in Patients with Hidradenitis Suppurativa—A Monocentric Study in Germany. Int. J. Mol. Sci. 2023
- ↑ Leitlinie - Therapie der Hidradenitis suppurativa / Acne inversa, abgerufen am 18.04.2023