(S)-Milchsäure
Synonyme: L-Milchsäure, rechtsdrehende Milchsäure
Definition
Bei der (S)-Milchsäure handelt es sich um das rechtsdrehende Enantiomer der Milchsäure.
Chemie
Enantiomere
Milchsäure ist eine α-Hydroxycarbonsäure, die an ihrem α-Kohlenstoffatom ein Chiralitätszentrum aufweist. Milchsäure gibt es daher abhängig von der räumlichen Ausrichtung der Hydroxygruppe in zwei enantiomeren Formen:
- L-(+)-Milchsäure (rechtsdrehend), auch als (S)-Milchsäure bezeichnet
- D-(-)-Milchsäure (linksdrehend), auch als (R)-Milchsäure bezeichnet
(S)-Milchsäure ist das Enantiomer, das schneller und besser vom Menschen verstoffwechselt werden kann. Es handelt sich bei (S)-Milchsäure daher um das Eutomer, während man bei (R)-Milchsäure von dem Distomer spricht. Da Distomere in der Regel negative Effekte haben (z.B. geringere Wirksamkeit oder Nebenwirkungen), werden vorzugsweise Medikamente entwickelt, die nur das Eutomer enthalten. Deshalb wird alternativ zu racemischer Milchsäure, die zu gleichen Teilen aus beiden Enantiomeren besteht, auch enantiomerenreine (S)-Milchsäure in pharmazeutischen Zubereitungen eingesetzt.
Lactide
Milchsäure ist aufgrund ihrer Hydroxy- und Carboxylgruppe in der Lage, mit anderen Milchsäuremolekülen unter Wasserabspaltung zu verestern. Dabei entsteht Lactoylmilchsäure, ein Estolid (Ester aus strukturell gleichen Molekülen). Dieses kann wiederum unter Einwirkung von Katalysatoren wie Zinkoxid zu Polymilchsäure weiter verestern. Bei letzterer Reaktion spricht man von einer Ringöffnungspolymerisation. Polymilchsäure ist ein ausschließlich aus Milchsäureeinheiten aufgebauter Polyester und stellt daher ebenfalls ein Estolid dar.
Aus historischen Gründen werden Estolide der Milchsäure auch Lactide genannt. Lactide sind ihrerseits linksdrehend und könnten in ausreichend großer Anzahl sogar der enantiomerenreinen Milchsäure, die überwiegend rechtsdrehende (S)-Milchsäure enthält, in der Summe linksdrehende Eigenschaften verleihen. Für eine Untersuchung des Enantiomerengehaltes ist es somit unerlässlich, zunächst den verfälschenden Einfluss der Estolide zu eliminieren.
Vorkommen
Milchsäure entsteht beim Abbau von Laktose durch Milchsäurebakterien. Dabei kommt es auf die jeweilige Bakterienart an, ob diese linksdrehende (z.B. Lactobacillus bulgaricus), rechtsdrehende (Streptococcus- und Bifidobakterien) oder racemische Milchsäure (Lactobacillus acidophilus) erzeugt. (S)-Milchsäure kann zudem im Zuge der Milchsäuregärung auch im menschlichen Körper gebildet werden. Damit lässt sich die bessere Aufnahmefähigkeit der (S)-Milchsäure im Vergleich zu (R)-Milchsäure erklären. Aber auch (R)-Milchsäure kann zum großen Teil verstoffwechselt werden und stellt daher kein gesundheitliches Risiko dar. Lediglich bei Säuglingen im ersten Lebensjahr sollte auf die Gabe von linksdrehender Milchsäure verzichtet werden, da sie diese noch nicht abbauen können.
Analyse
Um gemäß Europäischem Arzneibuch (Ph. Eur.) als enantiomerenreine Milchsäure zu gelten, muss eine Analysenprobe (analog zur racemischen Milchsäure) einen Gehalt zwischen 88 und 92 % (m/m) Milchsäure aufweisen, die darüber hinaus aus mindestens 95 % (S)-Milchsäure bestehen muss.
Zunächst muss eine alkalische Esterhydrolyse der Lactide bzw. Polymilchsäuren durchgeführt werden, wodurch die Estolide wieder in die ursprünglichen Milchsäure-Moleküle gespalten werden. Für die Gehaltsbestimmung von enantiomerenreiner (S)-Milchsäure sieht das Ph. Eur. danach eine Titration vor, identisch zum Vorgehen bei racemischer Milchsäure. Liegt der Gehalt zwischen den geforderten 88 und 92 %, wird über ein polarimetrisches Verfahren der Gehalt an (S)-Milchsäure ermittelt.
Anwendungsgebiete
Milchsäure wirkt azidifizierend und verschiebt daher den pH-Wert eines Milieus in den sauren Bereich. So kann beispielsweise bei äußerlicher Behandlung einer Kolpitis (Vaginitis) der pH-Wert an der betroffenen Stelle so weit gesenkt werden, dass die krankmachenden Erreger nicht weiter wachsen können. Bei einer Konzentration von 1 bis 2 % freier Milchsäure kann ein antiseptischer Effekt beobachtet werden, während bei einer Konzentration von 0,5 % bereits ein ausreichend bakteriostatischer Effekt eintritt.
Auch Hauterkrankungen können durch topische oder orale Applikation von Milchsäure therapiert werden. Bei einer unsachgemäßen Anwendung mit zu hohen Konzentrationen können als Folge Hautreizungen oder schwere Augenschäden auftreten.