Milchsäure
Synonyme: Acidum lacticum, 2-Hydroxypropionsäure
Englisch: lactic acid
Definition
Milchsäure ist der Trivialname für eine organische Säure, deren chemische Bezeichnung 2-Hydroxypropansäure ist. Die Salze oder Ester der Milchsäure bezeichnet man als Laktate.
Eigenschaften
Milchsäure ist eine Hydroxycarbonsäure, die sowohl eine Carboxygruppe als auch eine Hydroxygruppe enthält. Das Racemat liegt bei Raumtemperatur als farblose, nahezu geruchlose, ölige Flüssigkeit vor. Die Summenformel ist C₃H₆O₃. Die molare Masse beträgt 90,08 g/mol. Die Verbindung ist vollständig mischbar mit Wasser und in Ethanol löslich.
Isomerie
Milchsäure ist eine chirale Verbindung, die in 2 isomeren bzw. enantiomeren Formen vorkommt:
- L-(+)-Milchsäure (rechtsdrehend), auch als (S)-Milchsäure bezeichnet
- D-(-)-Milchsäure (linksdrehend), auch als (R)-Milchsäure bezeichnet
Eine Mischung beider Enantiomere bezeichnet man als Racemat.
(S)-Milchsäure ist das Enantiomer, das vom Menschen schneller und besser verwendet werden kann, da es Teil seines natürlichen Stoffwechsels ist. Es handelt sich bei (S)-Milchsäure daher um das Eutomer, während man bei (R)-Milchsäure vom Distomer spricht. Da Distomere in der Regel negative Effekte haben (z.B. geringere Wirksamkeit oder Nebenwirkungen), werden vorzugsweise Medikamente entwickelt, die nur das Eutomer enthalten. Deshalb wird in pharmazeutischen Zubereitungen alternativ zu racemischer Milchsäure, die zu gleichen Teilen aus beiden Enantiomeren besteht, auch enantiomerenreine (S)-Milchsäure eingesetzt.
Der Mensch kann aber auch (R)-Milchsäure zum großen Teil verstoffwechseln. Daher stellt sie für den Menschen kein gesundheitliches Risiko dar. Lediglich bei Säuglingen im ersten Lebensjahr sollte auf die Gabe von linksdrehender Milchsäure verzichtet werden, da sie diese noch nicht abbauen können.
Polymerisationsfähigkeit
Milchsäure ist aufgrund ihrer Hydroxy- und Carboxylgruppe in der Lage, mit anderen Milchsäuremolekülen unter Wasserabspaltung zu verestern. Dabei entsteht Lactoylmilchsäure, ein Estolid (Ester aus strukturell gleichen Molekülen). Dieses kann wiederum unter Einwirkung von Katalysatoren wie Zinkoxid weiter zu Polymilchsäure (PLA) verestern. Bei letzterer Reaktion spricht man von einer Ringöffnungspolymerisation. Polymilchsäure ist ein ausschließlich aus Milchsäureeinheiten aufgebauter Polyester und stellt daher ebenfalls ein Estolid dar.
Aus historischen Gründen werden Estolide der Milchsäure auch Lactide genannt. Lactide sind ihrerseits linksdrehend und könnten in ausreichend großer Anzahl sogar der enantiomerenreinen Milchsäure, die überwiegend rechtsdrehende (S)-Milchsäure enthält, in der Summe linksdrehende Eigenschaften verleihen. Für eine Untersuchung des Enantiomerengehaltes ist es daher unerlässlich, zunächst den verfälschenden Einfluss der Estolide zu eliminieren.
Vorkommen
Milchsäure kommt natürlicherweise im menschlichen Körper sowie in fermentierten Lebensmitteln vor. Sie entsteht zum Beispiel beim Abbau von Laktose durch Milchsäurebakterien. Dabei kommt es auf die jeweilige Bakterienart an, ob diese linksdrehende (z.B. Lactobacillus bulgaricus), rechtsdrehende (Streptococcus- und Bifidobakterien) oder racemische Milchsäure (Lactobacillus acidophilus) erzeugt.
Biochemie
Im menschlichen Körper entsteht (S)-Milchsäure im Zuge der anaeroben Glykolyse bzw. Milchsäuregärung aus Pyruvat. Sie spielt als Stoffwechselintermediat eine wichtige Rolle bei der Synthese von ATP. Im Rahmen des Cori-Zyklus wird Laktat vom Muskelgewebe zur Leber transportiert. Dort wird es durch die Laktatdehydrogenase (LDH) wieder zu Pyruvat umgewandelt. Letzteres wird in die Gluconeogenese eingespeist oder unter Energiegewinn im Citrat-Zyklus metabolisiert.
Physiologie
In der Vagina wird Milchsäure durch Milchsäurebakterien aus dem Glykogen der abgeschilferten Epithelzellen produziert. Dadurch entsteht ein saures Milieu in der Vagina, welches das Wachstum pathogener Pilze und Bakterien supprimiert.
Pathophysiologie
Eine übermäßige Produktion von Milchsäure in den Körpergeweben führt zur Laktatazidose, einer Form der metabolischen Azidose, bei welcher der pH-Wert des Blutes absinkt. Eine Laktatazidose entsteht zum Beispiel im Rahmen einer Hypoperfusion oder Hypoxie, wenn nicht genügend Sauerstoff für die aerobe Glykolyse zur Verfügung steht.
Verwendung
Medizinische Verwendung
Milchsäure wird in Form von Vaginaltabletten oder Vaginalzäpfchen zur topischen Therapie und Prophylaxe bakterieller Vaginosen verwendet. Die Milchsäure verschiebt den pH-Wert in der Vagina so weit in den sauren Bereich, dass das Wachstum pathogener Erreger beeinträchtigt wird. In einer Konzentration von 1 bis 2 % freier Milchsäure kann ein antiseptischer Effekt beobachtet werden, während bei einer Konzentration von 0,5 % bereits ein ausreichend bakteriostatischer Effekt eintritt.
Auch Hauterkrankungen (z.B. Akne) können durch topische oder orale Applikation von Milchsäure behandelt werden. Die topische Wirkung basiert auf dem keratolytischen Effekt der Milchsäure, der in höheren Konzentrationen auch für Peelings genutzt wird. Bei einer unsachgemäßen Anwendung können allerdings Hautreizungen oder schwere Augenschäden auftreten.
Weiterhin ist Milchsäure ein Bestandteil von Ringer-Laktat-Lösungen, die bei verschiedenen Formen der Dehydratation als Volumenersatz verwendet werden.
Sonstige Verwendung
Milchsäure ist ein Lebensmittelzusatzstoff (E 270), der als Säuerungsmittel, Konservierungsstoff oder Geschmacksverstärker in Produkten wie Joghurt, Käse, Bier, Sauerkraut und anderen fermentierten Lebensmitteln eingesetzt wird bzw. dort durch Fermentation entsteht.
Milchsäure wird als das Monomer zur Produktion biobasierter Kunststoffe, wie Polymilchsäure, verwendet.
Pharmazie
Um gemäß Europäischem Arzneibuch (Ph. Eur.) als enantiomerenreine Milchsäure zu gelten, muss eine Analysenprobe (analog zur racemischen Milchsäure) einen Gehalt zwischen 88 und 92 % (m/m) Milchsäure aufweisen, die darüber hinaus aus mindestens 95 % (S)-Milchsäure bestehen muss.
Zunächst muss eine alkalische Esterhydrolyse der Lactide bzw. Polymilchsäuren durchgeführt werden, wodurch die Estolide wieder in die ursprünglichen Milchsäure-Moleküle gespalten werden. Für die Gehaltsbestimmung von enantiomerenreiner (S)-Milchsäure sieht das Ph. Eur. danach eine Titration vor, identisch zum Vorgehen bei racemischer Milchsäure. Liegt der Gehalt zwischen den geforderten 88 und 92 %, wird über ein polarimetrisches Verfahren der Gehalt an (S)-Milchsäure ermittelt.