Tarlatamab
Handelsnamen: IMDYLLTRA (UK), IMDELLTRA (USA)
Synonym: AMG 757
Definition
Tarlatamab ist ein bispezifischer T-Zell-Engager (BiTE), der den Delta-like-Liganden 3 (DLL3) auf Tumorzellen und CD3 auf T-Zellen bindet. Dadurch wird eine zytotoxische Immunantwort gegen DLL3-positive Zellen ausgelöst. Der Wirkstoff wird zur Therapie des kleinzelligen Lungenkarzinoms (SCLC) eingesetzt.
Biochemie
Tarlatamab ist ein BiTE-Antikörper (IgG-ähnlich) mit Fc-Domäne zur Verlängerung der Plasmahalbwertszeit. Er umfasst 982 Aminosäuren (ca. 105 kDa), wird in CHO-Zellen hergestellt und richtet sich gegen DLL3 (stark exprimiert auf SCLC-Zellen, minimal auf gesundem Gewebe) sowie CD3ε auf T-Zellen. Die Bindung führt zur T-Zell-Aktivierung, Zytokinfreisetzung und zur Zytolyse DLL3-positiver Zellen.
Wirkmechanismus
Durch die simultane Bindung an DLL3 und CD3 bildet Tarlatamab eine immunologische Synapse, rekrutiert endogene T-Zellen in den Tumor, aktiviert sie (u.a. IL-2, IL-6, IL-8, IL-10, IFN-γ) und induziert eine gerichtete Tumorzelllyse. Die Zytokinspitzen treten typischerweise 24 Stunden nach der ersten Step-up-Dosis auf.
Pharmakokinetik
Nach dem Step-up-Schema (erst 1 mg, dann 10 mg) wird der Steady State bis Zyklus 2, Tag 15, erreicht. Die mittlere terminale Halbwertszeit beträgt im Median 11,2 Tage. Das Verteilungsvolumen beträgt 8,6 L und die Clearance 0,65 L/Tag.
Indikationen und Zulassung
In den USA ist Tarlatamab bei extended SCLC (ES-SCLC) mit Progress nach vorheriger Platintherapie zugelassen. Im Vereinigten Königreich ist es bei ES-SCLC nach ≥ 2 Vortherapien inkl. Platin zugelassen. In der EU ist es derzeit (09/2025) nicht zugelassen; jedoch liegt eine Orphan-Designation vor.
Darreichungsform
Tarlatamab liegt als lyophilisiertes Pulver zur Herstellung einer Infusionslösung vor. Es stehen Einzeldosis-Vials zu 1 mg bzw. 10 mg zur Verfügung. Zur Stabilisierung der verdünnten Infusionslösung ist eine separate Durchstechflasche mit „IV Solution Stabilizer“ beigepackt.
Dosierung
Empfohlen ist ein Step-up-Schema mit 1-stündigen Infusionen:
- Zyklus 1 Tag 1: 1 mg; Tag 8: 10 mg; Tag 15: 10 mg;
- danach alle 2 Wochen 10 mg bis Progress/Unverträglichkeit.
Prämedikation in Zyklus 1:
- 8 mg Dexamethason i.v. ≤ 1 h vor Tag 1 und Tag 8
- zudem je 1 L NaCl-Lösung i.v. nach Tag 1, 8, 15.
Überwachung: Tag 1 & 8 je 22–24 h in geeigneter Einrichtung; Tag 15 6–8 h; später verkürzte Nachbeobachtung sofern keine ≥ Grad 2-CRS/Neurotoxizität aufgetreten ist.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Anwendung
Die Zubereitung erfolgt gemäß Fachinformation. Die Infusion wird über eine programmierbare Infusionspumpe (250 mL/h) verabreicht. Vor jeder Gabe sind das Blutbild, Transaminasen und Bilirubin zu prüfen sowie eine ausreichende klinische Hydrierung sicherstellen. Bei Verdacht auf CRS oder ICANS erfolgt das Management gemäß dem Schweregrad inkl. Supportivtherapie, ggf. die Gabe von Tocilizumab und engmaschigem Monitoring bis zu einem ICU-Level. Dosisreduktionen sind nicht vorgesehen; Therapiepausen oder ein Absetzen richten sich nach den Toxizitätsgraden.
Nebenwirkungen
Zu den wichtigsten Nebenwirkungen zählen das Zytokinfreisetzungssyndrom (CRS) sowie neurologische Komplikationen, einschließlich des Immuneffektorzell-assoziierten Neurotoxizitätssyndroms (ICANS). In klinischen Studien trat ein CRS bei mehr als der Hälfte der behandelten Patienten auf; die meisten Ereignisse entwickelten sich in zeitlichem Zusammenhang mit den ersten beiden Dosierungen. Schwerwiegende Verläufe höheren Grades waren selten, insgesamt aber klinisch relevant.
Abgesehen davon zeigte sich ein breites Spektrum häufiger unerwünschter Wirkungen. Am häufigsten wurden Fatigue, Fieber und Geschmacksstörungen berichtet, gefolgt von Appetitverlust, muskuloskelettalen Schmerzen, Obstipation, Anämie und Übelkeit. Diese Nebenwirkungen betrafen jeweils etwa ein Fünftel bis die Hälfte der Behandelten. Insgesamt entwickelten 58 % der Patienten schwerwiegende Nebenwirkungen, was in einzelnen Fällen zum Therapieabbruch führte. Gründe hierfür waren insbesondere ein schweres CRS oder ein Tumorlysesyndrom.
Laboruntersuchungen zeigten typische Veränderungen: Eine Lymphopenie wurde bei mehr als der Hälfte der Patienten in höherem Schweregrad festgestellt, daneben traten häufiger Hyponatriämien sowie ein Anstieg der Harnsäurewerte auf. Diese Befunde spiegeln die immunologische Aktivierung und die zytotoxischen Effekte des Arzneimittels wider und machen eine engmaschige Überwachung während der Behandlung erforderlich.
Wechselwirkungen
Tarlatamab kann durch Zytokinfreisetzung CYP-450-Enzyme vorübergehend supprimieren. Dadurch ist die Exposition von CYP-Substraten (insb. mit enger therapeutischer Breite) während und bis zu 14 Tage nach Auftreten eines CRS erhöht.
Schwangerschaft, Stillzeit
Basierend auf dem Wirkmechanismus ist eine fetale Schädigung möglich, sodass eine Schwangerschaft vor Therapiebeginn ausgeschlossen sein sollte. Eine effektive Kontrazeption während der Behandlung und bis 2 Monate nach der letzten Dosis wird empfohlen. Stillen sollte während der Therapie und bis 2 Monate danach vermieden werden.
Klinische Studien
Die beschleunigte Zulassung von Tarlatamab in den USA basierte zunächst auf den Ergebnissen der offenen Phase-2-Studie DeLLphi-301. In dieser Untersuchung erreichten etwa 40 % der Patienten mit fortgeschrittenem kleinzelligem Lungenkarzinom nach Platintherapie ein objektives Ansprechen. Besonders wichtig war, dass die Dauer dieses Ansprechens mit im Median knapp zehn Monaten deutlich länger ausfiel, als man es unter den bisherigen Standardtherapien erwarten würde. Um den klinischen Nutzen zu bestätigen, wurde anschließend die randomisierte Phase-3-Studie DeLLphi-304 durchgeführt. Hier zeigte sich ein signifikanter Überlebensvorteil unter Tarlatamab im Vergleich zur Chemotherapie. Das mediane Gesamtüberleben lag bei 13,6 gegenüber 8,3 Monaten, was einer Risikoreduktion um 40 % entspricht. Auch das progressionsfreie Überleben sowie patientenberichtete Symptome fielen zugunsten von Tarlatamab aus. Bemerkenswert war zudem, dass schwere Nebenwirkungen (Grad ≥ 3) unter Tarlatamab seltener auftraten als unter der Kontrollchemotherapie (54 % vs. 80 %).
ATC-Code
- L01FX33 (Monoklonale Antikörper/Antikörper-Wirkstoff-Konjugate, sonstige).
Literatur
- Mountzios G et al. Tarlatamab in Small-Cell Lung Cancer after Platinum-Based Chemotherapy. N Engl J Med. 2025
- Nakano Y et al. Early Pseudoprogression After Tarlatamab in Small-Cell Lung Cancer: A Case Report. Respirol Case Rep. 2025
- Ogieuhi IJ et al. Bispecific T-cell engagers (BiTE): a review of tarlatamab in small cell lung cancer. Clin Transl Oncol. Published online July 5, 2025