Striatale Hand- und Fußdeformität
Synonyme: striatale Hand, striataler Fuß
Englisch: striatal deformity of the hand and foot, striatal hand, striatal foot, striatal deformities
Definition
Als striatale Hand- und Fußdeformität bezeichnet man verschiedene Fehlhaltungen von Gelenken an Händen und Füßen, die im Rahmen von Erkrankungen mit Parkinson-Syndrom auftreten können.
Historie
Die erstmalige ausführliche Beschreibung der Deformitäten und ihre Ähnlichkeit zu jenen der rheumatoiden Arthritis erfolgte 1877 durch Jean-Marie Charcot.[1]
Epidemiologie
Es existieren derzeit (2025) keine hinreichenden, systematischen Erhebungen zur Prävalenz der Deformitäten.
Eine kleinere Erhebung aus Zeiten vor der Verbreitung von L-Dopa beobachtete Handdeformitäten bei etwa 40 % der Patienten mit Morbus Parkinson.[2] In neueren, ebenfalls kleinen Fallserien wird die Häufigkeit von Hand- und Fußdeformitäten bei Parkinsonpatienten zwischen 10 und 40 % angegeben, wobei die striatale Hand häufiger beobachtet wird als Fußdeformitäten.[3][4][5] Frauen und jüngere Patienten sind möglicherweise häufiger betroffen.[3][5]
Ätiologie und Pathogenese
Striatale Hand- und Fußdeformitäten werden bei verschiedenen Erkrankungen mit Parkinson-Syndrom beobachtet. Beschrieben wurden sie bei:[3][4]
- Morbus Parkinson
- progressiver supranukleärer Paralyse
- Multisystematrophie
- kortikobasaler Degeneration
- Parkinson-Demenz
- Neurodegeneration mit Eisenablagerung im Gehirn
Die Pathogenese der Deformitäten ist bislang (2025) nur unvollständig geklärt und möglicherweise durch mehrere Mechanismen bedingt. Wenngleich die Begrifflichkeit der striatalen Deformität eine ursächliche Läsion im Striatum nahelegt, existiert hierfür kaum Evidenz.[3][4][6] Die genaue Topologie ist unklar, sowohl basalganglionäre als auch kortikale Regionen werden diskutiert, genauso wie die Involvierung verschiedenster Transmittersysteme. Ebenso ist unklar, was Parkinsonpatienten mit Deformitäten von jenen ohne solche unterscheidet.[3][4]
Anfänglich liegt der Deformität zunächst ein übersteigerter Muskeltonus in den betroffenen Muskelgruppen zugrunde. Hierbei handelt es sich an der Hand primär um die Musculi lumbricales und interossei, am Fuß um den Musculus extensor hallucis longus und die tiefen Wadenmuskeln.[3][4] Wie genau diese Muskelhypertonie pathophysiologisch einzuordnen ist, ist umstritten. Teilweise werden sie als Rigor aufgefasst, was durch eine zumindest mäßige Korrelation zu einem Rigor derselben Extremität gestützt wird.[4][5] Andere Autoren verstehen die Deformität als atypische Dystonie. Dies wird jedoch ebenfalls kontrovers diskutiert, u.a. da typische Eigenschaften wie Aktionsinduzierbarkeit, antagonistische Gesten und eine Rückbildung im Schlaf fehlen.[5][6][7][8]
Aus der ursprünglichen Rigidität bzw. Dystonie entwickelt sich durch Muskelatrophie sowie Sehnen-, Band- und Gelenkkapselverkürzung im Verlauf von Wochen bis Monaten eine fixierte Kontraktur.[3][4] Häufig finden sich Subluxationen der betroffenen Gelenke.[4]
Klinik
Ausprägungsgrad und Form der Deformitäten sind recht variabel. Meist findet sich ein unilateraler Beginn, in der Regel ipsilateral zur Entwicklung der Parkinson-Kardinalsymptome.[3][7] Teilweise können dystone Hand- und Fußhaltungen anderen motorischen Symptomen der Grunderkrankung auch vorausgehen.[3][4] Die Schwere der Deformitäten nimmt im Verlauf zu, sie korreliert dabei nur mäßig mit der Schwere anderer motorischer Symptome.[4][5] Bei atypischen Parkinsonsyndromen soll dieser Progress rascher ablaufen als bei idiopathischer Parkinsonerkrankung.[4]
Striatale Handdeformität
Üblicherweise beginnt die striatale Handdeformität als milde Flexionshaltung der MCP-Gelenke. Im weiteren Verlauf verstärkt sich diese Flexion, während es typischerweise zusätzlich zur Extensionshaltung der PIP-Gelenke sowie Beugehaltung der DIP-Gelenke (ähnlich einer Schwanenhalsdeformität) kommt. Zusätzlich findet sich meist eine Ulnardeviation der Finger und des Handgelenks.[3][4]
Gelegentlich finden sich jedoch auch weniger typische Haltungsmuster, z.B. eine Knopflochdeformität, eine Krallenhand, ein Z-Daumen oder Mischformen aus verschiedenen abnormen Haltungen.[3][4][5]
Während die Deformitäten anfänglich oft durch Willkürmotorik oder passive Bewegung temporär aufhebbar sind, kommt es im späteren Verlauf zur fixierten Kontraktur.[4]
Insbesondere bei fortgeschrittenen Deformitäten kann es - zusätzlich zu Einschränkungen durch die zugrundeliegende Erkrankung - zu schwerwiegenden Problemen bei Alltagsaktivitäten (z.B. Nahrungsaufnahme, Knöpfen, Schreiben) oder zu Schmerzen kommen.[3] Bei starker Flexionskomponente können außerdem Hautschäden durch ein Anpressen der Fingernägel an Hohlhand oder andere Finger entstehen.[3]
Striatale Fußdeformität
Die striatale Fußdeformität besteht typischerweise aus einer Spitzfußposition, einem Rückfußvarus und einer Inversionshaltung, entsprechend einer Klumpfußhaltung.[3][4]
Entweder in Kombination hiermit oder auch isoliert kann eine striatale Zehendeformität auftreten. Typischerweise findet sich hierbei eine Extension der Großzehe mit Beugehaltung der anderen Zehen.[3][4] Auch ein Hallux valgus ist möglich.[4]
Fuß- und Zehendeformität führen häufig zu Stand- oder Gangschwierigkeiten. Das Anziehen von Schuhen kann deutlich erschwert sein. Durch abnorme Druckbelastung kann es zu Schmerzen (z.B. Metatarsalgie) und zu Ulzera unterhalb der MTP-Gelenke kommen.[3]
Schweregradeinteilung
Die von Wijemanne und Jankovic vorgeschlagene Schweregradeinteilung der striatalen Hand unterscheidet 4 Stadien:[4]
Stadium | Beschreibung | Kriterien |
---|---|---|
0 | keine Deformität |
|
1 | geringe Defomität |
|
2 | milde Deformität |
|
3 | moderate Deformität |
|
4 | schwere Deformität |
|
Diagnostik
Die Diagnostik entspricht der der zugrundeliegenden Erkrankung. Die beteiligten Muskelgruppen können zur Planung einer Therapie mittels Botulinumtoxininjektionen per EMG ermittelt werden.
Differentialdiagnostik
Differentialdiagnostisch abzugrenzen sind unter anderem:[3][4]
- mutilierende rheumatoide Arthritis
- Jaccoud-Arthropathie
- Dupuytren-Kontraktur
- Kontrakturen durch Fibrosierungserscheinungen unter Therapie mit Bromocriptin oder anderen Ergolin-Dopaminagonisten
- (spontanes) Babinski-Zeichen
- erworbener Klumpfuß anderer Ursachen
- Dystonien anderer Ursache, z.B. primäre Dystonien, Dystonien durch Pharmakotherapie (z.B. L-Dopa-induzierte Dystonie) oder tiefe Hirnstimulation
Therapie
Eine Behandlung mit L-Dopa kann zumindest teilweise in frühen Stadien zur vollständigen Rückbildung führen.[3][4] Ansonsten ist das Ansprechen auf eine Pharmakotherapie meist eher mäßig und nichtanhaltend.[4] Hierfür werden unter anderem Anticholinergika, Baclofen und Benzodiazepine eingesetzt.[3] Auch Botoxinjektionen in betroffene Muskelgruppen stellen eine Behandlungsoption dar.[3][4]
Bei erfolgloser konservativer Therapie und bereits bindegewebig-muskulärer Kontraktur kann außerdem Sehnen-/Kapselchirurgie eingesetzt werden.[3]
In vereinzelten Fallberichten wurde außerdem über eine Besserung von Hand- und Fußdeformitäten durch neurochirurgische Maßnahmen wie tiefe Hirnstimulation des Nucleus subthalamicus oder Thalamuschirurgie berichtet.[6][9] Allerdings sind derartige Maßnahmen in Bezug auf striatale Deformitäten derzeit (2025) nur wenig untersucht und eher für Patienten mit anderen, konservativ schwer therapierbaren Parkinsonsymptomen reserviert.[3]
Quellen
- ↑ Charcot, Lectures on the diseases of the nervous system, delivered at La Salpêtrière, New Sydenham Society, 1877. Seite 141f.
- ↑ Reynolds, Petropoulos, Hand deformities in Parkinsonism, Journal of Chronic Diseases, 1965.
- ↑ 3,00 3,01 3,02 3,03 3,04 3,05 3,06 3,07 3,08 3,09 3,10 3,11 3,12 3,13 3,14 3,15 3,16 3,17 3,18 3,19 3,20 3,21 Ashour et al., Striatal deformities of the hand and foot in Parkinson's disease, The Lancet Neurology, 2005.
- ↑ 4,00 4,01 4,02 4,03 4,04 4,05 4,06 4,07 4,08 4,09 4,10 4,11 4,12 4,13 4,14 4,15 4,16 4,17 4,18 4,19 4,20 4,21 Wijemanne und Jankovic, Hand, foot, and spine deformities in parkinsonian disorders, Journal of Neural Transmission, 2019.
- ↑ 5,0 5,1 5,2 5,3 5,4 5,5 Carvallo et al., Clinical correlations of striatal hand deformities in Parkinson's disease, Acta Neurologica Scandinavia, 2019.
- ↑ 6,0 6,1 6,2 Morishita et al., Effect of Subthalamic Nucleus Stimulation on Severe Striatal Hand Deformity in Parkinson’s Disease: A Case Report, Neuromodulation, 2008.
- ↑ 7,0 7,1 Spagnolo et al., Striatal hand in Parkinson’s disease: the re-evaluation of an old clinical sign, Journal of Neurology, 2013.
- ↑ Tolosa, Compta, Dystonia in Parkinson’s disease, Journal of Neurology, 2006.
- ↑ Gortvai, Deformities of the hands and feet in Parkinsonism and their reversibility by operation, Journal of Neurology, Neurosurgery & Psychiatry, 1963.