Proteinkristallografie
Englisch: protein crystallography
Definition
Der Begriff Proteinkristallografie beschreibt ein Verfahren zur molekularen Strukturanalyse von Proteinen. Die Proteine müssen dazu in kristallisierter Form vorliegen. Hierfür wird das Protein erst kristallisiert und anschließend die Struktur mittels Kristallstrukturanalyse (meist Röntgenstrukturanalyse) bestimmt.
Hintergrund
Niedermolekulare Substanzen werden i.d.R. dadurch kristallisiert, dass deren Lösungsmittel verdampft wird. Auf diese Weise sinkt das Volumen bei gleichbleibender Stoffmenge, was zu einer Erhöhung der Stoffmengenkonzentration führt. Wenn diese die Löslichkeitsgrenze überschreitet, fällt die Substanz kristallin aus. Bei Proteinen kann dieses Verfahren nicht durchgeführt werden.
Proteinkristalle unterscheiden sich in ihren Eigenschaften von den Kristallen anorganischer oder niedermolekularer Substanzen: Während Kristalle anorganischer Materialien fest und spröde sind, sind Proteinkristalle weich und flexibel, da diese zu einem Großteil aus Wasser bestehen, welches das Protein umgibt oder Proteinkanäle ausfüllt. Außerdem streuen Proteinkristalle Röntgenstrahlen weniger stark, weil Proteine aufgrund ihrer Größe und Flexibilität häufiger Kristallfehler und -unregelmäßigkeiten aufweisen.
Proteinkristallisation
Für Proteine eignet sich außschließlich Wasser als Lösungsmittel. Dieses verdampft in einer angemessenen Geschwindigkeit nur unter Wärmezufuhr. Die Wärmezufuhr würde jedoch das Protein schädigen und zur Denaturierung führen. Deshalb gibt man zu der proteinhaltigen Lösung Substanzen hinzu, welche die Löslichkeit des Proteins auf andere Art verringern, z.B. durch eine Veränderung der Ionenstärke, des pH-Wertes oder der Dielektrizitätskonstante.
Einem Kristallisationspuffer können verschiedene Substanzen (siehe Zusätze) zugegeben werden. Mit diesen wird eine übersättigte Lösung erzeugt, d.h. eine Lösung, in der mehr Protein gelöst ist, als es die Löslichkeitsgrenze zulässt. Die Kristallisation startet in diesem Fall erst an einer Feststoffoberfläche, einem sogenannten Nukleus (Kristallisationskeim). Dieser kann extern eingebracht werden (als Staubteilchen aus der Luft oder durch Seeding, s.u.) oder spontan entstehen. Je nach Grad der Übersättigung wird eine metastabile und eine labile Zone unterschieden: In der labilen Zone ist die Übersättigung so hoch, dass sich spontan Kristallisationskeime bilden können, während es in der metastabilen Zone nicht möglich ist. Wenn die Lösung metastabil ist, kann jedoch ein bereits begonnenes Kristallwachstum fortschreiten. Ist die Proteinkonzentration zu hoch, fällt das Protein als amorphes Präzipitat aus, was unerwünscht ist. Durch die o.g. Zusätze muss also eine Proteinkonzentration erreicht werden, die nicht zu hoch ist (da sonst amorphes Präzipitat ausfällt), die aber auch nicht zu niedrig ist (da sich sonst keine Kristallisationskeime bilden können).
Die Etablierung einer Kristallisationsbedingung ist rein empirisch, d.h. es gibt keine Methoden, eine funktionierende Kristallisationsbedingung vorherzusagen. Das Finden einer passenden Bedingung kann lange dauern, weshalb die Kristallisation eines Proteins der langsamste Schritt ("bottleneck") in der Strukturbestimmung mittels Röntgenkristallographie ist.
Um eine Kristallisationsbedingung zu finden, gibt es zwei Ansätze: Den systematischen, bei dem Präzipitans, Salz und pH-Wert systematisch variiert werden, und die Schrotflinten-Methode ("shotgun-approach"), bei dem viele komplett unterschiedliche Bedingungen gescreent werden. Für letztere gibt es kommerziell erhältliche Screening-Sets, die lediglich auspipettiert werden müssen.
Zusätze
Salze
Salze können – je nach Konzentration – die Löslichkeit erhöhen oder verringern. Beim Salting-in-Effekt, der bei niedrigen Salzkonzentrationen auftritt, erhöht sich die Löslichkeit eines Proteins mit zunehmender Salzkonzentration. Grund hierfür ist, dass die Ionen des Salzes die Oberflächenladungen der Proteine abschirmen und dadurch Proteinaggregate verhindern. Bei höheren Salzkonzentrationen tritt hingegen der Salting-out-Effekt auf, bei dem die Proteinlöslichkeit mit steigender Salzkonzentration abnimmt. Dies geschieht, da die Salzionen mit dem Protein um die Hydrathülle konkurrieren. Die Salzionen werden gut vom Wasser hydratisiert, was wiederum dazu führt, dass das Protein keine Hydrathülle mehr ausbilden kann und deshalb ausfällt.
Das Ausmaß der Stärke der beiden Effekte hängt außerdem von der Art des Salzes (d.h. Größe und Ladung) ab. Im strengen Sinn beeinflusst somit nicht die Salzkonzentration an sich, sondern die Ionenstärke die Proteinlöslichkeit.
Puffer
Mit Puffern wird der pH-Wert der Lösung eingestellt. Der pH-Wert hat einen großen Einfluss auf die Proteinlöslichkeit: Jedes Protein hat einen pH-Wert, bei dem seine Löslichkeit maximal und bei dem sie minimal ist. Durch die Änderung des pH-Wertes werden oberflächliche Aminosäurereste deprotoniert bzw. protoniert, was die Ladung und somit die Löslichkeit beeinflusst. Der pH-Wert darf jedoch keine extremen Werte annehmen, da sonst das Protein denaturieren kann. Die Löslichkeit ist meist beim isoelektrischen Punkt minimal, da das Protein in Summe ungeladen ist. Häufig verwendete Puffer sind TRIS, HEPES und Phosphat.
Präzipatanzien
Präzipitanzien sind Stoffe, welche die Proteinlöslichkeit herabsetzen. Hierunter zählen:
- Salze (siehe oben)
- organische Lösemittel, v.a. Ethanol und Isopropanol: Diese verringern die Dielektrizitätskonstante des Lösungsmittel, was wiederum die Löslichkeit geladener Moleküle verringert.
- gut lösliche Polymere, v.a. Polyethylenglykol (PEG): Sie verringern die Proteinlöslichkeit durch eine Verringerung der Dielektrizitätskonstante, durch Durchbrechen von Wassernetzwerken und einer Verringerung der Proteinhydratation.
- Additive: Additive sind Substanzen, die das Kristallwachstum verbessern können. Es werden z.B. Reduktionsmittel wie DTT oder β-Mercaptoethanol – was bei Proteinen mit Cysteinresten relevant ist – Metallchelatoren wie EDTA oder Konservierungsmitteln wie Natriumazid oder Thymol verwendet, die das Wachstum von Mikroorganismen in der Lösung unterbinden. Auch Liganden, Cofaktoren und andere Moleküle, die (physiologisch) mit dem Protein interagieren, können die Löslichkeit stark beeinflussen.
Verfahren
Hanging Drop-Variante
Experimentell hat sich die Methode der Dampfdiffusion etabliert. Bei dieser werden Well-Platten verwendet. In die Wells wird der Kristallisationspuffer pipettiert. Das Protein wird auf ein Deckglas pipettiert und mit Kristallisationspuffer gemischt. Anschließend wird das Deckglas umgedreht und luftdicht über das Well gelegt. Über die Dampfphase findet eine Äquilibration statt, bei der Wasser aus dem Proteintropfen verdunstet. Hierbei sinkt das Volumen des Tropfens und die Konzentration an Protein und Präzipitantien erhöht sich langsam. Auf diese Weise kann mit einem Puffer ein enger Bereich an Präzipitanskonzentration gescreent werden. Ziel ist, dass das Protein bei der langsamen Erhöhung der Konzentration die labile Region erreicht, Kristallisationskeime bildet und auskristallisiert. Die Konzentration sinkt in die metastabile Region und es kann sich kein amorphes Präzipitat bilden.
Sitting Drop-Variante
Bei der Sitting Drop-Variante werden spezielle Kristallisationsplatten verwendet, bei der sich in der Mitte der Wells eine Erhebung befindet, in die das Protein pipettiert wird. Die Äquilibrierung erfolgt nach dem luftdichten Verschließen der Platten ebenfalls über die Dampfphase. Die Platten können bei verschiedenen Temperaturen inkubiert werden. Häufig werden die Platten bei Raumtemperatur (20 °C), bei 4 °C oder bei leicht erhöhter Temperatur (25 bis 30 °C) inkubiert. Weitere Methoden sind die Mikrodialyse und Grenzflächendiffusion.
Seeding
Eine weitere Möglichkeit der Proteinkristallisation ist das Seeding. Hier werden der Lösung von außen Kristallisationskeime zugegeben, sodass sich auch bereits aus einer metastabilen (und nicht nur aus einer labilen) Lösung Kristalle bilden können (s.o.). Beim Microseeding wird ein anderer Kristall zerkleinert, sodass viele kleine Kristalle entstehen, die dann nach Verdünnung zur Proteinlösung pipettiert werden. Beim Streak Seeding wird ein Kristall mit einem Haar (i.d.R. Tasthaar einer Katze oder Haar aus einer Pferdemähne) berührt und dieses wird anschließend in die Proteinlösung eingetaucht, wodurch Mikrokristalle überführt werden.
Man unterscheidet ein homologes Seeding, bei dem man einen Kristall aus dem gleichen Protein verwendet, von einem heterologen Seeding, bei dem der Kristall aus einem anderen Protein besteht. Eine andere Form des Seedings ist das Makroseeding, bei dem ein bereits existierender Kristall in eine (übersättigte) Proteinlösung gelegt wird, damit dieser weiter wächst.
Proteinanpassung
Wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind, kann es ratsam sein, das Protein zu verändern. Falls möglich, kann auf ein strukturverwandtes Homolog aus einem anderem Organismus ausgewichen werden, bei dem gewisse Bereiche (z.B. das aktive Zentrum) konserviert sind. Darüber hinaus kann das Protein so mutiert werden, dass es besser kristallisiert. Häufig ist die Trunkierung der Termini oder eine Surface entropy reduction (SER). Flexible Bereiche stören häufig bei der Kristallisation, da sie mehrere Konformationen einnehmen können, was häufig an den Enden des Proteins der Fall ist, weshalb diese entfernt werden. Bei der SER werden flexible, geladene Aminosäuren (i.d.R. Lysin und Glutaminsäure) an der Oberfläche des Proteins durch kleine, ungeladene (i.d.R. Alanin) ersetzt. Hierdurch werden Protein-Protein- und Kristallkontakte erleichtert.
Beispiel
Ein Beispiel für die Proteinkristallografie ist die Röntgenstrukturanalyse. Gemessen werden die Beugungsmuster von Röntgenstrahlen im Protein-Kristall. Aus diesen Beugungsmustern können vom Computer durch mathematische Verfahren die Anordnung der Atome im Proteinmolekül errechnet werden.
um diese Funktion zu nutzen.