Progressive supranukleäre Blickparese
Synonyme: Steele-Richardson-Olszewski-Syndrom, progressive supranukleäre Blicklähmung, progressive supranukleäre Ophthalmoplegie, PSP-Syndrom
Englisch: progressive supranuclear palsy
Definition
Die progressive supranukleäre Blickparese, kurz PSP, ist eine neurodegenerative Erkrankung unbekannter Genese, die mit einer progredienten Destruktion von Neuronen im Bereich der Basalganglien einhergeht. Die typischen Symptome umfassen – neben Rigor und Akinese – eine vertikale Blickparese sowie Dysarthrie und Dysphagie.
ICD10-Code: G23.1
Epidemiologie
Ätiologie
Die Entstehung ist mit Mutationen im Tau-Gen auf Chromosom 17 (MAPT-H1c-Haplotyp) assoziiert. Darüber hinaus werden jedoch auch weitere Proteine mit PSP in Verbindung gebracht, u.a. Syntaxin 6, EIF2AK3 und MOBP.
Meist tritt die Erkrankung sporadisch auf, es sind jedoch auch seltene familiäre Formen bekannt.
Pathogenese
Die PSP wird den sogenannten Tauopathien zugeordnet. Diese sind gekennzeichnet durch eine Ablagerung von abnorm phosphoryliertem Tau-Protein, der Isoform "4-repeat-Tau", in Neuronen und Gliazellen. Dadurch kommt es zu einer progredienten Zelldestruktion, vor allem im Bereich der Basalganglien.
Klassifikation
Die International Parkinson and Movement Disorder Society (MDS) hat 2017 verschiedene Varianten der PSP beschrieben:[2]
Phänotyp | Abkürzung | Hauptsymptome |
---|---|---|
Richardson-Syndrom | PSP-RS | vertikale Blickparese und frühe Haltungsinstabilität |
Okulomotorik | PSP-OM | vorwiegende Dysfunktion der Augenmotorik |
Posturale Instabilität | PSP-PI | vorwiegende Haltungsinstabilität |
Parkinsonismus | PSP-P | Akinese, Rigor, Ruhetremor |
Frontal | PSP-F | Persönlichkeitsveränderung (ähnelt z.T. Morbus Pick) |
Progressive Gehblockaden (engl. gait freezing) |
PSP-PGF | isolierte Gehblockaden |
Kortikobasales Syndrom | PSP-CBS | Apraxie, asymmetrischer Dystonie und Sensibilitätsstörung |
Sprachstörungen (engl. speech/language disorder) |
PSP-SL | progressive Apraxie und Aphasie |
Primäre Lateralsklerose | PSP-PLS | Muskelschwäche und Spastiken |
Zerebelläre Ataxie | PSP-C | Ataxie |
Bei den beiden letztgenannten Typen (PSP-PLS und PSP-C) ist die Spezifität für PSP gering, daher werden sie in neueren diagnostischen Kriterien nicht aufgeführt.
Klinik
Als Leitsymptom gilt die progredient fortschreitende Parese der Augenmuskeln, die mit einem parkinsonähnlichen Symptombild assoziiert ist. Dabei kommt es zu den folgenden Symptomen:
- Akinese: meist symmetrisch
- Rigor: proximal/axial betont
- Supranukleäre vertikale Blickparese: in mehr als der Hälfte der Fälle nach oben
- Haltungsinstabilität mit häufigen Stürzen (bereits im ersten Krankheitsjahr)
- Stand- und Gangunsicherheit
- kognitive Störungen
- Dysphagie und Dysarthrie
- Blepharospasmus
Typisch ist bei den meisten PSP-Formen ein fehlendes Ansprechen auf L-Dopa. Darüber hinaus sind je nach Form der PSP weitere Symptome bzw. Symptomkonstellationen möglich.
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Diagnostik
Für die Diagnose einer PSP müssen folgende Kriterien, die durch die MDS definiert wurden, erfüllt sein:[2]
- sporadisches Auftreten der Symptome
- Auftreten ab einem Altern von 40 Jahren
- graduelle Verschlechterung der Symptomatik
Ausschlusskriterium sind Befunde, die auf andere neurodegenerative Erkrankungen hindeuten (z.B. plötzliches Auftreten oder schrittweise, schnelle Verschlechterung).
Im nächsten Schritt werden die klinischen Symptome kategorisiert in „probable“ (engl. für mutmaßlich), „possible“ (engl. für möglich) oder „suggestive“ (engl. für hinweisend). Entscheidend ist dann die Kombination der verschiedenen Symptome und der jeweilige Ausschluss anderer Ätiologien.
Zentrales Element der Diagnostik ist die neurologische Untersuchung. Darüber hinaus kommen bildgebende Verfahren zum Einsatz. In der Magnetresonanztomographie (MRT) finden sich folgende Zeichen:
- Mickey-Mouse-Zeichen: Es handelt sich dabei um eine ausgeprägte Atrophie und Signalanhebung im Mittelhirn. Die Form der Mickey-Mouse stellt sich in axialer Ebene auf Höhe des pontomesenzephalen Übergangs in T1-gewichteten Sequenzen dar.
- Kolibri-Zeichen (engl. hummingbird sign): Es ist in der Mittellinie von sagittalen T1-gewichteten Sequenzen sichtbar. Dieses Zeichen entsteht durch eine mesenzephale Atrophie bei relativer Aussparung der Pons.
In FDG-PET Aufnahmen zeigt sich weiterhin ein Hypometabolismus v.a. frontal, frontomesial und im Mesenzephalon.
Differenzialdiagnosen
- Morbus Parkinson
- Kortikobasale Degeneration (CBD)
- Multisystematrophie (MSA-P)
- Frontotemporale Degeneration (FTLD)
- andere neurodegenerative Erkrankungen
Therapie
Aktuell (2022) gibt es keine neuroprotektive Therapie der PSP. Die Behandlung erfolgt vor allem symptomatisch. Zur Therapie der Gangstörung und des Rigors kommen initial u.a. L-Dopa, Dopaminagonisten und Amantadin zum Einsatz. Zolpidem kann ggf. eine vorübergehende Besserung der Okulomotorik bewirken.
Darüber hinaus gibt es supportive Behandlungsmöglichkeiten wie Krankengymnastik, Ergotherapie und Logopädie. In einigen Fällen ist die Ernährung über eine gastroenterale Sonde notwendig.
Aktuell befinden sich mehrere Wirkstoffe zur Behandlung von PSP in der klinischen Testung, die meist darauf abzielen die pathogene Wirkung des Tau-Proteins abzumildern.
Prognose
Die mittlere Überlebenszeit nach Beginn der Symptomatik beträgt für alle PSP-Typen etwa 6 bis 7 Jahre. Allerdings vergehen durchschnittlich 4 Jahre nach dem Auftreten der ersten Symptome bis zur endgültigen Diagnose.[1] Die PSP-P-Form zeigt tendenziell günstigere Verläufe.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 Coyle-Gilchrist et al. Prevalence, characteristics, and survival of frontotemporal lobar degeneration syndromes Neurology, 2016
- ↑ 2,0 2,1 Höglinger et al. Clinical diagnosis of progressive supranuclear palsy: The movement disorder society criteria Movement Disorders, 2017
Literatur
- Andreas Hufschmied: Neurologie compact: Für Klinik und Praxis. 8. Auflage. Thieme Verlag.
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