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Nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten

Synonym: nicht-suizidale Selbstverletzung
Englisch: self-harm (SH), self-injury, self-mutilation, non-suicidal self-injury, NSSI

1. Definition

Nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten, kurz NSSV, beschreibt absichtliche Handlungen, die zu Verletzungen der eigenen Körpers und/oder zu Schmerzen führen, wobei jedoch keine Suizidabsicht besteht. Beispiele sind das Schneiden oder Stechen mit einem scharfen Gegenstand oder die Verbrennung der Haut, z.B. mit Zigaretten.

  • ICD-11: MB23.E, nicht-suizidale Selbstverletzung[1]

2. Terminologie

Die Begriffsdefinitionen sind in der Literatur nicht einheitlich. Die Begriffe "selbstverletzendes Verhalten" (SSV) und "nicht-suizidales selbstverletzendes Verhalten" (NSSV) werden in der medizinischen Umgangssprache häufig synonym verwendet. Im ICD-11 wird unter dem Begriff "nicht-suizidale Selbstverletzung" nur die impulsive Selbstverletzung verstanden.

3. Abgrenzung

Verletzungen, die nicht bewusst herbeigeführt werden, aber indirekt aus dem eigenen Verhalten entstehen, z.B. Selbstverletzung nach Drogenkonsum, zählen nicht explizit zu den Selbstverletzungen. Das gleiche gilt für Selbstverletzungen die sporadisch aus Impulshandlungen resultieren, wenn man z.B. aus Wut gegen eine Wand schlägt.

4. Epidemiologie

Genaue Daten zur Häufigkeit des NSSV in der deutschen Bevölkerung liegen derzeit (2025) nicht vor. In einer holländischen Studie von 2014 berichten 21% der Heranwachsenden von mindestens einer NSSV-Episode bis zum 25 Lebensjahr.[2]

Laut einer Metaanalyse unterscheidet sich die Prävalenz des NSSV in verschiedenen Altersgruppen. Die höchste Prävalenz findet sich bei Jugendlichen im Alter von 10-19 Jahren (17,2 %), danach folgen jungen Erwachsene zwischen 20 und 29 Jahren (13,4 %). Im Alter über 29 sinkt die Prävalenz auf ungefähr 5 %.[3]

5. Ätiologie

Ein NSSV wird multifaktoriell ausgelöst, wobei psychische und soziale Faktoren dominierend sind. Es kommt im Rahmen verschiedener psychischer Störungen vor, u.a. bei ADHS, Borderline-Persönlichkeitsstörungen, Depressionen, Essstörungen (Anorexia nervosa), Zwangsstörungen, Lesch-Nyhan-Syndrom, Deprivationen, Münchhausen-Syndrom, Körperintegritätsidentitätsstörungen oder Psychosen.

Abhängig vom psychologischen Kontext erfüllt das NSSV für die Betroffenen verschiedene Funktionen, zum Beispiel:

  • Reduktion negativer Emotionen wie Anspannung oder Angst
  • Erhalten von Aufmerksamkeit
  • Selbstbestrafung, Ausdruck von Selbsthass oder Schuldgefühlen
  • Entkommen aus dissoziativen Zuständen
  • Verdrängen von Suizidgedanken
  • Suche nach Gefühlen bei innerer Leere

Durch die Reduktion von Anspannung kann das Verhalten suchtähnliche Muster annehmen.

6. Risikofaktoren

Bekannte Risikofaktoren für NSSV sind u.a.:

7. Klinik

Die Klinik von Selbstverletzungen ist sehr variantenreich. Nach Favazza werden 4 Arten der direkten Selbstverletzung unterschieden:

Das NSSV im engeren Sinne (nach ICD-11-Definition) fällt in die Kategorie der impulsiven Selbstverletzung. Meist sind diese Verletzungen nur oberflächlich - eine verbreitete Form des NSSV ist das so genannte "Ritzen". Andere Formen des NSSV sind das Schlagen mit den Fäusten, bis Hämatome entstehen, Verbrennungen mit Zigaretten sowie Wangen- oder Lippenbeißen. Die Abgrenzung zu Parafunktionen und destruktiven habituellen Handlungen (z.B. Nägelkauen, Wangenkauen) lässt sich in der Regel durch die Intensität der Verletzung treffen.

Verletzungen, die bizarr erscheinen oder bei denen der Entstehungsmechanismus nicht nachvollziehbar ist, sollten konsiliarisch mit der Fragestellung nach einer Selbstverletzung geklärt werden.[4]

Auch wenn keine direkte Suizidabsicht besteht, ist das Risiko für Suizidversuche und vollendete Suizide bei den Betroffenen insgesamt erhöht.

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Fotodokumentation von Selbstverletzungswunden, sowie verheilten Selbstverletzungsnarben.

8. Therapie

Selbstverletzendes Verhalten jeglicher Art wird durch Psychotherapie behandelt. Die Therapiekonzepte unterscheiden sich und können tiefenpsychologisch, psychoanalytisch oder verhaltenstherapeutisch ausgerichtet sein.[5] Bei vorhandener psychischer Erkrankung ist gegebenenfalls eine Pharmakotherapie indiziert (z.B. mit SSRI).

Eine häufig eingesetzte Therapieform ist zudem die dialektisch-behaviorale Therapie (DBT). Sie inkludiert auch das Erlernen von Coping- bzw. Bewältigungsstrategien, sogenannten Skills. Skills, die Selbstverletzungsdränge reduzieren sollen, sind zum Beispiel Igelbälle, Fidget-Toys, Düfte, Eiswürfel (im Mund oder in der Hand zergehen lassen) oder scharfe Chilli-Bonbons.

Igelball als Skill gegen Selbstverletzungsdrang.

9. Pflegeinterventionen

In psychiatrischen Einrichtungen untergebrachte Patienten dürfen keinen Zugriff auf Utensilien haben, die eine Selbstverletzung ermöglichen (z.B. Messer, Klingen, Nadeln etc.).

Patienten, bei denen anamnestisch selbstverletzendes Verhalten vorkommt, sollten regelmäßig überwacht werden. Es muss z.B. beobachtet werden, ob Besteck eingesteckt wurde oder ein entliehener Rasierer wieder zurückgebracht wurde.

Neben den Sicherheitsmaßnahmen, ist es wichtig, sich Zeit für den betroffenen Patienten zu nehmen, seine Sorgen anzuhören und nicht zu verurteilen, wenn ein Patient selbstverletzende Gedanken hat oder sich bereits selbst verletzt hat.

10. Literatur

11. Quellen

  1. ICD-11 – MB23.E, abgefufen am 27.03.2025
  2. Baetens et al., Age of onset of non-suicidal self-injury in Dutch-speaking adolescents and emerging adults: An event history analysis of pooled data, Compr. Psychiatry, 2018
  3. Swannell et al., Prevalence of nonsuicidal self-injury in nonclinical samples: systematic review, meta-analysis and meta-regression, Suicide Life Threat Behav., 2014
  4. Straßburger, P., Váradi, G.: Traumatische Enukleation. Unfall oder Selbstverletzung? Ophthalmologe 2013, 110:451–454
  5. MSD-Manuals - Behandlung der nicht suizidalen Selbstverletzung, abgerufen am 25.03.2025

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