Emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ
von englisch: borderline - Grenzlinie
Synonyme: Borderline-Syndrom, Borderline-Persönlichkeitsstörung, Grenzpsychose
Englisch: borderline personality disorder
Definition
Die emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ, kurz BPS, ist eine Unterform der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung (PS). Sie ist geprägt von intensiven Gefühlswechseln, einer ausgeprägten Impulskontrollstörung sowie zusätzlichen Symptomen, wie z.B. einer inneren Leere.
- ICD10-Code: F60.31 - Emotional instabile Persönlichkeitsstörung: Borderline-Typ
Terminologie
Epidemiologie
Schätzungen zufolge liegt bei etwa 1,6% der Allgemeinbevölkerung eine emotional instabile PS vom Borderline-Typ vor.[1] Frauen sind häufiger betroffen als Männer.
Die 12-Monatsprävalenz in Deutschland beträgt 0,34 % (Frauen 0,45 %, Männer 0,21 %). Die 2-Jahres-Mortalität ist auf 2,30 (2,08 - 2,54; OR [KI]) erhöht. Die Lebenszeit ist altersabhängig um 6 - 8 Jahre verkürzt.[2]
Ätiologie
Die Ätiologie der PS vom Borderline-Typ ist nicht vollständig geklärt. Es existieren verschiedene Erklärungsmodelle. Die vulnerable Phase liegt dabei in der frühkindlichen Entwicklungsphase. Sowohl Mangelerlebnisse wie fehlende Zuwendung und Aufmerksamkeit oder Beeinträchtigungen in Form von Realtraumatisierungen (sexueller Missbrauch, körperliche Gewalt) können zur Entstehung einer PS beitragen.
Eine der gängigen Theorien, das auf Kernberg zurückgehende "Modell der spezifischen Ich-Struktur", geht von einer gestörten psychischen Entwicklung des Kleinkindes aus, die durch eine radikale Zuordnung zu Gut und Böse sowie das Auftreten verschiedener typischer Abwehrmechanismen gekennzeichnet ist.
Pathogenese
In der frühkindlichen Entwicklungsphase müssen zwei Fähigkeiten erlernt werden:
- Die Differenzierung von Selbst und Objekt. Der Säugling lernt sich selbst von anderen zu unterscheiden, sodass er selbst schrittweise eine eigene Persönlichkeit entwickeln kann.
- Ein Objekt (= eine Person) kann gegensätzliche Qualitäten beinhalten und ausüben. Eine Mutter kann beispielsweise trösten als auch bestrafen.
Fehlen diese Entwicklungsschritte, kann lediglich eine Teilobjektbeziehung entstehen. Die anderen Qualitäten der Person werden dann klassischerweise abgespalten, sodass es zur vollständigen Idealisierung oder Entwertung des Gegenübers kommt. Diese Spaltungsabwehr führt zu einer Aufspaltung von Erwartungen, Gefühlen und Affekten. Tritt zum Beispiel das Gefühl der Wut auf eine geliebte Person auf, wird die Wut entweder vollständig verleugnet, oder auf eine andere Person projiziert. Dadurch entsteht eine deutlich verzerrte Wahrnehmung von Beziehungen. Viele alltägliche Belastungen werden von den Betroffenen umgedeutet und erhalten subjektiv die Bedeutung eines Angriffs auf das ohnehin fragile Selbstgefühl, wodurch unreife Abwehrmechanismen reaktiviert werden können.
Symptomatik
Betroffene leiden unter anderem an dem Gefühl der inneren Leere, Selbstverletzungs- und Suizidgedanken sowie parasuizidalem Verhalten. Die Patienten sind emotional instabil und neigen zu einer bedrohlichen Wahrnehmung von Gefühlen, impulsiven Reaktionen oder Fremd- und Autoaggression. Daneben treten vor allem Störungen des Sozialverhaltens und der zwischenmenschlichen Beziehungen auf. Fehlende Ziele im Leben sind eine weitere typische Ausprägung des Borderline-Syndroms.
Patienten mit einer PS vom Borderline-Typ können nur schwer mit Kritik umgehen und reagieren darauf meist äußerst gereizt. Sie tendieren dazu, nahestehende Menschen entweder als "gut" oder "böse" einzuordnen.
Gegenüber der Psychose ist die PS vom Borderline-Typ normalerweise durch eine kaum gestörte Realitätsprüfung gekennzeichnet.
Äußerst selten kann es im Rahmen einer psychotherapeutischen Therapie zu einer zeitlich eng begrenzten Übertragungspsychose (sog. "Minipsychose") kommen, die mit typisch psychotischen Symptomen wie Wahn, Erregung und Trugwahrnehmung aufwartet. Die Reversibilität und die Fähigkeit des Patienten zur Distanzierung machen dieses Geschehen abgrenzbar zur reinen Psychose.
Diagnostik
Die Diagnose einer BPS erfolgt durch die ärztliche Beurteilung auf der Basis standardisierter psychiatrischer Diagnosekriterien, in der Regel auf der Basis des DSM-5. Zur Diagnostik können verschiedene psychometrische Verfahren herangezogen werden, z.B. die Borderline-Symptom-Liste (BSL).
Therapie
Als Therapieform eignet sich die dialektische behaviorale Therapie (DBT) nach Marsha M. Linehan - eine auf der kognitiven Verhaltenstherapie basierende Therapieform, die auch Elemente aus anderen Therapierichtungen enthält. Die Gegensätze in der Wahrnehmung der Patienten werden herausgearbeitet, aufgelöst und schrittweise integriert. Ebenso lernen die Patienten ihre Gefühle besser wahrzunehmen und zu regulieren.
Die DBT findet in Gruppen- und Einzelsitzungen statt. Speziell für Jugendliche wurde dieses Konzept zur DBT-A (A: Adoleszent) moduliert. Auch die Psychoanalyse kann gute Erfolge erzielen, insbesondere bei Borderline-Störungen Jugendlicher. Die DBT wird häufig als Voraussetzung für andere Therapieformen verstanden.
Auch Psychopharmaka können unterstützend eingesetzt werden. Zur Behandlung starker depressiver Symptome werden vorwiegend SSRIs eingesetzt. Bei stark ausgeprägten Stimmungsschwankungen oder Impulsivität spielen "mood stabilizer" verschiedener Wirkstoffgruppen wie Lamotrigin oder Aripiprazol eine wichtige Rolle.
Quellen
- ↑ Fiedler, P. (2018). Epidemiologie und Verlauf von Persönlichkeitsstörungen. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 66(2), 85–94.
- ↑ Schneider F., Erhard, E., Hewer, W. et al.: Mortalität und somatische Komorbidität bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen. Dtsch. Ärztebl. 2019; 116(23-24): 405-411.