Medizinische Umgangssprache
Synonyme: medizinische Alltagssprache, klinische Umgangssprache, klinische Alltagssprache
Definition
Die medizinische Umgangssprache ist eine abgewandelte, vereinfachte Form der medizinischen Fachsprache. Sie ist die Kommunikationsform, die von Ärzten und Angehörigen anderer Heilberufe im klinischen Alltag verwendet wird.
Hintergrund
Viele medizinische Fachbegriffe sind zu lang und zu kompliziert, um sie im klinischen Alltag zu verwenden. Anstelle der systematischen Bezeichungen werden daher häufig vereinfachte oder "nachlässigere" Ausdrücke verwendet. So werden lateinische Bezeichnungen eingedeutscht oder verbreitete Produktnamen statt der korrekten Gattungsnamen verwendet. Begriffe werden verkürzt und griffige Abkürzungen verwendet.
Typisch ist auch die persistierende Verwendung von alten Begriffen, die inhaltlich überholt, aber gut bekannt und weit verbreitet sind, zum Beispiel "Mycosis fungoides" statt "kutanes T-Zell-Lymphom" oder "AT III" statt "Antithrombin".
Beispiele
Fachausdruck | Umgangssprache |
---|---|
Musculus biceps brachii | Bizeps |
Urinkultur | Uricult® |
Suprapubischer Blasenkatheter | Cystofix® |
Peripherer Venenkatheter | Braunüle® oder Viggo® |
Sonografie | Sono |
Echokardiographie | Echo |
Koloskopie | Kolo |
Endoskopie | Endo |
Cholezystektomie | Gallen-OP oder "Galle" |
Orale Antikoagulation | Marcumarisierung |
Molekulargenetische Untersuchung | Gentest oder PCR |
labordiagnostisch | laborchemisch |
Antagonist, Inhibitor | Blocker oder Hemmer |
Anmerkungen
Wie alles in der Medizin hat auch die Umgangssprache Risiken und Nebenwirkungen. Häufig sind Begriffe nicht eindeutig:
- Aortenstenose ist zwar in der Regel die Kurzform von Aortenklappenstenose, aber es kann auch eine Stenose der Aorta selbst gemeint sein. Bei Mitralstenose tritt dieses Problem nicht auf.
- Als "Myelose" werden - etwas veraltet - Erkrankungen des Knochenmarks bezeichnet, die "Funikuläre Myelose" ist aber eine Erkrankung des Rückenmarks.
- Wenn von "Sinus" die Rede ist, handelt es sich meist um Nasennebenhöhlen, in der Proktologie wird aber eher ein Sinus pilonidalis gemeint sein.
- Mit "Lap-Galle" kann, je nach lokalem Sprachgebrauch, eine Cholezystektomie mittels Laparoskopie, aber auch Laparotomie, gemeint sein.
- "Konserve" ist in 99% der Fälle ein Erythrozytenkonzentrat, es kommen aber auch diverse andere Blutprodukte für diese Bezeichnung in Frage.
- Die Zweideutigkeit der Abkürzung "HWI" ist schon sprichwörtlich.
Für Uneingeweihte kann die Umgangssprache den Zugang zu Fachwissen erschweren oder sie als "Neulinge" abstempeln. Die Begriffsbildung ist oft tradiert und nicht logisch ableitbar:
- Die Thrombozytopenie heisst üblicherweise Thrombopenie, die Thrombozytose aber nicht Thrombose
- Ähnliches gilt für die Leukozyten. Es gibt zwar den Begriff Leukose, damit ist aber nicht die Leukozytose gemeint, sondern die Leukämie. Ein leichter Mangel an Neutrophilen Granulozyten wird "Neutropenie" genannt, ein schwerer Mangel dagegen Agranulozytose.
- Ein "Staph. negativ" ist im Laborjargon die Bezeichnung für Staphylokokken, die im Koagulasetest negativ reagieren, womit ein Staphylococcus aureus ausgeschlossen ist. Ein Kliniker kann damit nichts anfangen.
- "Mikroalbumin" ist nicht kleiner als normales Albumin, es soll nur bedeuten, das besonders niedrige Konzentrationen gemessen werden. Gemeint ist normalerweise Albumin im Urin.
Die medizinische Umgangssprache wandelt sich wie jede lebendige Sprache. Was gestern noch allgemeinverständlich war, kennt heute niemand mehr. Zum Beispiel wurde in den 1990er Jahren, als das Buch "House of God" Kult war, im Krankenhaus ständig "geturft" und "gewarpt" und die Notaufnahme war voller "Gomer". Dieser Trend ist stark rückläufig. Der Begriff "dottern" für die Durchführung einer Ballonangioplastie ist praktisch verschwunden, ebenso der "Astrup" als Synonym für die Blutgasanalyse.
Die dunkle Seite der Umgangssprache sind Begriffe, die die Arzt-Patient-Beziehung beschädigen können, weil sie Krankheitsbilder oder Untersuchungen ins Lächerliche ziehen oder von Ärzten benutzt werden, um sich ohne Wissen der zuhörenden Patienten über sie auszutauschen, wie "C2-Abusus" für die Alkoholsucht, "Fumator maximus" für Kettenraucher, "mediterraner Ganzkörperschmerz" für eine aus soziokulturellen Gründen veränderte Schmerzwahrnehmung oder "Hafenrundfahrt" für eine rektale Untersuchung.