Mechanorezeption
Englisch: mechanoreception
Definition
Unter Mechanorezeption versteht man einen physiologischen Vorgang, bei dem mechanische Reize aus der Umwelt über entsprechende Rezeptoren in elektrische Signale umgewandelt werden und somit für das ZNS verarbeitbar werden. Die dafür verantwortlichen Rezeptoren heißen Mechanorezeptoren.
Einteilung
Im menschlichen Körper gibt es 5 Sinnessysteme, bei denen die Signaltransduktion (zumindest teilweise) auf Mechanorzeptoren basiert.
Sinnessystem | Potentialänderung | Art der Zelle |
---|---|---|
Tastsinn | Depolarisation | primäre Sinneszelle (Nervenendigung) |
Propriozeption | Depolarisation | primäre Sinneszelle (Nervenendigung) |
Enterozeption | Depolarisation | primäre Sinneszelle (Nervenendigung) |
Vestibularorgan | richtungsabhängig: Depolarisation oder Hyperpolarisation |
sekundäre Sinneszelle (Haarzelle mit Synapse) |
Auditives System | richtungsabhängig: Depolarisation oder Hyperpolarisation |
sekundäre Sinneszelle (Haarzelle mit Synapse) |
Die Transduktion am Mechanorezeptor
Der adäquate Reiz für alle Rezeptoren - mit Ausnahme der Haarzelle im Innenohr - ist eine mechanische Verformung des Gewebes (Druck oder Dehnung).
In der Zellmembran der apikalen Zellseite sitzen Kationenkanäle (meistens Natriumkanäle), welche im Ruhezustand der Zelle geschlossen sind. Diese Kanäle sind über Mikrotubuli straff mit dem Zytoskelett der Zelle verbunden. Kommt es zu einer Dehnung oder Kompression der Zelle und somit des Zytoskeletts üben die Mikrotubuli einen Zug auf die Kanäle aus und öffnen diese. Dadurch kommt es zu einem Kationeneinstrom und die Zelle depolarisiert.
Nach der Folgereaktion, welche die Depolarisation hat, unterscheidet man zwei Arten von Sinneszellen:
- Primäre Sinneszellen: Am Axonhügel werden Aktionspotentiale generiert, deren Frequenz vom Rezeptorpotential abhängt.
- Sekundäre Sinneszellen: Es wird ein Neurotransmitter ausgeschüttet, dessen Menge vom Rezeptorpotential abhängt.
Die Transduktion in der Haarzelle
Auf der apikalen Seite der Haarzellen befinden sich Stereozilien, welche Kaliumkanäle enthalten. Über Tip-Links sind diese Kaliumkanäle jeweils mit der benachbarten Stereozilie verbunden.
Im Ruhezustand stehen die Tip-Links unter leichter Spannung, so dass sie die Kaliumkanäle immer ein Stück geöffnet halten und es somit dauerhaft zu einem gewissen Kaliumeinstrom kommt. Die Haarzelle hat daher eine hohe spontane Ruheaktivität.
Werden die Stereozilien nun durch Bewegung der Endolymphe zur Seite ausgelenkt, so kommt es je nach Richtung zu einer Dehnung bzw. Stauchung der Tip-Links und somit zur Öffnung bzw. zum kompletten Verschluss der Kaliumkanäle. Bei der Öffnung kommt es zu einem Kaliumeinstrom und die Zelle depolarisiert. Bei Verschluss der Kaliumkanäle versiegt der Kaliumeinstrom und die Zelle hyperpolarisiert.
Mit der Veränderung des Rezeptorpotentials ändert sich auch die Transmitterausschüttung (Glutamat) und somit die Aktionspotentialfrequenz am afferenten Axon.
Übersicht über die Mechanorezeptoren
Mechanorezeptoren des Tastsinns
Zu den Mechanorezeptoren des Tastsinns zählen:
SA-Rezeptoren
Die SA-Rezeptoren (von englisch: "slow adapting") sind verantwortlich für die Druckempfindung.
RA-Rezeptoren
Die RA-Rezeptoren (von englisch: "rapid adapting") sind verantwortlich für die Berührungsempfindung.
PC-Rezeptoren
Die PC-Rezeptoren (von englisch: "pacinian corpuscle") sind verantwortlich für die Vibrationsempfindung.
Mechanorezeptoren der Propriozeption
Zu den Mechanorezeptoren für die Propriozeption zählen:
- Muskelspindel (intrafusale Muskelfasern)
- Golgi-Sehnenorgan (nahe dem muskulären Ursprung der Sehne)
- Ruffini-Körperchen (in den Gelenkkapseln und Bändern)
Mechanorezeptoren der Enterozeption
Zu den Mechanorezeptoren, die für die Enterozeption verantwortlich sind, zählen:
Kardiovaskuläres System
- Barorezeptoren (Pressosensoren) im Carotis-Sinus und den Aortenbögen messen durch die Dehnung der Gefäßwand den Blutdruck und leiten, wenn nötig, eine Gegenregulation ein, die über parasympathische Fasern des Nervus vagus vermittelt werden.
- Dehnungsrezeptoren in den Wänden der Vorhöfe messen das Füllungsvolumen und leiten gegebenfalls Gegenregulationsmaßnahmen über Ausschüttung von ANP (Atriales natriuretisches Peptid) ein.
Gastrointestinaltrakt
- Dehnungsrezeptoren im Magen führen zu Sättigungs- bzw. Völlegefühl.
- Dehnungsrezeptoren im Mastdarm verursachen den Defäkationsdrang.
Pulmonales System
- Irritationssensoren in der Trachea und den Hauptbronchien dienen der Erkennung von Fremdkörpern und lösen den Hustenreflex aus.
- Dehnungsrezeptoren, welche den Hering-Breuer-Reflex auslösen.
Urogenitales System
Auditives und vestibuläres System
Die Mechanorezeptoren in diesen beiden Systemen sind die Haarzellen. Sie sitzen im Corti-Organ des auditiven Systems sowie in den Bogengängen und Makulaorganen des vestibulären Systems.