Bipolare Störung
Synonyme: bipolare affektive Störung, manisch-depressive Erkrankung
Englisch: bipolar disorder
Definition
Bipolare Störungen sind psychische Störungen und gehören zu den affektiven Störungen. Kennzeichnend ist das abwechselnde Auftreten von depressiven und manischen Phasen.
- ICD10-Code: F31
Epidemiologie
Die 12-Monatsprävalenz in Deutschland beträgt etwa 0,29% (Frauen 0,32%, Männer 0,25%). Die Patienten erkranken im Durchschnitt mit 55 Jahren (SD 17 Jahre). Die 2-Jahres-Mortalität ist auf 1,52 (1,42 - 1,62; OR [KI]) erhöht. Die Lebenszeit ist altersabhängig um 3 - 5 Jahre verkürzt.[1]
Bipolare Störungen sind mit einem Fallaufkommen von 171.424 Behandlungsfällen (2016) gegenüber unipolaren Depressionen mit 1.196.710 Behandlungsfällen seltener. Überwiegend beginnt eine bipolare Störung zwischen dem 17. und 21. Lebensjahr. Jenseits des 40. Lebensjahrs ist die Erstmanifestation einer bipolaren Störung selten. Es besteht kein Unterschied zwischen Männern und Frauen im Bezug auf das Erkrankungsrisiko. Mit der Dauer der Krankheit steigt das Risiko, dass sich ein "Rapid Cycling" entwickelt. Hier sind Frauen deutlich häufiger betroffen.
Differenzialdiagnosen
- Affektive Störungen
- Unipolare Depression
- Rekurrente kurzdauernde Depression
- Dysthymie
- Persönlichkeitsstörungen
- Weitere psychische Störungen
- Internistische Erkrankungen
- Schilddrüsenerkrankungen (Hypothyreose/Hyperthyreose)
- Hyperkortisolismus
- Neurologische Erkrankungen
- Encephalomyelitis disseminata (= Multiple Sklerose, Vorkommen von Depression und Fatigue-Syndrom)
- Morbus Pick (Frontotemporale Demenz)
- Frontalhirntumoren (Frontalhirnprozesse gehen mit Persönlichkeitsveränderungen einher)
- Epilepsie (Persönlichkeitsveränderungen)
- Neurolues (Vorkommen von Wahn/Größenwahn)
- Pharmakologische Ursachen
- Psychostimulantien, (z.B. Kokain, Amphetamine, Ecstasy)
- Antidepressiva
- Antihypertensiva (z.B. ACE-Hemmer)
- Antiparkinsonmittel
- Hormonpräparate (z.B. Kortison, ACTH)
Unterteilung
Je nach Dauer, Häufigkeit und Intensivität der einzelnen Phasen werden zwei bipolare Störungen unterschieden:
Weitere Nebenformen sind das Rapid Cycling und Mischzustände.
Symptome
Bipolare Störungen sind gekennzeichnet vom (zyklischen) Wechsel zwischen depressiven und manischen Zuständen. Wie der Name "bipolar" schon sagt, handelt es sich um eine (möglicherweise) rasch wechselnde Symptomatik von euphorischen respektive dysphorischen Zuständen.
Therapie
Therapiegrundlagen
Da sich Menschen mit bipolarer Störung in den manischen Phasen oft sehr krankheitsuneinsichtig zeigen, ist eine vertrauensvolle Beziehung zwischen Arzt und Patient von großer Bedeutung. Daher sollten intensive Aufklärungsgespräch erfolgen. Diese sollten unter anderem enthalten:
- Erläuterung zu Akuttherapie und Phasenprophylaxe
- Darstellung der Wirkmechanismen mit Hinweis auf die Wirklatenzen
- Angaben zu Neben- und Wechselwirkungen
- Informationen über die zu erwartende Dauer der Behandlung
- Körperliches Training
Viele Betroffene stehen einer medikamentösen Therapie kritisch bzw. ablehnend gegenüber. Diese Vorbehalte sollten thematisiert werden.
Medikamente
Phasenprophylaxe
Phasenprophylaktika sind die Basis der medikamentösen Therapie. Eine prophylaktische Therapie der bipolaren Störung erfolgt mit Stimmungsstabilisierern wie Lithium oder Antikonvulsiva wie Carbamazepin, Valproinsäure oder Lamotrigin. Lithium gilt als das effektivste Medikament. Bei seiner langfristigen Anwendung sind Laborkontrollen zur frühen Erfassung einer Niereninsuffizienz, einer Hypothyreose, einer Hyperkalziämie und eines Hyperparathyreoidismus wichtig.
Manie
Lithiumsalze mildern oder beheben manische Zustände und beugen einem Rückfall sowohl manischer als auch depressiver Episoden vor. Valproinsäure und Carbamazepin sind gegen Manien wirksam. Dies ist für Lamotrigin nicht belegt. Weitere Therapieempfehlungen für die Manie sind:
- Aripiprazol, Quetiapin, Olanzapin oder Risperidon
- geeignet zur Therapie der Manie und von Mischzuständen
- kann zusätzlich zur Phasenprophylaxe mit Lithium oder Valproat verwendet werden
- Olanzapin kann zudem auch bei gereizter Manie eingesetzt werden.
- Haloperidol: kann als Monotherapie zur Behandlung der Manie in der Notfallsituation und zur Kurzzeittherapie eingesetzt werden
- Allopurinol: kann in Kombination mit Haloperidol oder zusätzlich zu Lithium bei der Therapie der akuten Manie Verwendung finden
- Benzodiazepine: können unterstützend zur Reduktion einer Agitiertheit im Rahmen einer manischen Episode gegeben werden. Wegen des Abhängigkeitsrisikos soll die Behandlung jedoch nur zeitlich eng begrenzt erfolgen.
Depression
Carbamazepin und Lamotrigin können zur Akutbehandlung einer bipolaren Depression verwendet werden. Letzteres muss jedoch sehr langsam aufdosiert werden, was dem Patienten einen zeitlichen Nachteil verschafft. Der Einsatz von Valproinsäure ist für die akute Behandlung einer bipolaren Depression nicht zu empfehlen, da akut-antidepressive Wirkung offensichtlich fehlt. Lithium kann als Monotherapie nicht zur Akutbehandlung einer bipolaren Depression empfohlen werden. Weitere Therapieempfehlungen für die Depression sind:
- Entsprechend der Leitlinien gibt es keine klare Empfehlung, ob in der Akutbehandlung einer bipolaren Depression ein Antidepressivum in Monotherapie gegeben werden kann oder nicht. Ebenso existiert keine Empfehlung für ein bestimmtes Präparat.
- Im Verlauf einer bipolaren Depression kann es zum verhältnismäßig raschen Umschlagen der Symptomatik in eine manische oder gemischte Episode kommen. Es ist nicht erwiesen, welche Rolle dabei die Gabe von Antidepressiva spielt. Ein vergleichsweise geringes Risiko für ein Umschlagen besteht bei Fluoxetin, Paroxetin oder Bupropion. Ein höheres Risiko scheint bei einer Behandlung mit trizyklischen Antidepressiva zu bestehen.
- Für Aripiprazol gibt es keine Empfehlung für die Akutbehandlung
- Olanzapin kann als Monotherapie eingesetzt werden und zeigt Wirksamkeit bei Bipolar-I-Patienten.
- Quetiapin ist als Monotherapie empfohlen.
Mischzustände
Die medikamentöse Therapie von Mischzuständen ist schwierig. Zumeist erfolgt eine Kombinationstherapie. Hier stehen atypische Neuroleptika zu Verfügung. Zudem wird mit Antidepressiva und Phasenprophylaktika behandelt.
Psychotherapie
Die Psychotherapie wird bei bipolaren Störungen gemeinhin als ergänzende Therapie zur Erhaltung, Stabilisierung und als Rezidivprophylaxe angesehen. Sie ist keine Alternative zur Pharmakotherapie, die nicht verzichtbar ist. Eine effiziente Psychotherapie bei bipolaren Störungen beinhaltet (Minimalforderung):
- Psychoedukation über die Erkrankung, Medikation usw.
- Fähigkeit zur Selbstbeobachtung insbesondere im Bezug auf die Stimmungsveränderungen
- Aufbau der Fähigkeit zum Selbstmanagement der persönlichen Frühwarnzeichen und Stimmungsschwankungen
- Stressmanagement
- Normalisierung und Stabilisierung des Lebensrhythmus (v.a. Tag-Nacht-Rhythmus, ausreichender Schlaf, Reizabschirmung falls eine erneute manische Phase droht, adäquate Einnahme der Medikation)
- Vorbereitung auf Krisen und Notfälle, insbesondere Rezidive
Wirksamkeitsnachweise liegen vor für die:[2]
Elektrokonvulsionstherapie (EKT)
Die EKT ist ein Therapieverfahren, bei dem in Kurznarkose unter Muskelrelaxation ein zerebraler Krampfanfall ausgelöst wird. Bei schweren therapieresistenten Manien findet die EKT Anwendung.
Weblinks
Quellen
- ↑ Schneider F., Erhard, E., Hewer, W. et al.: Mortalität und somatische Komorbidität bei Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen. Dtsch. Ärztebl. 2019; 116(23-24): 405-411.
- ↑ Hasler, G., Preisig, M., Müller, Th.J. et al.: Bipolare Störungen: Update 2019. Swiss Medical Forum 2019; 19(33-34): 537-546.