Infektiöse Küken-Anämie (Geflügel)
Synonym: Infektiöse Anämie der Küken
Englisch: chicken infectous anemia
Definition
Die infektiöse Anämie der Küken ist eine für seronegative Küken akut verlaufende Erkrankung, die mit vorübergehender Anämie und Schädigung des Immunsystems einhergeht.
Ätiologie
Das Virus der infektiösen Anämie ist das Chicken Infectious Anemia Virus (CIAV). Das Virus gehört zur Familie der Circoviridae und ist der einzige Vertreter der Gattung Gyrovirus. CIAV ist ein unbehülltes, hexagonales und etwa 25 nm großes Virus mit einer einzelsträngigen und zirkulären DNA negativer Polarität (ssDNA). Es codiert für drei Proteine (VP1, VP2 und VP3).
CIAV zeichnet sich v.a. durch eine hohe Tenazität mit ausgeprägter Resistenz gegenüber Wärme und Desinfektionsmitteln aus. Klinisch manifeste Erkrankungen konnten bislang nur beim Huhn nachgewiesen werden. Asymptomatische Infektionen mit Antikörperbildung sind auch bei der Japanwachtel beschrieben.
Epidemiologie
Die infektiöse Anämie der Küken ist nahezu weltweit verbreitet. Das Virus verursacht eine akute oder subklinisch verlaufende Infektionskrankheit bei Hühnerküken, die noch keine maternalen Antikörper besitzen. Aufgrund einer ausgeprägten Immunsuppression sowie einer aplastischen Anämie kommt es durch Sekundärinfektionen zu großen wirtschaftlichen Verlusten. Hierbei stellen v.a. subklinische CIAV-Infektionen ein nicht zu unterschätzendes Problem für die Masthuhnproduktion dar. Die Erkrankung führt zudem bei Herstellern von spezifisch-pathogenfreien Eiern (SPF-Herde) zu massiven Verlusten, da diese Betriebe nicht mehr für die Produktion von SPF-Eiern (hauptsächlich für die Impfstoffherstellung) verwendet werden können.
CIAV ist häufig auch an folgenden multifaktoriellen Erkrankungen beteiligt:
Pathogenese
Die Übertragung (auch über Sperma) stellt für die kommerzielle Masthuhnproduktion die bedeutsamste Infektionsquelle dar. Horizontale Virusübertragungen sind jedoch auch möglich.
Bei sehr jungen Tieren (< 3 Lebenswochen) findet die Virusreplikation vorwiegend in den Hämozytoblasten des Knochenmarks und in den T-Vorläuferzellen statt. Im Gegensatz dazu vermehrt sich der Erreger bei älteren Tieren (> 3 Lebenswochen) hauptsächlich in der Thymusrinde und nur zu einem geringen Anteil in den Zellen des Knochenmarks. Der Erreger gelangt vermutlich durch Adsorption und Penetration in seine Zielzellen.
Sind seronegative und junge (< 3 Lebenswochen) Tiere infiziert, kommt es zur Zerstörung der Zielzellen und zu einer Störung der Blutbildung mit konsekutiver Anämie sowie T-Zell-Defizienz. Infolge dessen entwickelt sich eine ausgeprägte Immunsuppression, sodass es rasch zu Sekundärinfektionen kommt. Aufgrund eines weitreichenden Zelluntergangs infolge von Apoptose der T-Vorläuferzellen atrophiert der Thymus. Parallel dazu sind häufig auch andere lymphoide Organe (z.B. Knochenmark, Bursa cloacalis und Milz) betroffen und zeigen eine Lymphozytendepletion.
Die Viren können sowohl in Darm-assoziierten lymphatischen Geweben als auch in den Gonaden über mehrere Wochen persistieren und für eine rasche und weitreichende Durchseuchung in der Herde sorgen.
Immunologie
Infizierte Hühnereltern geben das Virus zwischen der 3. und 9. Woche p.i. vorwiegend über den Kot und möglicherweise auch über Federfollikelepithel weiter.
Ein Großteil der Elterntiere durchläuft bis zur Legereife eine natürliche oder induzierte Infektion und wird so aktiv zur Bildung von Antikörpern angeregt. Auf diese Weise wird eine vertikale Infektion verhindert, wobei die Nachkommen aufgrund der maternalen Antikörper zusätzlich vor einer horizontalen Infektion nach dem Schlupf geschützt sind. Etwa in der 3. Lebenswochen bildet sich bei den Küken eine Altersresistenz gegen die klinische Anämie aus, die v.a. durch die rasche Bildung CIAV-spezifischer Antikörper gekennzeichnet ist.
Klinik
Nach experimenteller Infektion beträgt die Inkubationszeit 8 bis 10 Tage. Klinische Manifestationen treten in der Regel nur bei Jungtieren bis zur 3. Lebenswoche auf, während ältere Tiere symptomlos infiziert sein können.
Die Morbidität schwankt stark und liegt häufig zwischen 80 und 100 %, während die Mortalität meist 30 % beträgt (zwischen 10 und 60 %). Erkrankte Herden fallen durch eine erhöhte Mortalität (bis zum 14. Tag p.i.) und Anämie (zwischen 14. und 16. Tag p.i.) auf. Die Hämatokritwerte liegen häufig zwischen 6 und 27 % (physiologisch: > 27 %). Aufgrund dessen erscheinen v.a. der Kopf sowie die Kopfanhänge, aber auch die Ständer und die Muskulatur blass. Unter Feldbedingungen wird häufig ein zweiter Mortalitätsanstieg zwischen dem 30. und 34. Tag p.i. beobachtet.
Die erkrankten Tiere erscheinen unruhig, sind matt und verweigern sowohl die Futter- als auch Wasseraufnahme. Innerhalb einer Herde wachsen die Tiere schnell auseinander und entwickeln gehäuft Sekundärinfektionen, die oft zum Tod führen.
Pathohistologie
Sowohl der Thymus als auch die Bursa cloacalis und die Milz atrophieren. Das ursprünglich rote Knochenmark nimmt eine charakteristische gelblich-weiße bzw. rosa Farbe an. In der Muskulatur, dem Drüsenmagen und der Unterhaut sind multiple Blutungen auffindbar und die Leber erscheint geschwollen.
Histologisch fallen v.a. eine Panmyelophthise (Atrophie des blutbildenden Gewebes) sowie Nekrosen und Ödeme in lymphoiden Geweben (Bursa cloacalis, Thymus und Milz) und Zystenbildung auf. Oftmals sind auch degenerierte Zellen in der Leber und Niere nachweisbar.
Diagnose
Die Virusisolation ist aus den meisten Geweben sowie aus den Leukozyten und dem Enddarminhalt bis zum 14. Tag p.i. möglich. Die Virusanzucht gelingt am besten in Eintagsküken ohne maternale Antikörper. Alternativ können auch lymphoblastoide Zelllinien (z.B. MDCC-MSB1, MDCC-CU147) sowie Hühnerembryos (nach Dottersackinokulation) verwendet werden.
Die endgültige Diagnosestellung erfolgt mittels PCR. Ein serologischer Nachweis ist mithilfe eines ELISA, einem Virusneutralisationstests sowie mittels Immunfluoreszenztest möglich.
Therapie
Eine gezielte antivirale Therapie ist nicht verfügbar. Die Bekämpfung konzentriert sich daher auf allgemeine Hygiene- und Isolationsmaßnahmen und den prophylaktischen Einsatz von Vakzinen.
Prophylaxe
Die rechtzeitige Immunisierung der Elterntiere verhindert eine vertikale Infektion. Durch hohe maternale Antikörper kann zusätzlich eine horizontale Infektion der Jungtiere vermieden werden. In Deutschland stehen hierfür verschiedene Lebendimpfstoffe zur Verfügung. Diese werden zwischen der 12. und 18. Lebenswoche über das Trinkwasser den Elterntieren verabreicht. Vor Beginn der Legetätigkeit und der Ernte von Bruteiern ist jedoch der Impferfolg zu kontrollieren.
Um einen effektiven Schutz zu gewährleisten, dürfen die Elterntiere nicht später als 3 bis 4 Wochen vor der Bruteigewinnung vakziniert werden.
Quelle
- ViralZone. Circoviridae SIB - Swiss Institute of Bioinformatics (abgerufen am 16.08.2021)
Literatur
- Rautenschlein S, Ryll M. 2014. Erkrankungen des Nutzgeflügels. 1. Auflage. Stuttgart: UTB Verlag GmbH. ISBN: 978-3-8252-8565-5
- Siegmann O, Neumann U (Hrsg.) 2012. Kompendium der Geflügelkrankheiten. 7., überarbeitete Auflage. Hannover: Schlütersche Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG. ISBN: 978-84268333-4