Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (Neugeborenes)
Abkürzung: HIE
Englisch: hypoxic ischaemic encephalopathy
Definition
Die hypoxisch-ischämische Enzephalopathie des Neugeborenen, kurz HIE, bezeichnet eine Hirnschädigung, die durch unzureichende Versorgung des Hirngewebes mit Sauerstoff (Hypoxie) und Blut (Ischämie) ausgelöst wird. Sie tritt im Rahmen einer perinatalen Asphyxie auf und ist gekennzeichnet durch neurologische Symptome wie abnorme Reflexe, Krampfanfälle oder Veränderungen des Bewusstseinszustandes. Schwere Formen der Erkrankung sind mit einer hohen Mortalität verbunden.
Epidemiologie
Die Prävalenz einer hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie beim Neugeborenen liegt bei etwa 1 bis 3/1.000 Lebendgeburten.[1]
Ätiologie
Eine perinatale Asphyxie kann beispielsweise ausgelöst werden durch:
- Unterbrechung der Nabelschnurperfusion (Nabelschnurumschlingung, Nabelschnurruptur, Nabelschnurvorfall)
- Inadäquate Perfusion auf der mütterlichen Seite der Plazenta (Präeklampsie, Plazentalösung)
- Maternale Sauerstoffminderversorgung (Asthma, Lungenembolie)
- Fetale Sauerstoffminderversorgung (Thrombose)
Risikofaktoren
Risikofaktoren für eine HIE sind unter anderem:[2]
- Fetale Bradykardie (HF <15 Schläge/min über mehr als 2 Minuten)
- Pränatale Komplikationen (z.B. Ruptur der Nabelschnur, Plazentalösung)
- Anhaltende Reanimation über die ersten zehn Lebensminuten hinweg
Symptome
Eine HIE macht sich in der Regel durch typische neurologische Symptome bemerkbar. Dazu zählen u.a.:[2]
- Veränderter Bewusstseinszustand (Lethargie bis Stupor oder Koma)
- Verminderte oder fehlende Aktivität
- Verstärkte, reduzierte oder fehlende Primitivreflexe (z.B. Moro-Reflex, vestibulookulärer Reflex)
- Hyptoner oder schlaffer Muskeltonus
- Abnorme autonome Reflexe
- Bradykardie
- Unregelmäßige Atmung bzw. Apnoe
- Krämpfe
- Dilatierte, enge oder lichtstarre Pupillen
Bei einer leichten HIE können diese Symptome schwach ausgeprägt sein oder komplett fehlen.
Diagnostik
Die Diagnose stützt sich im Wesentlichen auf die Anamnese und den klinischen Verlauf. Das Vorliegen von Risikofaktoren kann dabei wegweisend sein.
Im Labor können zudem erhöhte Troponin-, AST-, ALT- und LDH-Konzentrationen nachgewiesen werden. Ergänzende Informationen kann das EEG liefern.[1]
Durch eine zerebrale Magnetresonanztomographie (im Alter von einigen Tagen bis 2 Wochen) können typische Zeichen einer HIE wie subkortikale Läsionen, Veränderungen der Stammganglien, und Läsionen der weißen Substanz detektiert werden.[2]
Eine HIE ist anzunehmen, wenn die folgenden Kriterien vorliegen:[2]
- Schwere metabolische Azidose im Nabelarterienblut (pH<7,0) direkt nach der Geburt
- Frühe klinische Zeichen einer Enzephalopathie z.B.:
- Störungen kortikaler Funktionen (z.B. Stupor, Lethargie, Koma)
- Störungen der Hirnstammfunktion (z.B. Hirnnervenausfälle)
- Störungen des Muskeltonus
- Störungen der Reflexe
- Zeichen globaler Hirnschädigung (Zerebralparese im weiteren Verlauf der kindlichen Entwicklung)
- Ausschluss anderer Ursachen für die Hirnschädigung
Den klinischen Schweregrad einer HIE erfasst man mithilfe des Sarnat- oder Thompson-Scores. Dabei wird die HIE in eine leichte, moderate und schwere Form unterteilt.
Therapie
Die Therapie der HIE zielt darauf ab, die Langzeitfolgen der Enzephalopathie zu minimieren und eventuelle weitere asphyktische Organschäden (Lunge, Herz, Niere) zu behandeln. Der bereits eingetretene Nervenzellverlust ist in der Regel irreparabel.
Die Behandlung sollte in einem spezialisierten Perinatalzentrum unter engem Monitoring der Vitalfunktionen des Neugeborenen und unter einer kontinuierlichen EEG-Aufzeichnung erfolgen. Abhängig vom Schwergrad der HIE können dabei neuroprotektive Maßnahmen, wie z.B. eine kontrollierte Hypothermie eingesetzt werden. Diese kann die Schädigung der Gehirnzellen reduzieren und somit die Sterblichkeit und das Risiko für Langzeitfolgen verringern.[3]
Prognose
Im weiteren Verlauf erfolgt in regelmäßigen Abständen eine Beurteilung der neurologischen Entwicklung. Insgesamt sind Nachuntersuchungen von betroffenen Kindern bis in Schulkindalter sinnvoll.[2]
Die Prognose ist interindividuell verschieden. Bei einer milden Enzephalopathie entwickeln sich die meisten Neugeborenen normal. Liegt hingegen eine moderate Enzephalopathie vor, haben die Kinder ein 20 bis 35-prozentiges Risiko, Spätfolgen zu entwickeln.[2] Mögliche Langzeitfolgen sind unter anderem Entwicklungsverzögerungen, Seh- und Hörstörungen, kognitive Beeinträchtigungen und eine Zerebralparese.[1]
Die Letalität ist hoch (bis zu 75 %), wenn die Kinder eine schwere Enzephalopathie aufweisen.[2]
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Pschyrembel online - Hypoxisch ischämische Enzephalopathie (HIE), abgerufen am 07.12.2021
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 2,5 2,6 Leitlinie Behandlung der neonatalen Asphyxie unter besonderer Berücksichtigung der therapeutischen Hypothermie, abgerufen am 06.12.2021
- ↑ Cochrane - Kühlung von Neugeborenen mit hypoxisch-ischämischer Enzephalopathie, abgerufen am 07.12.2021
Literatur
- Orphanet - Neonatal hypoxic and ischemic brain injury, abgerufen am 07.12.2021