Hypoxisch-ischämische Enzephalopathie (Erwachsene)
Synonym: posthypoxische Leukenzephalopathie
Englisch: hypoxic ischaemic encephalopathy, posthypoxic leukoencephalopathy
Definition
Eine hypoxisch-ischämische Enzephalopathie des Erwachsenen, kurz HIE, bezeichnet eine Hirnschädigung, die durch eine unzureichende Versorgung des Hirngewebes mit Sauerstoff (Hypoxie) bzw. Blut (Ischämie) ausgelöst wird. Ursächlich ist meistens ein Kreislaufstillstand. Eine HIE ist durch neurologische Symptome gekennzeichnet, insbesondere Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma.
Ätiologie
Am häufigsten tritt eine HIE nach einer erfolgreichen kardiopulmonalen Reanimation als Teil eines Postreanimationssyndroms auf. Eine andere, seltenere Form ist die primäre zerebrale Hypoxie bei erhaltenem zerebralen Blutfluss (z.B. bei Vergiftungen durch Benzodiazepine, Cyanide, Kohlenmonoxid, Opioide oder bei Status asthmaticus).[1][2]
Pathophysiologie
Im Rahmen eines Kreislaufstillstands kommt es durch den insuffizienten Blutfluss zu einer globalen zerebralen Ischämie. Dadurch sinkt der Sauerstoffgehalt im Hirngewebe drastisch. Der Zusammenbruch von Ionenkanälen und der oxidative Stress führen zu einem zytotoxischen Hirnödem und zur Exzitotoxizität. Ab einer Ischämiedauer von ungefähr drei Minuten tritt ein Nervenzelluntergang ein.
Im Rahmen einer primären zerebralen Hypoxie ist der zerebrale Blutfluss vorerst erhalten und reduziert sich sekundär. Bei einer Kohlenmonoxidvergiftung ist die reduzierte Sauerstofftransportfähigkeit, bei einem Status asthmaticus die mangelnde Oxygenierung des Blutes ursächlich für die zerebrale Hypoxie.[1]
Symptome
Der klinische Verlauf gestaltet sich unterschiedlich. Mögliche neurologische Symptome einer HIE bei Erwachsenen sind beispielsweise:[1]
- Veränderung des Bewusstseinszustandes (Koma, Syndrom reaktionsloser Wachheit, Syndrom des minimalen Bewusstseins)
- Fehlende motorische Reaktionen auf Schmerzreize
- Fehlende Pupillenreaktion
- Myoklonien
- Epileptische Anfälle oder Status epilepticus
Diagnostik
Die Diagnostik einer HIE beim Erwachsenen erfolgt durch ein interdisziplinäres Team, bestehend aus Internisten, Anästhesisten bzw. Notfallmedizinern und Neurologen.
Je nach vermuteter Ursache des Kreislaufstillstandes sind unterschiedliche diagnostische Verfahren indiziert z.B.:[1]
- Koronarangiographie (bei ST-Hebungsinfarkt oder hämodynamischer Instabilität)
- CT-Untersuchung von Schädel und Thorax (z.B. zum Ausschluss einer Lungenembolie oder SAB)
Nach etwa 72 bis 96 Stunden sollte die Prognose durch einen Neurologen eingeschätzt werden. Bestandteile der neurologischen Untersuchung sind beispielsweise:[1]
- Klinische neurologische Untersuchung
- Bewertung des Bewusstseinszustandes
- Kornealreflex
- Pupillenreaktion
- Motorische Reaktion auf Schmerzreize
- Bestimmung der NSE-Konzentration im Serum (korreliert mit Ausmaß der HIE)
- EEG
- Somatosensorisch evozierte Potentiale
Therapie
Die Therapie ist multimodal. In der akuten Phase nach einer Reanimation werden die Patienten intensivmedizinisch versorgt. Dabei erfolgt unter anderem ein kontinuierliches Monitoring der Vitalfunktionen und eine Optimierung der Ventilation, Oxygenierung und Hämodynamik.[1]
Dabei wird eine ursächliche Therapie des Kreislaufstillstandes angestrebt. Mögliche therapeutische Optionen sind beispielsweise die Durchführung einer perkutanen koronaren Intervention im Rahmen einer Herzkatheteruntersuchung, die Implantation eines ICD oder eine Pharmakotherapie.[1]
Eine weitere Therapieoption ist die gezielte Hypothermie, auch als Targeted Temperature Management (TTM) bezeichnet. Hierbei senkt man die Körpertemperatur des Patienten über 24 Stunden auf 32 bis 34°C, mit anschließender Wiedererwärmung um maximal 0,5°C/h. In aktuellen Studien (Stand 2023) wurde kein Nutzen der TTM nachgewiesen. Es ist unklar, ob gewisse Patienten-Subgruppen davon profitieren.
Wichtig ist weiterhin eine Vermeidung von Fieber über 37,7°C.[3]
Die Therapie einer HIE beinhaltet zudem die Behandlung neurologischer Komplikationen.
Andere Formen bzw. Auslöser der HIE (z.B. Kohlenmonoxidvergiftung, Status asthmaticus) müssen spezifisch behandelt werden.
Im weiteren Verlauf sollte eine Rehabilitation der Patienten in einer neurologischen Abteilung erfolgen.
Prognose
Eine HIE im Erwachsenenalter kann zu verschiedenen Langzeitfolgen führen. Patienten, die eine milde HIE aufweisen, erwachen meist rasch aus dem Koma und sind auch funktionell nur wenig eingeschränkt. Jedoch zeigen sich bei bis zu 50 % der Patienten kognitive Defizite wie Einschränkungen des Gedächtnisses oder Störungen der Aufmerksamkeit.
Patienten mit einer schweren HIE haben eine deutlich schlechtere Prognose. So ist zwar ein Wiedererlangen des Bewusstseins auch noch nach Monaten möglich, eine Unabhängigkeit der betroffenen Patienten im Alltag wird jedoch meistens nicht erreicht.