Seeschlange
Zoologische Bezeichnung: Hydrophinae, Hydrophidae
Englisch: sea snakes
Definition
Die Seeschlangen sind eine Gruppe von circa 60 marinen und semi-marinen Giftschlangen, die zumeist als Unterfamilie (Hydrophinae) den Giftnattern zugeordnet werden. Sie besitzen in der Regel potente Zootoxine, Bissunfälle kommen jedoch äußerst selten vor.
Biologie
Seeschlangen weisen einen schlanken, aber dennoch kräftigen Körperbau, einen je nach Art kaum bis deutlich vom Hals abgesetzten Kopf, glatte oder rauhe Körperschuppen und bei Lichteinfall runde Pupillen auf. Die Tiere werden im Durchschnitt 80 bis 150 cm lang, die größten Arten erreichen über 250 cm Gesamtlänge (Hydrophis-Arten). Der Körper ist variabel gefärbt. Die Fortpflanzung erfolgt fast ausschließlich durch Ovoviviparie (ei-lebendgebährend) im Wasser, lediglich Laticauda-Arten pflanzen sich durch Oviparie fort und gehen zur Eiablage an Land. Zum Beutespektrum zählen vor allem Fische, ggf. auch Kopffüßer, Krabben und Garnelen und andere Wirbellose. Emydocephalus-Arten ernähren sich bevorzugt von Fischeiern; hieraus ergibt sich für diese Gattung eine verringerte Giftigkeit. Gegenüber dem Menschen sind Seeschlangen nicht aggressiv, Unfälle ereignen sich am ehesten, wenn man die Tiere bewusst fängt.
Folgende Merkmale sind charakteristisch für Seeschlangen:
- Salzdrüse unterhalb der Zunge, um überschüssiges Salz mit dem Speichel auszuscheiden.
- Seitlich abgeflachter Schwanz zwecks Fortbewegung im Wasser (Flossenfunktion).
- Rechter Lungenflügel enorm vergrößert, teilweise reicht er bis in den Schwanz.
Die Lunge dient als Sauerstoffspeicher während der bis zu zwei-stündigen und bis zu 180 Meter tiefen Tauchgänge sowie zum Teil dem Auftrieb bzw. der Positionshaltung im Wasser. Vermutlich können die meisten Seeschlangen in einem gewissen Umfang Sauerstoff aus dem Wasser über die Haut aufnehmen.
Giftapparat
Der Giftapparat im Allgemeinen ist typisch für alle Vertreter der Giftnattern:
- Giftdrüse: evolutionsbiologisch betrachtet eine umgebildete Speicheldrüse, seitlich beiderseits des Schädels, von Muskeln umgeben.
- Giftkanal, welcher Giftdrüse und Giftzähne verbindet.
- Giftzähne (Fangzähne): relativ klein (2,5 bis 4,5 mm), nicht beweglich und festsitzend, beiderseits im vorderen Oberkiefer befindlich. Sie besitzen einen Giftkanal, über welchen das Gift im Falle eines Bisses injiziert wird.
Taxonomie
Die Systematik (Taxonomie) der Seeschlangen variiert je nach Autor, in der Regel werden die Seeschlangen den Giftnattern (Elapidae) zugeordnet. Der genaue Status der Seeschlangen und der australoasiatischen Giftnattern ist unsicher. Phylogenetische Studien stehen häufig noch aus. Wahrscheinlich haben sich die Seeschlangen im Zuge der Evolution aus australischen und asiatischen, terrestrischen Giftnattern entwickelt. Im Folgenden werden die bekannten Gattungen der marinen und semi-marinen Seeschlangen unter Ausschluß terrestrischer (landbewohnender) australoasiatischer Giftnattern genannt:
- Acalyptophis
- Aipysurus
- Astrotia
- Emydocephalus
- Enhydrina
- Ephalophis
- Hydrelaps
- Hydrophis
- Kerilia
- Kolpophis
- Lapemis
- Laticauda (Plattschwanz, See-Krait)
- Parahydrophis
- Parapistocalamus
- Pelamis (P. platura, Plättchen-Seeschlange)
- Thalassophis
Die Gattung Laticauda nimmt eine Sonderstellung ein, einige Autoren ordnen sie einer eigenen Unterfamilie (Laticaudinae) innerhalb der Seeschlangen zu. Im Gegensatz zu anderen Seeschlangen sind Laticauda-Arten nicht komplett marin sondern suchen zu verschiedenen Anlässen das Land auf. Weiterhin sind sie eierlegend, wohingegen andere Seeschlangen lebendgebärend sind. Sie haben sich vermutlich aus asiatischen Giftnattern entwickelt, andere Seeschlangen sind vermutlich aus australischen Giftnattern hervorgegangen. Obwohl verschiedene evolutionäre Entwicklungslinien vorliegen, sind die Gifte beider Hauptgruppen weitestgehend sehr ähnlich, was sich auch darin äußert, dass unten genanntes Antivenin gegen Vergiftungen durch Arten beider Hauptgruppen wirksam ist.
Vorkommen
Tropische Meere und Küstengebiete: Indischer Ozean (Ost-Afrika, West-Australien, asiatische Küsten am Indischen Ozean), Persischer Golf, tropischer Pazifik. In der Regel trifft man die Tiere mehr oder weniger küstennah an, ausgenommen Pelamis platurus. Im Atlantik, Roten Meer und Mittelmeer gibt es keine Seeschlangen. Zumeist werden die Tiere im Freiwasser von Korallenriffen in bis zu 30 Metern Tiefe angetroffen, wenngleich einige Arten auch bis zu 180 Meter tief tauchen können. Enhydrina schistosa hält sich auch im Bereich von Flussmündungen auf.
Toxinologie
Das Toxingemisch der meisten Seeschlangen ist hoch wirksam. In der Regel sind postsynaptische Neurotoxine (Antagonisten an Nikotinrezeptoren, ähnlich wie Curare) sowie Myotoxine enthalten. Ein Giftbiss kann zu einer Paralyse führen, die sich zu Beginn durch Ptosis äußert und durch eine periphere Atemlähmung einen letalen Verlauf nehmen kann. Die myotoxische Komponente bewirkt einen Untergang von Muskelgewebe (Myolyse) und sekundäre Nierenschädigung, ggf. Nierenversagen.
Symptome
Nach einem Giftbiss treten kaum lokale Symptome (ggf. leichte Schmerzen, Schwellung, Erythem oder Juckreiz) auf. Es können folgende unspezifische Beschwerden auftreten: Schwitzen, vermehrte Salivation, Übelkeit, Emesis, Kopfschmerzen, Diarrhoe, Vertigo, Abdominalschmerzen, Krämpfe, Tachykardie oder Bradykardie und besonders im Falle einer allergischen Reaktion Hypotonie bis hin zum Schock, unter Umständen Tod durch Kreislaufversagen. Muskelsteifheit und Muskelschmerzen (Zeichen einer Myolyse); sekundäre Nierenschädigung und Nierenversagen sind bei einigen Arten eine häufige Todesursache (z.B. Enhydrina schistosa). Die neurotoxische Komponente bewirkt eine fortschreitende Paralyse, die sich im Anfangsstadium als Ptosis ausdrückt und zu einer peripheren Atemlähmung mit letalem Ausgang führen kann. Der Tod kann unbehandelt zügig eintreten.
Komplikationen
- Atemlähmung, kann bis zu 60 Stunden nach erfolgtem Giftbiss auftreten.
- Sekundäre Nierenschädigung bis zum Nierenversagen.
- Sekundärinfektionen durch den Giftbiss oder mangelhafte Wundversorgung; Sepsis.
- Klassische Komplikationen sind allergische Reaktionen auf das Gift.
Therapie des Giftbisses
- Das Bissopfer muss Ruhe bewahren und die Bissstelle ist ruhig zu halten. Nach sofortiger Alarmierung des Notarztes sollte der Patient liegend in das nächstgelegene Krankenhaus transportiert werden.
- Die Kompressionsmethode ist anzuwenden, um die Distribution der Toxine zu verzögern!
- Die Möglichkeit der künstlichen Beatmung ist unbedingt sicherzustellen. Nötigenfalls muss mehrtätig künstlich beatmet werden.
- Maßnahmen zur Vermeidung einer Sepsis sind zu treffen (ggf. Antibiotika); Tetanusprophylaxe.
- Schockprophylaxe.
- Infusion mit 0,9%iger Kochsalzlösung zwecks Nierenschutz.
- Unter Umständen ist eine Hämodialyse notwendig.
- Weitere Maßnahmen dienen der symptomatischen Therapie.
- Antivenine: Allgemein gilt, dass der Einsatz von Antiveninen nur in Rücksprache mit einer Giftnotruf-Zentrale und nach gründlicher Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen sollte. Nach Bissen durch Seeschlangen ist die Anwendung beim ersten Auftreten neurotoxischer Effekte oder einer Myolyse indiziert. Folgende Präparate stehen beispielsweise zur Verfügung:
- CSL Sea Snake Antivenom (Produzent: CSL Limmited, Australien), wirksam gegen Toxine von Enhydrina schistosa, Aipysurus laevis, Astrotia stokesii, Hydrophis sp., Lapemis hardwickii, Laticauda semifasciata und Microcephalophis gracilis.
Epidemiologie
Gefährdet sind vor allem Meeresbiologen und Fischer, die im Rahmen ihrer Arbeit mit den Tieren in Kontakt kommen. Taucher sind nicht gefährdet, sofern sie nicht nach den Tieren greifen oder sie bedrängen.
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