Heparin-induzierte Thrombozytopenie
Abkürzung: HIT
Englisch: heparin induced thrombopenia
Definition
Die Heparin-induzierte Thrombozytopenie, kurz HIT, ist eine Komplikation bei der Behandlung mit Heparin. Dabei kommt es zu einer Verminderung der Thrombozytenzahl bei gleichzeitiger paradoxer Thromboseneigung. Man unterscheidet zwei Formen, die sich durch ihre Genese und klinische Ausprägung unterscheiden.
Klassifikation
Nach Ätiologie unterscheidet man zwei Formen der Heparin-induzierten Thrombozytopenie:
- HIT Typ I (häufigere, nicht-immunologische Frühform): ist klinisch harmlos und beruht auf direkten Wechselwirkungen von Heparin mit den Thrombozyten (heparinbedingte Hemmung der Adenylatcyclase).
- HIT Typ II (seltenere, immunologisch bedingte Form): ist klinisch potentiell lebensbedrohlich. Es kommt zur Immunreaktion und Ausbildung von Antikörpern gegen den Komplex aus Plättchenfaktor 4 (PF4) und Heparin.
Hinweis: In seltenen Fällen werden auch Antikörper gefunden, die gegen andere Antigene als PF4 gerichtet sind, vor allem gegen IL-8 und NAP-2.
Epidemiologie
Es ist davon auszugehen, dass bis zu 5 % der mit unfraktioniertem Heparin (UFH) behandelten Patienten Antikörper ausbilden. Die Bildung von Antikörpern führt aber nicht immer zu klinischen Symptomen. Das höchste Risiko eine symptomatische HIT zu entwickeln, haben kardiochirurgische Patienten (bis zu 3 %) und Patienten nach großen vaskulären Eingriffen (0,5 bis 1 %), die unfraktioniertes Heparin (UFH) erhalten haben. Das allgemeine Risiko für die Ausbildung einer HIT nach der Gabe von unfraktioniertem Heparin (UFH) wird in der Literatur ca. zehn mal höher angegeben, als nach der Gabe von niedermolekularem Heparin (NMH).[1] Zur Prophylaxe der HIT Typ II ist daher eine Behandlung mit NMH zu bevorzugen.
Klinik
HIT Typ I
Die HIT Typ I verläuft in der Regel asymptomatisch. Sie tritt innerhalb der ersten 5 Tage nach Beginn der Heparintherapie auf und präsentiert sich mit einer gering ausgeprägten Thrombozytopenie. Die Thrombozytenzahl fällt normalerweise um maximal 30 % des Ausgangswertes. Sie führt in der Regel nicht zu Thrombosen. Die Heparintherapie kann unter engmaschiger Kontrolle fortgeführt werden.
HIT Typ II
Bei der HIT Typ II kommt es zu einem ausgeprägten Abfall der Thrombozytenzahl um mindestens 50 % des Ausgangswertes (meist unter 100.000 Thrombozyten/μl). Die Thrombozyten werden durch die Antikörper aktiviert, was zu einer Freisetzung prokoagulatorischer Mikropartikel und Thrombozytenproteine (z.B. Plättchenfaktor 4) durch die Thrombozyten führt. Der freigesetzte PF4 bindet und neutralisiert freies Heparin. Außerdem bindet PF4 an Heparansulfat in der Endothelzellmembran, was eine Endothelzellaktivierung mit gesteigerter Thrombinbildung zur Folge hat.
Die Thrombozytenaktivierung begünstigt somit die Ausbildung von arteriellen oder venösen Thromben und die Entstehung von Mikrozirkulationsstörungen. Aufgrund der Gerinnungsaktivierung haben die Patienten typischerweise trotz niedriger Thrombozytenzahl keine Blutungszeichen.
Eine HIT Typ II tritt bei erstmaliger Antikörperbildung etwa 2 Wochen nach Beginn der Heparin-Applikation (Antikörperneubildung) ein. Bei wiederholter Anwendung kann es jedoch schon nach 2-4 Tagen zur Antikörperbildung (Gedächtnisfunktion des Immunsystems) und Thrombozytopenie kommen.
Im Bereich der Injektionsstelle findet sich bei der HIT Typ II häufig eine immunologisch vermittelte Nekrose der Haut. Dieses Symptom sollte sofort den Verdacht auf eine HIT wecken.
Diagnostik
Vor jeder Gabe von unfraktioniertem Heparin sollte die Thrombozytenzahl bestimmt werden (Ausgangswert). Zusätzlich ist eine regelmäßige Kontrolle unter Therapie mit UFH durchzuführen, um eine HIT schnell erkennen zu können. Wie wahrscheinlich im konkreten Fall eine HIT Typ II ist, kann durch den HIT-Score abgeschätzt werden. Bei niedriger Vortestwahrscheinlichkeit ist die Aussagekraft der Labordiagnostik gering.
Zusätzlich können Antikörper gegen den PF4/Heparin-Komplex mittels Enzymimmunoassays (ELISA) im Serum nachgewiesen werden. Weiterhin gibt es auch funktionelle Tests, wie z.B. den HIPA-Test (Heparininduzierter Plättchen-Aktivierungstest) oder das Serotonin-Freisetzungs-Assay, die eine diagnostische Relevanz haben. Werden bei den Antikörpertests keine Antikörper nachgewiesen, schließt das eine HIT Typ II aus. Positive Testergebnisse sprechen in Kombination mit einem Abfall der Thrombozytenzahl für das Vorliegen einer HIT Typ II. Der isolierte Antikörpernachweis ist nicht alleine beweisend für eine HIT Typ II.
Hinweise
- Bis zum Beweis des Gegenteils muss jeder Thrombozytenabfall nach Heparingabe auf weniger als 50 % des Ausgangswertes bzw. auf absolute Werte unter 100.000 Thrombozyten/μl als HIT Typ II angesehen werden.
- Vor der Diagnostik einer HIT Typ II muss der Ausschluss einer EDTA-Pseudothrombozytopenie erfolgen.
- Patienten mit einer HIT Typ II in der Anamnese dürfen weder therapeutisch noch prophylaktisch mit Heparin behandelt werden.
Differentialdiagnosen
Differentialdiagnosen der HIT Typ II sind:
Diagnose | Diagnostische Hinweise |
---|---|
EDTA-Pseudothrombozytopenie | Normale Thrombozytenzahl in Zitratblut, Thrombozytenaggregate im Blutausstrich |
Nicht immunologische HIT Typ I | 1 - 5 Tage nach Therapie mit UFH. Thrombozytenwerte meist > 100.000/μl bzw. Abfall < 30 % (Ausschlussdiagnose, kein beweisender Test). Der Schweregrad hängt von der Heparindosis ab. |
Thromboembolische Komplikationen unter Heparintherapie | Thrombozytenzahl, AK-Nachweis |
Verbrauchskoagulopathie | Anamnese, Klinik, Thrombozyten, AK-Nachweis, Fibrinmonomere, Quick, PTT |
Autoimmunthrombozytopenie anderer Genese |
|
GP-IIb/IIIa-Inhibitor-induzierte Thrombozytopenie | Beginn innerhalb von 12 Stunden nach Gabe von GP-IIb/IIIa-Inhibitoren, Thrombozytenwerte
< 20.000/μl, Blutungskomplikationen |
Posttransfusionelle Purpura (PTP) | 7 - 14 Tage nach Transfusion von vorimmunisierten Patienten (> 95 % Frauen betroffen), Thrombozytenwerte < 20.000/μl, Blutungskomplikationen |
Andere medikamenteninduzierte Thrombozytopenien
Außer Heparin können auch andere Medikamente durch Anlagerung an die Thrombozytenoberfläche Neoantigene bilden und zu einer antikörperbedingten Immunthrombozytopenie führen. Beschrieben ist dies zum Beispiel für Rifampicin.
Therapie
Mit der Therapie kann nicht bis zur definitiven Diagnose zugewartet werden. Bereits bei klinischem Verdacht sollte daher Heparin sofort abgesetzt und auf eine andere Form der Antikoagulation umgestiegen werden. Dazu bieten sich vor allem Fondaparinux oder Danaparoid an. Der Wirkstoff Argatroban kann ebenfalls angewendet werden. Das früher verwendete Lepirudin (rekombinantes Hirudin) wurde vom Markt genommen.
Da eine HIT Typ II ein Thromboserisiko für sich darstellt, sollte die Antikoagulation nicht ersatzlos beendet werden, selbst wenn der ursprüngliche Grund der Heparinisierung nicht mehr vorliegt.
Eine überlappende Umstellung auf eine orale Antikoagulation mit Phenprocoumon sollte frühestens begonnen werden, wenn die Plättchenzahlen wieder auf Ausgangsniveau sind, da Phenprocoumon die akute prokoagulatorische Phase paradoxerweise verstärken kann.
Prognose
Etwa ein Drittel der Patienten mit einer HIT II entwickelt eine Thrombose, die wiederum in einem Drittel der Fälle zu schwerwiegenden Komplikationen bis hin zum Tod führen kann.
In seltenen Fällen kann sich eine so genannte Autoimmun-HIT entwickeln. Dabei haben die gebildeten Antikörper die Eigenart, auch ohne die Anwesenheit des Heparins als Hapten den Plättchenfaktor 4 als Antigen zu erkennen.
Literatur
- Laborlexikon.de; abgerufen am 17.03.2021
- Herold et al.: Innere Medizin (2020)
Quellen
- ↑ Martel, Nadine et al. “Risk for heparin-induced thrombocytopenia with unfractionated and low-molecular-weight heparin thromboprophylaxis: a meta-analysis.” Blood vol. 106,8 (2005): 2710-5. doi:10.1182/blood-2005-04-1546