Dicrocoelium dendriticum
Synonyme: Kleiner Leberegel, Lanzettegel, Dicrocoelium lanceolatum
Definition
Dicrocoelium dendriticum, auch als kleiner Leberegel bekannt, ist ein Parasit aus der Familie der Dicrocoeliidae und Erreger der Dicrocoeliose bei verschiedenen Säugetierarten.
Erreger
Die adulten Stadien von Dicrocoelium dendriticum sind 5 bis 10 mm lang und 2 mm breit. Sie haben einen lanzettförmigen, abgeflachten und unbestachelten Körper von bräunlicher Farbe. Sie haben im vorderen Körperdrittel leicht gelappte Hoden und die lateralen Dotterstöcke sind gewunden.
Die Uterusschlingen sind mit Eiern gefüllt. Sie sind 38 - 45 x 22 - 30 µm groß, oval, leicht asymmetrisch, dunkelbraun und dickschalig. Im Ei ist bei der Ablage ein vollständig entwickeltes Mirazidium enthalten. Im Mirazidium sind zwei kugelförmige Gebilde (Keimballen) gut zu erkennen.
Entwicklung
Die geschlechtsreifen Stadien von Dicrocoelium dendriticum parasitieren in den Gallengängen und in der Gallenblase der Endwirte (Schaf, Ziege, Rind, u.a.). Die dort abgelegten Eier gelangen über die Gallenwege in den Darm und von dort aus mit dem Kot in die Umwelt.
Durch die widerstandsfähige Eihülle ist das im Ei vorhandene Mirazidium vor Umwelteinflüssen gut geschützt und kann so über längere Zeit problemlos überleben.
Die anschließende Entwicklung ist an zwei Zwischenwirte gebunden. Als erster Zwischenwirt können zahlreiche Arten gehäusetragende Landlungenschnecken die Eizellen aufnehmen. Die pflanzlichen Rückstände im Kot von Wiederkäuern oder anderen Herbivoren ziehen die Schnecken regelrecht an. Über diese nehmen sie dann die Eier des Lanzettegels auf. Im Darm der Schnecken schlüpfen die am Vorderende bewimperten und mit einem Bohrstachel ausgerüsteten Mirazidien. Anschließend wandern sie zur Mitteldarmdrüse, um sich dort zu unregelmäßig geformten Sporozysten umzuwandeln. In den als Muttersporozysten bezeichneten Stadien entwickeln sich aus Keimzellen schlauchförmige Tochtersporozysten. Jede dieser Tochtersporozysten ist mit einer Geburtsöffnung ausgestattet, in der sich zwischen 10 und 30 Zerkarien entwickeln.
Die Zerkarien sind mit zwei Saugnäpfen, einem Bohrstachel, schlauchförmigen Drüsen und einem langen Schwanz ausgerüstet. Die Entwicklung bis zur vollständig ausgebildeten Zerkarie dauert zwischen 3 und 5 Monate - kann jedoch bei niedrigen Temperaturen deutlich verlängert sein.
Werden die Schnecken nach einem Ruhezustand (z.B. Trockenruhe) durch feuchte Witterung reaktiviert, verlassen die Zerkarien die Tochtersporozysten und wandern anschließend in die Atemhöhle der Schnecke ein. Dort angekommen scheiden die einzelnen Zerkarien Drüsensekrete aus, um sich anschließend darin einzuhüllen und so Aggregate (Schleimballen) von meist mehreren hundert Individuen zu bilden. Die Schnecken umhüllen diese Schleimballen mit einer weiteren Schleichschicht und stoßen diese dann aus der Atemhöhle aus. Durch das Zusammenkleben mehrerer Schleimballen können traubenartige Konglomerate (3 bis 12 mm) gebildet werden, die bis zu 6.000 Zerarkien enthalten. In den Schleimballen können die Zerkarien bestenfalls einige Tage lang überleben.
Als zweite Zwischenwirte fungieren verschiedene Ameisenarten, vorwiegend aus der Gattung Formica. Diese verzehren die Schleimballen und nehmen so die Zerkarien von Dicrocoelium dendriticum auf. Nachdem die Zerkarien den Schwanz abgestoßen haben, durchwandern sie die Wand des Verdauungstraktes im Bereich des Kropfes, um so in die Leibeshöhle der Ameisen zu gelangen. Dort verbleiben die Zerkarien eine kurze Zeit in einem inaktiven Stadium, um dann teilweise eine Wanderung nach kranial zum Kopf der Ameise anzutreten. Dort angekommen dringt jeweils eine Zerkarie (selten 2 oder 3) in das Unterschlundganglion ein, wo sie von einer dünnen Hülle umgeben wird. Nachdem sich ein "Hirnwurm" etabliert hat, treten die restlichen Zerkarien den Rückzug nach kaudal an. Im Abdomen (selten auch im Thorax) erfahren die Zerkarien eine morphologische Veränderung - sie werden von einer ca. 20 µm dicken Hülle umschlossen und reifen dann zu Metazerkarien heran (enzystiert ca. 400 x 280 µm groß). Bei +25 °C dauert die Entwicklung der Metazerkarien mindestens 40 Tage. Die enzystierten Metazerkarien sind für den Endwirt infektiös (der Hirnwurm jedoch nicht).
In den meisten Ameisen sind etwa 100 Metazerkarien enthalten. Nachdem die Metazerkarien ausgereift sind, zeigen die Ameisen eine biologisch interessante, durch den Hirnwurm ausgelöste Verhaltensänderung: Diese Ameisen kehren bei Temperaturen unter 15 °C am Abend nicht mehr in ihre Nester zurück, sondern wandern an die Spitzen von Pflanzen um sich dort krampfartig festzubeißen. Dadurch wird die Aufnahme infizierter Ameisen durch weidende Tiere begünstigt. Bei steigenden Außentemperaturen löst sich der Krampf wieder, sodass die Ameisen am Tage ihre gewohnte Aktivität zurückerlangen.
Nimmt ein empfänglicher Endwirt Metazerkarien auf, werden diese im Dünndarm aktiviert. Anschließend verlassen sie die Hülle und wandern über den Ductus choledochus in die Gallenwege der Leber ein, wo sie die Geschlechtsreife erlangen. Die Präpatenz beträgt etwa 7 Wochen und die Lebensdauer der Lanzettegel im Endwirt wird auf 1,5 bis 6 Jahre geschätzt. In endemischen Gebieten können Mischinfektionen mit Fasciola hepatica oft beobachtet werden.
Vorkommen
Dicrocoelium dendriticum ist regional in Nordamerika, Europa, Nordafrika und Asien sowie in einigen südamerikanischen Ländern verbreitet. Innerhalb der einzelnen Länder ist die Verbreitung (abhängig von den Biotopbedinungen) heterogen. Lokal begrenzt kann der Parasit häufig verbreitet sein, z.B. bei etwa 50 % der Schlachtrinder in der Schweiz.
Als Endwirte von Dicrocoelium dendriticum fungieren hauptsächlich Wiederkäuer (Schaf, Ziege, Rind, Büffel, Reh, Hirscharten, Steinbock, usw.). Zusätzlich können noch andere Herbivoren (Pferd, Esel, Neuweltkameliden, Kanichen, u.v.m.) und selten auch Schweine und der Mensch befallen sein. Die Kontamination der Weideflächen ist v.a. auf Hauswiederkäuer zurückzuführen. So können z.B. Schafe, die mit 300 bis 900 Lanzettegeln befallen sind, täglich etwa 5.000 Eier pro Gramm Kot ausscheiden. Die ausgeschiedenen Eier sind äußerst widerstandsfähig und können sogar überwintern. Im Kot bleiben sie im Temperaturbereich zwischen +18 und -10 °C etwa 3 Monate (bis zu 11 Monate) lebensfähig.
Aufgrund der Lebenszyklen der verschiedenen Zwischenwirte (Landlungenschnecken und Ameisen) ist das Infektionsrisiko zu Beginn der Weideperiode bis etwa Mai/Juni am höchsten. Anschließend nimmt sie allmählich ab, doch kann es zum Herbst hin wieder etwas ansteigen. Indem Ameisen im Grünfutter in Ställe eingeschleppt werden, können auch ganzjährig Infektionen auftreten.
Pathogenese
Ein Befall mit Dicrocoelium dendriticum führt allgemein zu geringeren Schäden als eine Infektion mit Fasciola, da der kleine Leberegel keine Wanderung im Leberparenchym vollzieht und auch kein Blutsauger ist. Der Schädigungsgrad ist v.a. von der Dauer der Infektion und der Befallsintensität abhängig. Schafe und Ziegen zeigen häufig deutlich stärker ausgeprägte Veränderungen als Rinder. Frische Infektionen mit Dicrocoelium dendriticum führen zu Erweiterungen der Zetralvenen sowie periportalen Gefäße der Leberläppchen. In den Gallengängen können Anzeichen katarrhalischer Entzündungen (Cholangitis) sowie vermehrte Schleimbildung, Ödematisierung und zellige Infiltrationen der Schleimhaut beobachtet werden.
Im weiteren Verlauf führen adenomartige Drüsenproliferation sowie die Zubildung von glatter Muskulatur, Bindegewebe und Grundsubstanz zur Verdickung der Gallengangswand. Zusätzlich treten lokale Erweiterungen des Gallengangslumen (Cholangiektasien) auf. Eine länger bestehende Cholangitis führt im Leberparenchym zur Vermehrung von Bindegewebe (Fibrose), das ein Leberläppchen völlig umschließen kann (monolobuläre Fibrose) sowie zur Zirrhose mit Zerstörung von Hepatozyten.
Schwach befallene Lebern erscheinen makroskopisch oft unverändert. Ein stärkerer Befall ist durch das Hervortreten der größer werdenden Gallengänge infolge von Wandverdickungen gekennzeichnet. Diese sind oftmals als fleck- oder strangartige Gebilde an der Oberfläche erkennbar. Eine zusätzliche Fibrose des Parenchyms führt zur verstärkten Läppchenzeichnung. Im Leberanschnitt fallen v.a. die verdickten Gallengänge auf, aus denen sich auf Druck Lanzettegel mit der abfließenden Galle auspressen lassen.
Die Befallsintensität eines einzelnen Tieres unterliegt starken Schwankungen von wenigen Exemplaren bis mehr als 20.000 Parasiten pro Tier.
Klinik
Eine Infektion mit Dicrocoelium dendriticum verläuft bei Rindern und Kleinwiederkäuern meist inapparent. Selbst ein mittelgradiger bis starker Befall verursacht oftmals keine klinischen Bilder.
In einigen Fällen können beim Schaf Anämie und erhöhte Konzentrationen von Leberenzymen im Serum nachgewiesen werden. Diese Symptome sind oftmals von Entwicklungsstörungen und Leistungsminderung begleitet. Befallene Lebern mit Dicrocoelium dendriticum verursachen in erster Linie einen wirtschaftlichen Schaden, da infizierte Organe bei der Fleischuntersuchung konfisziert werden müssen.
Immunologie
Da bei Schafen im Verlauf einer oder mehrerer Weideperioden die Zahl der Lanzettegel je Tier ansteigt, kann vom Ausbleiben einer Immunität ausgegangen werden. Im Zuge einer Infektion kommt es jedoch zu humoralen und lokalen zellvermittelten Immunreaktionen, die immunpathologisch eine Rolle spielen.
Diagnose
Eine Intravitaldiagnose wird mittels Nachweis der Eier im Kot gestellt. Da die üblichen koproskopischen Untersuchungen eine sehr geringe Sensitivität aufweisen (Sedimentationsverfahren etwa 40 %), muss ein Flotationsverfahren mit einer modifizierten Flotationslösung (Dichte >1,3) durchgeführt werden. Dabei sollte ein Punktat der Gallenblase untersucht werden, um einen zuverlässigen Einachweis erstellen zu können.
Postmortal können Lanzettegel in den Gallengängen und in der Gallenblase makroskopisch festgestellt werden.
Therapie
Die Dicrocoeliose kann mit einigen (Pro-)Benzimidazolen therapiert werden. Beim Schaf zeigt Albendazol (2 x 15 mg/kgKG p.o. im Abstand von 15 bis 20 Tagen) oder Fenbendazol (5 x 20 mg/kgKG p.o. an aufeinanderfolgenden Tagen) eine gute Wirksamkeit. Netobimin (20 mg/kgKG p.o.) ist beim Rind wirksam.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Da ein Befall mit Dicrocoelium dendriticum kaum zu einer klinisch manifesten Erkrankung führt, sind Maßnahmen, die sich nur gegen diese Parasiten richten, ökonomisch nich zu rechtfertigen. Eine Dicrocoeliose kann jedoch im Zuge von Bekämpfungsmaßnahmen gegen andere Parasitosen integriert werden (z.B. Nematoden).
Bedeutung für den Menschen
In seltenen Fällen können Infektionen mit Dicrocoelium dendriticum beim Menschen beobachtet werden. Diese erfolgen meist durch die orale Aufnahme infizierter Ameisen. Ein Befall führt zu Symptomen einer Cholangitis.
Literatur
- Eckert, Johannes, Friedhoff, Karl Theodor, Zahner, Horst, Deplazes, Peter. Lehrbuch der Parasitologie für die Tiermedizin. 2., vollständig überarbeitete Auflage. Enke Verlag, 2008.