Neuropathische Arthropathie
Synonyme: neurogene Arthropathie, Neuroarthropathie, Charcot-Arthropathie, Charcot-Gelenk
Englisch: neuropathic arthropathy, neuropathic osteoarthropathy, Charcot joint
Definition
Die neuropathische Arthropathie ist eine schwere, rapid-destruktive Gelenkerkrankung bei zugrundeliegender Neuropathie.
Ätiopathogenese
Die genaue Ätiopathogenese der neuropathischen Arthropathie ist noch (2021) nicht vollständig verstanden. Vermutlich führt eine Schädigung der sympathischen Nerven zur Hyperämie und aktiven Knochenresorption. In Folge einer verminderten Nozi- und Propriozeption kommt es zu wiederkehrenden Verletzungen durch abnorme Gelenkbelastung trotz normaler biomechanischer Belastung. Knochenfragmentierung und Gelenkfehlstellungen sind die Folge.
Ursächlich für die Nervenschädigung sind z.B.:
- Diabetes mellitus: v.a. Fuß und Hand. 15 % der Diabetiker entwickeln eine neuropathische Arthropathie, in diesem Fall spricht man auch von einer diabetischen neuropathischen Osteoarthropathie (DNOAP).
- Tabes dorsalis: Wirbelsäule und Knie, seltener Hüfte, Sprunggelenk/Fuß. 10-20 % der Patienten mit Tabes dorsalis entwickeln eine neuropathische Arthropathie.
- Syringomyelie: Schulter, Handgelenk. 20 % der Patienten entwickeln eine neuropathische Arthropathie.
- Rückenmarksverletzung: Wirbelsäule
- intraartikuläre Steroidinjektion: v.a. Kniegelenk
- Alkoholismus: Hüfte, Metatarsophalangeal-, Interphalangealgelenke
- Amyloidose: Knie, Sprunggelenk
- Lepra: Interphalangealgelenke der Hand, Metatarsophalangealgelenke
- Multiple Sklerose
- Meningomyelozele: Sprunggelenk, Intertarsalgelenke
- kongenitale Analgesie: Knie, Sprunggelenk
- Hereditäre motorisch-sensible Neuropathie Typ I
- Riley-Day-Syndrom
- Navajo-Neurohepatopathie
Einteilung
...nach Lokalisation
- Schulter: v.a. Syringomylie
- Handgelenk: Diabetes mellitus, Syringomyelie
- Wirbelsäule: Rückenmarkverletzung, Tabes dorsalis, Diabetes mellitus
- Hüftgelenk: Alkohol, Tabes dorsalis
- Kniegelenk: Tabes dorsalis, Steroidinjektionen
- Sprunggelenk, Fuß: Diabetes mellitus
- Lisfranc- bzw. Tarsometatarsalgelenke (TMT) > Talonavikulargelenk > Intertarsalgelenke > Chopart-Gelenk, Tibiotalargelenk, Subtalargelenk
siehe auch: Charcot-Fuß
...nach Morphologie
Je nach Morphologie unterscheidet man zwischen:
- hypertropher Form (20 %): v.a. Kniegelenk
- atropher Form (40 %): v.a. Sprunggelenk/Fuß
- kombinierter Form (40 %)
Bildgebung
Röntgen
Typische Befunde in den Röntgenbildern sind:
- Großer Gelenkerguss
- Im Bereich der Schulter wird der Erguss oft über eine Rotatorenmanschettenruptur in die Bursa subacromialis und subdeltoidea gepresst.
- Durch Dekompression kann sich ossärer Debris verlagern (v.a. zwischen die Faszien des Unterschenkels).
- im Bereich der Wirbelsäule: paraspinale Flüssigkeitsformation
- Knochendebris, der frei beweglich im Gelenkerguss ist. Prominent bei hypertropher, minimal bei atropher Form.
- Normale Knochendichte
- Frühe Gelenkknorpeldestruktion
- Gemischt erosive und produktive Knochenveränderungen. Im Bereich des Schultergelenks kann der gesamte Humeruskopf resorbiert sein.
- Ligamentöse Laxizität mit Gelenk-Subluxationen oder -Dislokationen.
- Lisfranc-Gelenk: TMT I und II in a.p.-Projektion und TMT III bis V in Schrägprojektion beurteilen.
Computertomographie
Die Computertomographie (CT) ist für die Diagnose der neuropathischen Arthropathie i.d.R. nicht nötig. Sie zeigt zum Röntgenbild analoge Befunde.
Magnetresonanztomographie
Die Magnetresonanztomographie (MRT) dient insbesondere dem Ausschluss von Differenzialdiagnosen. Typische Befunde sind:
- Knochendestruktion
- Erguss: hypointens in T1w, hyperintens in flüssigkeitssensitiven Sequenzen (T2-FS, PD-FS, STIR), enthält Debris.
- Angrenzender Knochen kann reaktiv verändert sein: unscharfes, netzartiges niedriges Signal in T1w, hyperintens in flüssigkeitssensitiven Sequenzen.
- In T1-FS nach Kontrastmittelgabe: signalreicher Rand um Erguss, reaktives ossäres Enhancement neben dem zerstörten Gelenkknochen
Bei Arthropathie der Schulter sollte weiterhin ein MRT der Halswirbelsäule zum Ausschluss einer Syringomyelie durchgeführt werden.
Differenzialdiagnosen
- Osteomyelitis oder septische Arthritis (Sprunggelenk/Fuß):
- kann auch gleichzeitig mit einer neuropathischen Arthropathie vorliegen
- ebenfalls großer Erguss (meist mit weniger Knochendebris)
- ebenfalls Enhancement des Knochens
- in T1w eher konfluierendes hypointenses Signal
- Chondrosarkom (Schulter):
- Knorpelhaltige Matrix vs. Knochendebris bei neuropathischer Arthropathie
- nicht-intraartikuläre Raumforderung
- Arthrose oder Arthritis
- ähnliches Bild im Anfangsstadium
- geringer ausgeprägter Knochendebris und Erguss
- Diszitis (Wirbelsäule)
- ebenfalls paraspinale Weichteilmasse bzw. Flüssigkeitsansammlung
- ebenfalls Destruktion der Endplatte und der Bandscheibe mit Debris
- ebenfalls Subluxation möglich
- Patienten mit Rückenmarksverletzungen oder Diabetes haben ein erhöhtes Risiko sowohl für eine Diszitis als auch eine neuropathische Arthropathie.
- Für neuropathische Arthropathie sprechen prominenter Debris, Subluxation, Vakuumphänomen, Beteiligung der Facettengelenke
- diagnostische Aspiration häufig notwendig