Vestibularsyndrom (Pferd)
Englisch: vestibular syndrome
Definition
Als Vestibularsyndrom bezeichnet das Auftreten verschiedener Symptome, die mit Störungen des Gleichgewichtsorgans (Vestibularappart) beim Pferd einhergehen.
Anatomie
Der Vestibularapparat ist ein im Innenohr (Auris interna) befindliches Organ, das der Steuerung des Gleichgewichts dient. Es ist für die bewusste Orientierung im Raum und die Koordination der Augenbewegungen zuständig.
Einteilung
Abhängig von der Lokalisation der Störung unterscheidet man zwischen zwei Formen:
Ätiologie
Bei Pferden tritt das Vestibularsyndrom meist unilateral (einseitig) auf. Je nachdem, wo sich die Läsion befindet, kommt es zur Ausbildung eines peripheren oder zentralen Vestibularsyndroms:
Peripheres Vestibularsyndrom | Zentrales Vestibularsyndrom |
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Auslöser eines Vestibularsyndroms können sowohl traumatisch als auch infektiös oder entzündlich sein. Neoplasien (z.B. Plattenepithelkarzinome der oberen Atemwege oder der Adnexe des Auges) können ebenso zur Ausbildung eines Vestibularsyndroms beitragen. Die häufigsten Ursachen eines peripheren Vestibularsyndroms sind die Temporohyoidosteoarthropathie (THO) sowie Traumata.
Selten kommt es auch zu einem idiopathischen Vestibularsyndrom. Diese Form ist in der Regel transient und meist einseitig. Es wird angenommen, dass eine virale bzw. immunmediierte Labyrinthitis oder Neuritis verantwortlich sind.
Pathogenese
Ein Vestibularsyndrom aufgrund einer Temporohyoidosteoarthropathie entwickelt sich infolge einer pathologischen Fraktur des Felsenbeins (Pars petrosa ossis temporalis). Durch die Fraktur wird der Nervus vestibularis geschädigt und es kommt zur akuten Symptomatik eines Vestibularsyndroms. Da der Nervus facialis zusammen mit dem Nervus vestibulocochlearis durch den inneren Gehörgang (Meatus acusticus internus) verläuft, liegt häufig gleichzeitig auch eine Fazialisparese vor.
Klinik
Leitsymptom eines Vestibularsyndroms ist die Kopfschiefhaltung. Zusätzlich zeigen betroffene Tiere Ataxie, Tonusveränderungen der Muskulatur und bei stark ausgeprägten Fällen auch Kreisbewegungen.
Aufgrund der fehlenden Reflexhemmung zeigen die kontralateralen Gliedmaßen zusätzlich zur Hypertonie der Extensoren eine Hyperreflexie. In der akuten Krankheitsphase kommt es zusätzlich zu abnormen Augenbewegungen (Nystagmus und Schielen) durch fehlende oder unzureichende Koordination der Hirnnerven III, IV und VI.
Eine Unterscheidung zwischen peripherem und zentralem Vestibularsyndrom kann häufig anhand des klinischen Bildes getroffen werden:
Peripheres Vestibularsyndrom | Zentrales Vestibularsyndrom |
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Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch sind folgende Erkrankungen abzugrenzen:
- Polyneuritis equi
- fehlerhafte intraarterielle Injektion
- Kolik
- Epilepsie
- Kleinhirnläsion
- zerebelläre oder spinale Ataxie
Diagnose
Anamnese, klinische Untersuchung und klinisches Bild sind hinweisend für eine Erkrankung des Vestibularorgans.
Bei längerem Bestehen des Vestibularsyndroms können die Symptome durch visuelle Kompensation bereits sehr subtil sein. Durch das Abdecken der Augen kann die Symptomatik drastisch verstärkt werden. Eine ätiologische Diagnose lässt sich jedoch nur mit weiterführenden Untersuchungen stellen:
- Palpation: Druckdolenz im Bereich des Ohrgrunds kann auf ein peripheres Trauma oder eine Temporohyoidosteoarthropathie hinweisen.
- Endoskopie: Endoskopische Untersuchung der Luftsäcke können eine Infektion ausschließen/bestätigen.
- Röntgen: Röntgenaufnahmen in verschiedenen Strahlengängen (ventrodorsal, laterolateral, oblique) sowie CT-Aufnahmen des Schädels können knöcherne Zubildungen am proximalen Ende des Os stylohyoideum und am Temporohyoidalgelenk, eine Sklerosierung der Bulla tympanica und Frakturen sichtbar machen.
- Magnetresonanztomographie: Vor allem bei raumfordernden Prozessen im Hirnstamm indiziert.
- Szintigraphie: Kann Hinweise auf das Vorliegen einer Temporohyoidosteoarthropathie oder eines knöchernen Traumas liefern.
- Liquoruntersuchung: Bei einem zentralen Vestibularsyndrom können Blutungen, Entzündungszellen, Bakterien und Parasiten nachgewiesen werden.
- Messung akustisch evozierter Hirnstammpotenziale: Dienen der Abklärung der Hörfähigkeit (am sedierten Pferd oder unter Allgemeinanästhesie).
Therapie
Die Therapie ist von der Ätiologie abhängig. Infektiöse Auslöser sind (bis zum Vorliegen eines Antibiogramms) mit Breitspektrumantibiotika und Antiphlogistika zu versorgen. Bei traumatischen Geschehen sollte nur Weichfutter verfüttert werden, um eine weitere Fragmentdislokation und Traumatisierung zu minimieren.
Liegt eine Fazialisparese vor, müssen Tränenersatzflüssigkeit oder epithelisierungsfördernde Augensalben appliziert werden, um Korneadefekte zu verhindern.
Prognose
Die Prognose hängt stark von der Ursache ab. Während eine Otitis media oder interna eine günstige Prognose aufweist, ist die Prognose bei einer Temporohyoidosteoarthropathie vorsichtig zu stellen. Ist neben dem Vestibularapparat auch noch der Nervus facialis geschädigt, ist die Prognose in der Regel schlechter zu bewerten.
Idiopathische Fälle sind transient und weisen auch ohne Therapie eine günstige Prognose auf.
Literatur
- Brehm W., Gehlen H., Ohnesorge B. et al., Hrsg. Handbuch Pferdepraxis. 4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Enke Verlag; 2016.
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