Strabismus
Synonym: Schielen
Englisch: strabismus
Definition
Als Strabismus bezeichnet man eine Störung des Gleichgewichts der Augenmuskeln bzw. eine fehlerhafte motorische Koordination beider Augen.
Einteilung
...nach Ätiologie
- Primärer Strabismus: Schielen ohne weitere ophthalmologische Erkrankungen.
- Sekundärer Strabismus: Das Schielen ist Folge einer anderen Erkrankung.
...nach klinischer Apparenz
- Manifester Strabismus (Heterotropie): Es besteht eine ständige Abweichung des betroffenen Auges, die nicht durch Fusion (Anpassung beim binokulären Sehen) korrigiert werden kann.
- Latenter Strabismus (Heterophorie): Eine Fusion ist möglich, eine Schielstellung wird nur eingenommen, wenn die Fusion aufgehoben wird (z.B. im Abdecktest).
...nach der Schielrichtung
- Strabismus divergens: Außenschielen (Exotropie). Bei Heterophorie zeigt sich beim Abdecken im Abdecktest eine Einstellbewegung von außen nach innen (nasalwärts).
- Strabismus convergens: Innenschielen (Esotropie). Bei Heterophorie zeigt sich beim Abdecken im Abdecktest eine Einstellbewegung von innen nach außen.
- Vertikalotropie: Höhenschielen – definiert über den Hochstand des entsprechenden Auges.
- Hypertropie: Das rechte Auge steht höher als das linke. Einstellbewegung des rechten Auges von oben nach unten nach Abdecken des linken Auges oder Einstellbewegung des linken Auges von unten nach oben nach Abdecken des rechten Auges.
- Hypotropie: Das linke Auge steht höher als das rechte. Einstellbewegungen in umgekehrter Richtung.
Manifester Strabismus
Begleitschielen
Beim Begleitschielen (Strabismus concomitans) ist der Schielwinkel in allen Blickrichtungen etwa gleich groß.
Frühkindliches Schielsyndrom
Bei der kongenitalen Esotropie beginnt das Schielen vor dem 6. Lebensmonat und ist nicht durch Refraktionsfehler oder sonstige Augenerkrankungen ausgelöst.
Das frühkindliche Schielen ist die häufigste Schielform. Angenommen wird eine zentrale Entwicklungsstörung des binokulären Sehens, die in den meisten Fällen zu einem Strabismus convergens mit latentem Nystagmus führt. Häufig nimmt der Schielwinkel beim Blick nach oben oder unten zu (A- bzw. V-Symptom).
Anfangs besteht oft eine Kreuzfixation, bei der beide Augen in Konvergenzstellung sind und abwechselnd benutzt werden. In diesem Falle besteht noch keine Amblyopiegefahr, später kommt es aber in der Regel zu monolateralem Schielen, bei dem ein Auge supprimiert wird, wodurch es in der hochplastischen Phase des visuellen Systems (1.-3. Lebensjahr) zur Entstehung von Amblyopie kommen kann. Unbehandelt ist eine Ambylopie ab dem 6.-8. Lebensjahr irreversibel.
Das räumliche Sehen ist meist nicht entwickelt. Die Kinder werden meist im Vorschulalter operiert, mit dem Ziel eines kleinen konvergenten Restschielwinkels. Eine komplette Heilung ist nicht möglich.
Normosensorisches Spätschielen
Beim normosensorischen Spätschielen liegt der Schielbeginn nach Abschluss der Entwicklung des Binokularsehens, nach dem 2., meist 3. Lebensjahr. Das Schielen entwickelt sich relativ plötzlich und es kommt zum Auftreten von Doppelbildern, da das Binokularsehen bereits entwickelt ist. Das Gehirn supprimiert das schielende Auge jedoch schnell und eine Amblyopie kann sich entwickeln. Nach Ausschluss organischer Ursachen sollten die Kinder möglichst zügig, innerhalb eines halben Jahres, operiert werden, da die Doppelbilder sonst persistieren können.
Mikrostrabismus
Als Mikrostrabismus bezeichnet man ein einseitiges Schielen mit einem Winkel < 5° und anomaler retinaler Korrespondenz. Betroffen sind ca. 15 % aller schielenden Kinder. Da der Schielwinkel sehr klein ist, wird das Schielen häufig erst spät diagnostiziert, typischerweise bei Schuleintritt. Das binokulare Sehen und damit die räumliche Wahrnehmung sind zwar oft teilweise erhalten, aufgrund des lange unbehandelten Verlaufs hat sich jedoch meist eine schwer behandelbare Amblyopie entwickelt.
Differentialdiagnosen
Als Differentialdiagnosen kommen in Betracht:
- Pseudostrabismus convergens (scheinbares Schielen): Bei Säuglingen und Kleinkindern ist der Nasenrücken verbreitert, so dass man mehr Skleraweiß sehen kann. Dies kann den Eindruck erwecken, das Kind würde schielen.
- Inkonkomitantes Schielen (Lähmungsschielen): Schielen aufgrund einer Muskellähmung. Hier variiert der Schielwinkel stark in Abhängigkeit der Blickrichtung bzw. der Zugrichtung des entsprechenden Muskels. Typisch ist eine kompensatorische Kopfhaltung zur Verringerung der Doppelbilder.
- Sekundäres Begleitschielen:
- Netzhauterkrankungen: Morbus Coats, Retinoblastom, Frühgeborenenretinopathie, Netzhautablösung (Amotio retinae), zentrale Narben nach konnataler Toxoplasmose
- Erkrankungen der brechenden Medien: kongenitaler Katarakt, Hornhauttrübungen
- Abdeckung des Auges durch das Lid; z.B. bei Ptosis
- Hypermetropie: Einwärtsschielen durch permanente Akkommodation
- Anisometropie: Unmöglichkeit der Fusion durch zu starke Unterschiede der Brechkraft beider Augen
Latenter Strabismus
Beim latenten Strabismus (Heterophorie) stehen die Sehachsen bei Fixation beider Augen parallel, bei Aufhebung der Fusion weicht ein Auge ab. Bei etwa 70 % der Bevölkerung liegt eine Heterophorie vor, die Sehachsen stehen also bei aufgehobener Fusion nicht komplett parallel. Exophorie tritt dabei häufiger auf als Esophorie.
Doppelbilder entstehen nur bei Dekompensation in manifestes Schielen, typischerweise bei Übermüdung oder unter Alkoholeinfluss (Doppeltsehen bei Betrunkenen). Asthenopische Beschwerden wie Kopfweh und schnellere Ermüdbarkeit sind bei unkorrigierter Refraktion möglich. Die optimale Korrektur auch geringer Refraktionsfehler bessert die Beschwerden meistens. Evtl. können Prismengläser helfen. In seltenen Fällen ist eine Operation indiziert.