Dammriss
Synonym: Scheidendammriss
Abkürzung: DR
Englisch: perineal tear, perineal laceration
Definition
Der Dammriss ist eine mütterliche Weichteilverletzung im Bereich des Perineums zwischen Vulva und After mit Riss der Vaginalschleimhaut und anderer Gewebeschichten, die während der Geburt entsteht.
- ICD10-Code: O70
Schweregrade
Man unterteilt folgende Schweregrade:
- Dammriss 1. Grades (DR I): oberflächliche Verletzung der Damm- und Scheidenhaut, meist an der hinteren Kommissur (Commissura labiorum posterior) lokalisiert.
- Dammriss 2. Grades (DR II): Verletzung der oberflächlichen Beckenbodenmuskulatur (Musculus bulbocavernosus und Musculus transversus perinei profundus und superficialis). Die Sphinktermuskulatur bleibt intakt.
- Dammriss 3. Grades (DR III): Verletzung der oberflächlichen Beckenbodenmuskulatur und des Musculus sphincter ani bei intakter Rektumwand
- Dammriss 3a (DR IIIa): weniger als 50 % der Muskeldicke des Musculus sphincter ani externus zerissen
- Dammriss 3b (DR IIIb): über 50 % der Muskeldicke des Musculus sphincter ani externus zerissen
- Dammriss 3c (DR IIIc): Musculus sphincter ani externus und internus zerissen
- Dammriss 4. Grades (DR IV): Verletzung der oberflächlichen Beckenbodenmuskulatur, des Musculus sphincter ani externus und internus sowie des Rektums
Die höhergradigen Dammrisse (DR III und IV) werden auch als Obstetrical Anal Sphincter Injury (OASIS) zusammengefasst. Eine Sonderform des höhergradigen Dammrisses ist der "buttonhole tear", bei dem die anale Schleimhaut verletzt und der Musculus sphincter ani externus intakt ist.
Epidemiologie
Abgesehen von der Episiotomie, stellt der Dammriss die häufigste Geburtsverletzung dar. Bei 53-79 % aller vaginalen Geburten kommt es zu einer Verletzung des Dammbereichs, wobei eine OASIS je nach Literatur nur in etwa 1 bis 11 % d.F. auftritt.
Ätiologie
Risikofaktoren für das Einreißen des Dammes unter der vaginalen Geburt sind:
- vaginal-operative Entbindung (Zangengeburt, Vakuumextraktion)
- Geburtsgewicht über 4.000 g oder kindlicher Kopfumpfang > 35 cm
- erstgebärende Mutter (Nullipara)
- Missverhältnis zwischen der Kopfgröße des Kindes und der Größe des Scheidenausgangs
- unzureichender Dammschutz
- unzureichende Vordehnung des Dammes durch den vorangehenden Teil des Kindes bei forcierter Kindsentwicklung z.B. bei Asphyxiegefahr
- mediane Episiotomie, unzureichend große Episiotomie
- Zustand nach FGM (weiblicher Genitalverstümmelung)
- Geburtslagen: hintere Hinterhauptslage, Schulterdystokie
- längere Dauer der Austreibungsphase
- Kristeller-Handgriff
- Entbindung in Steinschnittlage oder tiefer Hocke
Symptomatik
Die Hauptsymptome in der unmittelbaren postpartalen Situation sind Schmerzen und (ggf. starke) Blutungen. Blutungen aus geburtsbedingten Verletzungen der Weichteile wie dem Damm werden als Rissblutungen bezeichnet.
Im Verlauf kann es je nach Schweregrad zu Juckreiz, Schmerzen, Blutungen, Dyspareunie, Dysurie und einer Schwäche der Beckenbodenmuskulatur mit Stuhlinkontinenz kommen.
Diagnostik
Der Dammriss wird zunächst per Inspektion und vaginaler Palpation durch das geburtshilfliche Personal diagnostiziert. Per rektaler Untersuchung wird eine Verletzung der Analschleimhaut und der Sphinktermuskulatur beurteilt. Besteht bei unklaren Wundverhältnissen der Verdacht auf einen höhergradigen Dammriss, sollte eine fachärztliche Untersuchung (gynäkologisch oder koloproktologisch) erfolgen.
In bestimmten Fällen kann die abschließende Diagnostik nur endosonographisch oder chirurgisch erfolgen, beispielsweise bei intaktem Musculus sphincter ani externus und eingerissenem Musculus sphincter ani internus.
Therapie
Erst- und zweitgradige Dammrisse können direkt chirurgisch unter Lokalanästhesie durch Nähte versorgt werden. Bei Rissen des Schweregrades III und IV müssen zuerst der Musculus sphincter ani internus und externus bzw. der Darm versorgt werden, erst dann kann der Damm selbst genäht werden.
Die chirurgische Versorgung eines Dammriss war im Jahr 2016 der am häufigsten durchgeführte operative Eingriff in Deutschland.
Wochenbett
Für die ersten zwei Wochen postoperativ sollte eine Stuhlregulation mittels Laxantien durchgeführt werden. Zudem empfiehlt sich die tägliche Reinigung mit Wasser und eine bedarfsgerechte topische und systemische analgetische Therapie. Eine prophylaktische Antibiotikagabe kann je nach Ausmaß der Verletzung und Risikoprofil sinnvoll sein.
Nachsorge
Drei Monate nach der Geburt sollte eine gynäkologische oder proktologische Verlaufskontrolle erfolgen, bei der eine ausführliche Stuhlanamnese (Stuhlinkontinenz, Stuhldrang) sowie eine inspektorische und palpatorische Untersuchung (vaginal und rektal) wichtig ist. Ein gezieltes Beckenbodentraining ist für die Behandlung einer Inkontinenz essentiell.
Komplikationen
Mögliche Komplikationen (v.a. von höhergradigen Dammrissen) sind:
- permanente Stuhlinkontinenz
- Wundheilungsstörung
- Infektionen, Abszesse, rektovaginale Fisteln
- Nahtinsuffizienz
- kritischer Blutverlust, hämorrhagischer Schock
- Narbenbildung mit Dyspareunie oder schmerzhafter Defäkation (Dyschezie)
Prävention
Da sich die Elastizität des Dammgewebes durch konservative Maßnahmen nur unzureichend beeinflussen lässt (z.B. durch Dammmassagen, Kompressen oder Geburtsgele), ist der Dammschnitt (Episiotomie) die wichtigste Präventivmaßnahme. Seine Anwendung erfolgt jedoch nicht routinemäßig, weil in vielen Fällen das spontane, "kontrollierte" Einreißen des Damms eine schonendere Alternative zum Dammschnitt ist. Die Episiotomie wird heute vor allem eingesetzt, wenn es die Gesundheit des Neugeborenen erfordert, z.B. zur Verkürzung der Austreibungsphase bei kindlichen Notlagen oder bei Frühgeburten.
Steht nach höhergradigen Dammrissen eine Folgegeburt an, kann der Frau eine elektive Sectio caesarea angeboten werden. Dies sollte insbesondere dann in Betracht gezogen werden, wenn Folgeerscheinungen wie z.B. Stuhlinkontinenz bestehen.
Prognose
In der Regel verheilen Dammrisse gut. Bei fachgerechter Versorgung, guter Hygiene und körperlicher Schonung im Wochenbett sind stärkere Blutungen oder Entzündungen sowie daraus folgende Sekundärheilungen selten.
Literatur
- Leitlinie zum Management von Dammrissen III. und IV. Grades nach vaginaler Geburt, abgerufen am 01.07.2021
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