Neurokutane Melanose
Synonyme: Melanosis neurocutanea, neurokutanes Melanoblastose-Syndrom, neurokutane Melanose, Virchov-Rokitansky-Touraine-Syndrom
Englisch: neurocutaneous melanosis
Definition
Die neurokutane Melanose, kurz NCM, ist eine seltene angeborene Phakomatose. Sie ist durch kongenitale melanozytäre Nävi der Haut und eine Aggregation von Melanozyten im ZNS chrakterisiert, die im Rahmen einer leptomeningealen Melanose auftreten.
Geschichte
Die neurokutane Melanose wurde erstmals 1859 durch Virchow und 1861 durch Rokitanski beschrieben.
Epidemiologie
Die Inzidenz der neurokutanen Melanose liegt bei etwa 1:50.000 bis 1:200.000.[1] Das weibliche und männliche Geschlecht sind gleich häufig betroffen. Seit der Erstbeschreibung wurden rund 100 Fälle beobachtet.[2] Alle bisher beschriebenen Fälle traten sporadisch auf.
Ätiologie
Die genaue Ursache der neurokutanen Melanose ist unbekannt. Man vermutet, dass sich die aus der Neuralleiste stammenden Melanozytenvorläufer der Haut und der Pia mater anomal entwickeln.[3] Zudem geht man davon aus, dass frühe embryonale somatische Mutationen im NRAS-Gen an der Entwicklung einer neurokutanen Melanose beteiligt sind.[4]
Klinik
Die neurokutane Melanose ist unter anderem durch das Vorkommen eines kongenitalen Riesenpigmentnävus charakterisiert. Er tritt vor allem am Kopf oder am Rumpf auf, kann aber auch im Nacken-, Gesäß- oder Lendenbereich lokalisiert sein. Bei Erwachsenen ist der Nävus häufig über 20 cm groß, bei Säuglingen zwischen 6 und 9 cm. Zusätzlich kommen multiple kleine Nävuszellnävi vor, die häufig diffus über den gesamten Körper verteilt sind. Bei einem Drittel der Patienten treten ausschließlich kleine oder mittelgroße Nävi auf. Häufig sind die Nävi behaart.[5][6]
Wenn sich die neurokutane Melanose vor dem fünften Lebensjahr manifestiert, besteht ein hohes Entartungsrisiko der Nävi. Dabei können bereits im Kindes- bzw. Jugendalter maligne Melanome entstehen.[7] Auch im Gehirn können die Melanozyten zu Malignomen führen.[8]
Der Verlauf der Erkrankung wird primär durch die ZNS-Beteiligung bestimmt. Etwa ein Drittel der Patienten entwickelt neurologische Symptome, die in der Regel innerhalb der ersten zwei Lebensjahre auftreten und in ihrem Schweregrad erheblich variieren können, unter anderem:[7]
- Sehstörungen
- Gesteigerter Hirndruck
- Hydrocephalus internus
- Epileptischer Anfall
- Bewegungsstörungen
- Myelopathie
- Hirnnervenausfälle
- Lernstörungen
Weitere Symptome sind retinale Pigmentationen und kolobomartige Läsionen der Uvea. Patienten mit symptomatischer leptomeningealer Melanose haben eine schlechtere Prognose.
Eine neurokutane Melanose kann mit verschiedenen anderen Krankheiten assoziert sein, wie:
Diagnostik
Die Diagnose einer neurokutanen Melanose wird in erster Linie aufgrund des klinischen Erscheinungsbildes gestellt. In einer kraniellen Magnetresonanztomographie (Kopf-MRT) können Bereiche vermehrter T1-Signalintensität nachgewiesen werden. Diese entsprechen einer Aggregation von Melanozyten und treten in der Regel in den Amygdala, im Cerebellum oder in den vorderen Bereichen der Temporallappen auf.
Bioptisch lassen sich verschiedene Differenzierungsgrade der proliferierenden Melanozyten beobachten.
Damit eine Beteiligung des Gehirns frühzeitig erkannt wird, sollten bei Säuglingen mit folgenden Befunden frühzeitig MRT-Aufnahmen durchgeführt werden:[3]
- Kongenitale Nävi, die einen Durchmesser von mehr als 2 cm aufweisen und im Schädelbereich oder über der Wirbelsäule lokalisiert sind
- Vorhandensein von mehr als 20 kleinen kongenitalen Nävi
Differentialdiagnosen
Mögliche Differentialdiagnosen einer neurokutanen Melanose sind beispielsweise:[1]
- Idiopathische Epilepsie
- Idiopathischer Hydrozephalus
- Meningeale Melanozytose
- Meningeales Melanom
Therapie
Es existiert keine kausale Therapie der Erkrankung. Die Therapie beruht insbesondere auf der symptomatischen Behandlung der neurologischen Symptome. Bei einem vorliegenden Hydrozephalus kann ein ventrikulo-peritonealer Shunt angelegt werden, um den Hirndruck zu reduzieren. Hierbei muss jedoch ein Filter eingesetzt werden, damit eine Streuung von eventuell vorhandenen Tumorzellen verhindert werden kann. Krampfanfälle können häufig erfolgreich durch eine Lobotomie therapiert werden.
Bei symptomatischen Patienten sollten alle interventionellen Therapien, aufgrund der schlechten Prognose der Erkrankung, sorgfältig abgewogen werden.[3]
Patienten mit einer malignen leptomeningealen Melanose sprechen in der Regel schlecht auf eine Chemo- oder Radiotherapie an.[2]
Asymptomatische Patienten werden regelmäßig in etwa einjährigem Abstand dermatologisch und neurologisch untersucht.
Melanomverdächtige oder funktionell einschränkende Nävi sollten exzidiert werden. Es ist eine interdisziplinäre Betreuung unter anderem durch Kinderärzte, Dermatologen und Neurochirurgen notwendig.
Prognose
Patienten, die keine neurologischen Symptome aufweisen, haben in der Regel eine normale Lebenserwartung. Bei den meisten symptomatischen Patienten ist die Prognose hingegen ungünstig und sie versterben innerhalb von wenigen Jahren. In den ersten drei Lebensjahren ist die Mortalität besonders hoch. Todesursachen sind beispielsweise die Entstehung eines Melanoms im ZNS oder die Komplikationen, die durch einen Hydrozephalus verursacht werden.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 Orphanet - Melanozytose, neurokutane, abgerufen am 22.03.2022
- ↑ 2,0 2,1 Korinthenberg et al. Neuropädiatrie, Elsevier, 3. Auflage, 2020
- ↑ 3,0 3,1 3,2 Livingstone et al. Neurocutaneous Melanosis: A Fatal Disease in Early Childhood, Journal of Clinical Oncology, 2009
- ↑ Küsters-Vandevelde et al. Experimental treatment of NRAS-mutated neurocutaneous melanocytosis with MEK162, a MEK-inhibitor, Acta Neuropathologica Communications volume, 2014
- ↑ Altmeyers- Enzyklopädie - Melanosis neurocutanea, abgerufen am 22.03.2022
- ↑ Petres et al. Operative Dermatologie. Springer-Verlag, 2. Auflage, 2007
- ↑ 7,0 7,1 Pschyrembel - Neurokutane Melanose, abgerufen am 22.03.2022
- ↑ Wagner. Pädiatrische Neuroradiologie, Springer-Verlag, 2007
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