Neugeborenenreanimation
Synonyme: Neugeborenenrea, Neugeborenen-Rea
Englisch: neonatal resuscitation
Definition
Die Neugeborenenreanimation umfasst alle Maßnahmen zur Wiederbelebung eines Neugeborenen unmittelbar nach der Geburt. Sie ist Teil der Erstversorgung des Neugeborenen.
Terminologie
Obwohl die Neonatalperiode bis zum 28. Lebenstag definiert ist, bezieht sich der Reanimationsalgorithmus der Neugeborenenreanimation nur auf Neugeborene in den ersten Lebensminuten nach der Geburt. Er wird daher häufig nur im Kreißsaal, bei der Sectio-OP bzw. in der präklinischen Notfallmedizin angewendet. In allen anderen Situationen wird der Algorithmus zur Kinderreanimation verwendet (15 Thoraxkompressionen : 2 Beatmungen).
Hintergrund
Unterstützende Maßnahmen, die über die Basismaßnahmen der Erstversorgung von Neugeborenen hinausgehen (Wärmen, Trocknen, Sicherstellen freier Atemwege), sind nur selten erforderlich.
85 % aller Neugeborenen entwickeln ohne erweiterte Maßnahmen postnatal eine suffiziente Spontanatmung. Bei etwa 10 % setzt diese unter Trocknen, taktiler Stimulation und Öffnen der Atemwege ein. Lediglich 5 % benötigen unterstützende Beatmung in den ersten Minuten. Intubationen werden bei weniger als 2 % der Neugeborenen vorgenommen, Thoraxkompressionen im Sinne einer tatsächlichen kardiopulmonalen Reanimation bei nur 0,3 %. Eine Adrenalingabe ist in ca. 0,05 % der Fälle notwendig.[1]
Bekannte Risikofaktoren sind:[2]
- Fetal
- intrauterine Wachstumsretardierung
- Frühgeburt (< 37. SSW)
- Mehrlingsschwangerschaft
- Schwere kongenitale Fehlbildung
- Oligo- oder Polyhydramnion
- Mütterlich
Zu den intrapartalen Risikofaktoren zählen darüber hinaus:
- Zeichen einer fetalen Beeinträchtigung (z.B. auffälliges CTG)
- mekoniumhaltiges Fruchtwasser
- Spontangeburt aus Beckenendlage
- Vakuum- oder Zangengeburt
- mütterliche Blutung
- Sectio vor der 39. SSW
- Notsectio
Die Seltenheit und die häufig belastende Situation stellt das Behandlungsteam vor besondere Herausforderungen. Im Idealfall ist ein Neonatologe vor Ort. In Kliniken ohne pädiatrische Fachabteilung erfolgt die Neugeborenenreanimation primär meist durch Anästhesiologen und Geburtshelfer. Das European Resuscitation Council (ERC) gibt in seiner Leitlinie Empfehlungen zur Durchführung, die aufgrund der schlechten Datenlage aber zum Teil eine geringe Evidenz haben.
Maßnahmen
Teambriefing
Vor jeder Geburt sollte allen an der Geburt beteiligten Berufsgruppen der erwartete Verlauf der Geburt/Sectio und die Rollenverteilung innerhalb des Teams bekannt sein. Sind Reanimationsmaßnahmen vorauszusehen, sollten auch die Eltern auf dieses mögliche Szenario vorbereitet werden.
Erstmaßnahmen und initiale Beurteilung
Unmittelbar nach der Geburt wird das Neugeborene abgetrocknet, stimuliert und gewärmt (die weitere Versorgung erfolgt in der Regel an einer mobilen Reanimationseinheit für Neugeborene). Kritisch kranke Neugeborene sollten zur weiteren Versorgung an der Reanimationseinheit unverzüglich abgenabelt werden.
Die initiale Beurteilung erfolgt durch das wiederholte Erfassen von Muskeltonus, Hautkolorit, Qualität der Spontanatmung und Herzfrequenz.
Atemwege öffnen und initiale Beatmungen
Zeigt das Neugeborene keine oder keine suffiziente Atmung, müssen die Atemwege geöffnet werden. Dazu wird der Kopf in Neutralstellung (Schnüffelposition) gelagert und das Kinn angehoben.
Ein Absaugung der Atemwege sollte nur bei begründetem Verdacht einer Atemwegsverlegung vorgenommen werden. Routinemäßiges Absaugen (z.B. bei mekoniumhaltigen Fruchtwasser) ist nachweislich mit Komplikationen wie Schleimhautläsionen, Bradykardie, Apnoe und langsamerem Anstieg der Sauerstoffsättigung assoziiert.
Liegt auch bei geöffneten Atemwegen keine (suffiziente) Spontanatmung vor, werden initial fünf Beatmungen mit verlängerter Inspirationszeit (2 - 3 Sekunden) durchgeführt.
Wenn die Herzfrequenz nach den initialen Beatmungen über 60/min beträgt, spricht dies für die Effektivität der Beatmungen. Diese sollten fortgeführt werden, bis die Herzfrequenz weiter bis über 100/min angestiegen ist und das Neugeborene eine suffiziente Spontanatmung entwickelt. Liegt die Herzfrequenz nach den initialen Beatmungen unter 60/min, muss zunächst eine insuffiziente Maskenbeatmung als Ursache ausgeschlossen werden. Gegebenenfalls sollte Hilfsmittel (z.B. Guedeltubus) verwendet werden.
Steigt die Herzfrequenz nach 30 Sekunden effektiver Beatmung nicht über 60/min, müssen Thoraxkompressionen durchgeführt werden.
Thoraxkompressionen
Die Thoraxkompressionen werden abwechseln mit der Beatmung im Verhältnis 3:1 durchgeführt. Die Kompressionen sollten bevorzugt mit der Zweidaumentechnik durchgeführt werden. Der Druckpunkt liegt dabei zwischen den Mamillen. Die Kompressionstiefe beträgt ca. ein Drittel des Thoraxdurchmessers, die Frequenz ca. 120/min.
Zugang und Medikamente
Besteht trotz suffizienter Beatmung und Thoraxkompressionen weiterhin eine Bradykardie < 60/min, ist die Gabe von Adrenalin indiziert. Als venöser Zugang kann die Nabelschnur (z.B. Nabelvenenkatheter) verwendet werden. Alternativ kann ein intraossärer Zugang gelegt werden. Ein peripher-venöser Zugang ist ebenfalls möglich, meist aber sehr schwierig zu etablieren.
Adrenalin wird in einer Dosierung von 10 (-30) µg/kgKG alle 3 bis 5 Minuten verabreicht.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Bei Verdacht auf einen manifesten Schock, der nicht auf andere Reanimationsmaßnahmen anspricht, kann zudem kristalloide Infusionslösung (10 ml/kgKG) verabreicht werden.
Intubation
Eine Intubation sollte nur durch erfahrene Anwender erfolgen. Bei suffizienter Maskenbeatmung ist sie zudem meist primär nicht erforderlich.
Beendigung von Reanimationsmaßnahmen
Die ERC-Leitlinie empfiehlt folgendes Vorgehen:[1]
- ist bei einem Neugeborenen die Herzfrequenz länger als 10 min nicht nachweisbar, müssen alle klinischen Faktoren (z.B. Schwangerschaftswoche, Fehlbildungen) sorgfältig beurteilt und die Effektivität der Reanimationsmaßnahmen überprüft werden. Ansichten aller Teammitglieder in Bezug auf die weitere Fortsetzung der Reanimationsmaßnahmen sollen eingeholt werden.
- ist die Herzfrequenz eines Neugeborenen nach der Geburt länger als 20 min nicht nachweisbar, obwohl alle Reanimationsmaßnahmen technisch korrekt durchgeführt werden und reversible Ursachen ausgeschlossen wurden, kann es angemessen sein, eine Beendigung der Wiederbelebungsmaßnahmen zu erwägen.
- kommt es lediglich zur teilweisen Verbesserung des klinischen Zustands bzw. zu einem unzureichenden Anstieg der Herzfrequenz, kann es in diesen Situationen angebracht sein, das Neugeborene zunächst auf eine Intensivstation zu verlegen und eine Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen in der Zusammenschau aller weiteren Befunde erst in weiterer Folge in Erwägung zu ziehen, sofern sich der klinische Zustand des Neugeborenen nicht bessert.
- Wenn eine weitere lebenserhaltende Behandlung nicht durchgeführt oder beendet wird, muss eine angemessene palliative Therapie im Vordergrund stehen.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 Schwindt et al.: Versorgung und Reanimation des reifen Neugeborenen nach der Geburt basierend auf der aktuellen Leitlinie des European Resuscitation Council 2021. Monatsschrift Kinderheilkunde, 2022.
- ↑ Madar et al.: Versorgung und Reanimation des Neugeborenen nach der Geburt. Leitlinien des European Resuscitation Council 2021. Notfall Rettungsmed 2021