Familiäre adenomatöse Polyposis coli
Synonyme: Polyposis coli, Familiäre adenomatöse Polyposis, FAP
Englisch: familial adenomatous polyposis, FAP
Definition
Die familiäre adenomatöse Polyposis coli, kurz FAP, ist eine autosomal-dominante Erkrankung, bei der sich multiple, adenomatöse Polypen im gesamten Gastrointestinaltrakt, besonders jedoch im Kolon finden.
Ätiologie
Ursache der FAP ist der Verlust bzw. die Mutation des APC-Gen (adenomatous polyposis of the colon), welches eine wichtige Funktion im Abbaukomplex des β-Catenin (über den Wnt-Signalweg), sowie im Aufbau der mitotischen Spindel übernimmt. Die Mutation wird autosomal-dominant vererbt, wobei Spontanmutationen mit bis zu 30 % der Fälle häufig sind. Ist das Gen mutiert, kommt es zu einer gebremsten Ubiquitinylierung des β-Catenins, welches in der Folge nicht von den Proteasomen abgebaut wird. Es kann akkumulieren und als Transkriptionsfaktor im Nukleus eine gesteigerte Proliferation hervorrufen.
Durch die Beteiligung am Aufbau der Mitosespindel kommt es bei einer Malfunktion des APC-Gens zu gehäuften Fehlverteilungen der Chromosomen bzw. zu Aneuploidien, was die maligne Entartung zusätzlich begünstigt. Die Adenom-Karzinom-Sequenz läuft dadurch beschleunigt ab.
Epidemiologie
Die FAP hat eine Prävalenz von etwa 1/8.000 bei Geburt und 1/11.000 bis 1/35.000 in der europäischen Allgemeinbevölkerung. Eine Geschlechterpräferenz liegt nicht vor. Die FAP ist die Ursache von ungefähr einem Prozent der kolorektalen Karzinome.
Symptome
Verlaufsformen
Die Verlaufsform ist grundsätzlich abhängig von der Lage der Mutation. So gehen Mutationen, die eher am Rande des Gens auftauchen, wie bei der attenuierten FAP, mit einem deutlich langsameren Verlauf und weniger Polypen einher. Dagegen sind zentral gelegene Mutationen, die im Bereich des β-Catenin liegen, mit einer deutlich progressiveren Form vergesellschaftet.
- Kolorektales Karzinom: Im Allgemeinen beginnt die Entwicklung eines Karzinoms etwa 10 Jahre nach dem Auftreten der Polypen. Die Wahrscheinlichkeit eines kolorektalen Karzinoms in den ersten 5 Jahren nach Diagnostik beträgt ungefähr 10 %, steigt nach 15 bis 20 Jahren auf ungefähr 30 % und erreicht nach über 30 Jahren 100 %.
- Weitere assoziierte Manifestationen: Zahnanomalien, kongenitale Hypertrophie des Pigmentepithels (CHRPE), Desmoidtumore, Fibrosarkome, Osteome, papilläre Schilddrüsenkarzinome, benigne Adnextumore, Ovarial-, Papillen- und Pankreaskarzinome
- Turcot-Syndrom: Assoziation von FAP mit Medulloblastomen, Glioblastomen, Spongioblastomen oder Astrozytomen
- Attenuierte FAP: Weniger aggressive Verlaufsform, die sich mit geringerer Zahl kolorektaler Adenome (meist 10 bis 100), höherem Alter beim Auftreten der Adenome und geringerem Krebsrisiko zeigt
- Familiäre infiltrative Fibromatosis: FAP-Variante mit nur diskreten Kolonadenomen, aber massiver Desmoidausbildung und Auftreten von kolorektalen Karzinomen
- MUTYH-assoziierte FAP: Bei einer Untergruppe von Patienten verursachen Mutationen im MUTYH-Gen auf Chromosom 1 (Genlokus 1p34.1) eine autosomal-rezessive Polypose mit leicht erhöhtem Risiko für die Entwicklung von kolorektalen Karzinomen und Polypen/Adenomen im oberen und unteren Gastrointestinaltrakt ohne Entstehung von Desmoiden
- Gardner-Syndrom: Autosomal-dominante Variante der FAP mit Kolonadenomatose, Osteomen und Desmoiden in charakteristischer Lokalisation sowie Atheromen, Lipomen, Leiomyomen, Zahnanomalien, Papillen- und Pankreaskarzinomen
Diagnostik
Die Diagnose kann mithilfe der Koloskopie und der Kontrastmitteluntersuchung des Kolons gestellt werden. In bestimmten Fällen kommt auch eine Kapselendoskopie des Dünn- und Dickdarmes infrage. Wegen des hohen Entartungsrisikos ist eine totale Proktokolektomie indiziert. Auch der obere Gastrointestinaltrakt muss mittels Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD) untersucht werden. Wenn möglich, sollte die klinische Diagnose durch eine molekulargenetische Untersuchung bestätigt werden.
Klassifikation
Beim Auftreten von Duodenaladenomen im Rahmen einer FAP werden diese nach der Spigelman-Klassifikation eingeteilt.
Differenzialdiagnosen
Andere Krankheiten mit multiplen Polypen sind zu erwägen, z.B. Peutz-Jeghers-Syndrom, familiäre juvenile Polypose, hyperplastische Polypose, Syndrom der hereditären gemischten Polypose oder Lynch-Syndrom.
Therapie
Ziel der Therapie ist die Krebsprävention und Erhaltung einer guten Lebensqualität. Ab dem 10. Lebensjahr beginnen Screening-Untersuchungen. Sind noch keine kolorektalen Polypen ausgebildet, wird die Koloskopie alle 1 bis 2 Jahre wiederholt. Bei Fehlen von gastroduodenalen Polypen wird die ÖGD alle 2 bis 3 Jahre wiederholt.
Meist wird ab dem 15. bis 20. Lebensjahr eine prophylaktische chirurgische kolorektale Krebsprophylaxe empfohlen:
- Kolektomie mit Proktomukosektomie und anschließender Anlage eines ileoanalen Pouch: Derzeit die gebräuchlichste Operationsmethode für die klassische FAP. Das verbreitetste Ileumreservoir ist der J-Pouch.
- Kolektomie mit ileorektaler Anastomose (IRA): Indiziert bei attenuiertem FAP und bei geringem Rektumkarzinomrisiko.
- Totale Proktokolektomie mit endständigem Ileostoma: Meist nur bei älteren Patienten mit FAP und tiefsitzendem Rektumkarzinom oder nach Komplikationen eines Primäreingriffs.
- Proktokolektomie mit Kock-Pouch (kontinente Ileostomie): Pouchvorschaltung vor das kontinente Ileostoma, wird heute kaum noch angewendet.
Eine Chemoprävention mit NSAR wie Sulindac und COX-2-Hemmer wie Celecoxib wird zum Teil nach IRA angewendet und aktuell (2019) weiter in Studien untersucht.
Prognose
Haupttodesursachen sind kolorektale Karzinome (Durchschnittsalter 40 Jahre). Fast 11 % versterben wegen eines Desmoids (Durchschnittsalter 33 Jahre) und 8 % entwickeln ein periampulläres Karzinom (Durchschnittsalter 49 Jahre). Haupttodesursache nach Proktokolektomie sind Desmoidtumore und das periampulläre Karzinom.[1]
Quellen
- ↑ Righetti AEM et al. Familial adenomatous polyposis and desmoid tumors, Clinics (Sao Paulo). 2011 Oct; 66(10): 1839–1842, abgerufen am 25.07.2019
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