Epilepsie (Hund)
Synonyme: Epileptiformer Anfall, epileptischer Krampfanfall, zerebrales Anfallsleiden
Definition
Nomenklatur
Als epileptischen Krampfanfall bezeichnet man die klinische Manifestation exzessiver und/oder hypersynchroner abnormaler sowie spontaner Entladungen von Nervenzellgruppen der Großhirnrinde. Diese Entladungen entstehen u.a. durch starke Reize (z.B. bestimmte Gifte und Traumata) oder Stoffwechselstörungen, aber auch idiopathisch.
Vorkommen
Grundsätzlich kann jeder Hund unter entsprechenden Voraussetzungen bzw. Provokationen mit einem epileptischen Anfall reagieren. Von einer klinisch manifesten Epilepsie spricht man jedoch erst dann, wenn es zu rezidivierenden Anfällen kommt.
Pathophysiologie
Die genauen pathophysiologischen Prozesse, die eine Epilepsie hervorrufen, sind derzeit (2022) nicht vollständig geklärt.
Es wird vermutet, dass eine Imbalance zwischen Erregung und Hemmung der Neuronen in den neuronalen Netzen zu einer überschießenden Reaktion führt. Durch veränderte Membraneigenschaften und ein falsches Verhältnis der unterschiedlichen Neurotransmitter entstehen Impulse, welche die unterschiedlichen Anfallstypen auslösen können. Wichtige Transmitter sind Glutamat sowie GABA, die durch ein Ungleichgewicht paroxysmale Depolarisationsstörungen hervorrufen. Abhängig davon, welcher Bereich im Gehirn betroffen ist, kommt es zu unterschiedlichen klinischen Manifestationen.
Ätiologie
Anhand der Ätiopathogenese kann man epileptische Anfälle in zwei große Gruppen unterteilen:
- primäre Epilepsie (primäre, genuine oder idiopathische Epilepsie)
- sekundäre Epilepsie (symptomatische oder erworbene Epilepsie)
Bei einer primären Epilepsie fehlen sowohl metabolische Abweichungen als auch morphologische Hirnveränderungen. Die Erkrankung ist die Folge eines nachgewiesenen oder vermuteten genetischen Defekts und tritt bei manchen Rassen (Golden oder Labrador Retriever, Berner Sennenhund) gehäuft auf.
Sekundäre Epilepsien entstehen hingegen entweder aufgrund intra- (z.B. Hydrozephalus, Hirntumor, posttraumatisch) oder extrakranieller Veränderungen, wie z.B. einer Hepatoenzephalopathie oder Intoxikationen.
Klassifizierung
Anfälle können anhand ihrer Charakteristika in zwei große Gruppen unterteilt werden, von denen wiederum mehrere Typen unterschieden werden können. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen: fokalen Anfällen und generalisierten Anfällen.
fokale Anfälle | |
---|---|
einfache fokale Anfälle | motorische Symptome wie Zucken, Kopfschütteln |
komplexe fokale Anfälle | psychomotorisch, Automatismen +/- beeinträchtigtes Bewusstsein |
generalisierte Anfälle | |
tonisch-klonische Anfälle | 4-phasiger Verlauf (Prodromalphase, Aura, Iktus, postiktale Phase) |
Cluster | serienweise epileptische Anfälle (> 2 pro 24 Stunden), Status epilepticus möglich |
Absencen | selten, plötzlicher und kurz andauernder Bewusstseinsverlust |
myoklonische Anfälle | plötzliche, kurz andauernde Kontraktionen |
Lafora-Typ-Anfälle | beim Beagle und Bassethound genetisch |
klonische Anfälle | rasch aufeinanderfolgende und kurz andauernde Muskelzuckungen antagonistischer Muskeln |
Klinik
Die klinische Manifestation hängt vom Anfallstyp ab und kann stark variieren.
Während einfache fokale Anfälle oftmals gar nicht als solche wahrgenommen werden (Zucken einzelner Gliedmaßen oder Muskelgruppen, Kierferschlagen oder Kopfschütteln), können komplexe fokale Anfälle zu einer deutlichen Beeinträchtigung des Bewusstseins führen. Bei diesen Tieren sind die Pupillen oftmals dilatiert und das Verhalten deutlich gestört. Es kommt zu unkontrolliertem Bellen, Lecken, Kauen und/oder Fliegenschnappen.
Generalisierte Anfälle hingegen gehen häufig mit stärker ausgeprägten Symptomen einher. Abhängig vom Anfallsstadium (z.B. Aura oder Iktus) können Unruhe, offensichtliche Angst oder gar wenige Sekunden bis einige Minuten andauernde Krampfanfälle beobachtet werden. Das Tier bricht bewusstlos zusammen, liegt auf der Seite, zeigt tonisch-klonische Anfälle (Ruderbewegungen, Kaukrämpfe) und setzt dabei unkontrolliert Kot und Urin ab. Im Anschluss kehrt das Bewusstsein allmählich wieder zurück. Die daran anschließende postiktale Phase wird auch als Erholungsphase bezeichnet. Betroffene Hunde sind erschöft, hungrig, ataktisch und teilweise auch blind.
Diagnose
Die Diagnostik bei einem von Epilepsie betroffenen Hund ist aufwendig und zeitintensiv. Durch verschiedene Ausschlussverfahren müssen extrazerebrale und intrazerebrale Erkrankungen abgeklärt werden.
Neben einer umfangreichen Blutuntersuchung (Organparameter inkl. T4, Glukose, etc.) sind auch eine Echokardiographie sowie Sonographie des Abdomens durchzuführen. Anschließend sind eine Magnetresonanztomographie und Liquoruntersuchung indiziert.
Therapie
Die Therapie richtet sich nach der Art der Epilepsie (primär vs. sekundär). Während einige einfache primäre Epilepsien nur symptomatisch zu behandeln sind, müssen rezidivierende Anfälle mit Antiepileptika therapiert werden. Sekundäre Epilepsien sind in den meisten Fällen ätiologisch zu behandeln.
Langzeittherapie
Die Mittel der Wahl zur Langzeittherapie sind entweder Imepitoin oder Phenobarbital:
Wirkstoff | Initialdosis | Maximaldosis |
---|---|---|
Imepitoin | 10 mg/kgKG 2x tägl. | 30 mg/kgKG 2x tägl. |
Phenobarbital | 2-5 mg/kgKG 2x tägl. | 10 mg/kgKG 2x tägl. |
Bei Imepitoin wird bereits nach 2 bis 3 Tagen (nach Therapiebeginn) ein konstanter Wirkstoffspiegel erreicht. Der Arzneistoff potenziert die inhibitorische GABA-Wirkung und zeigt dabei nur ein geringes Nebenwirkungsprofil. Eine Kontrolle des Wirkstoffspiegels ist in der Regel nicht notwendig. Im Gegensatz dazu wird bei Phenobarbital erst 10 bis 18 Tage nach Beginn der Therapie die konstante Serumkonzentration erreicht. Diese sollte (abhängig vom Labor) zwischen 20 und 40 µg/ml betragen. Bis zum Erreichen des idealen Wirkstoffspiegels sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen durchzuführen.
Bei Nichtansprechen auf eine Behandlung mit Imepitoin oder Phenobarbital kommen unterschiedliche Kombinationstherapien zu Einsatz. Entweder werden Imepitoin und Phenobarbital kombiniert, oder es werden andere Wirkstoffe verwendet oder zur bestehenden Therapie hinzugefügt (Add-on-Therapie), wie z.B.:
- Kaliumbromid: 20-30 mg/kgKG/Tag
- Levetiracetam: 20 mg/kgKG 3x tägl.
- Gabapentin: 10-20 mg/kgKG 2-3x tägl.
- Zonisamid: 10 mg/kgKG 2x tägl.
Akuttherapie
Ein Status epilepticus ist ein Notfall und muss intensiv behandelt werden. Betroffenen Tieren muss umgehend ein Venenverweilkatheter gelegt und direkt Blut zur Untersuchung (Glukose, Elektrolyte, Kalzium, Leber- und Nierenenzyme, Ammoniak) entnommen werden. Anschließend ist Diazepam (0,5-2 mg/kgKG langsam i.v.) zu verabreichen. Alternativ kann auch Midazolam (0,07-0,22 mg/kgKG i.v./i.m.) verwendet werden. Kommt es dennoch zu keiner ausreichenden antikonvulsiven Wirkung, ist
- Phenobarbital (2-4 mg/kgKG i.v.),
- Pentobarbital (2-15 mg/kgKG i.v.),
- Levetiracetam (10-60 mg/kgKG i.v./i.m.) oder
- Propofol (4-8 mg/kgKG i.v.) indiziert.
Bei unkontrollierten und unstillbaren Krampfanfällen müssen die Tiere in ein künstliches Koma gelegt werden. Hierfür eignet sich z.B. Propofol in Form einer Dauertropfinfusion (DTI).
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Literatur
- Kohn B, Schwarz G (Hrsg.). 2017. Praktikum der Hundeklinik. 12., aktualisierte Auflage. Stuttgart: Enke Verlag in Georg Thieme Verlag KG. ISBN: 978-3-13-219961-3
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