Antimonderivat
Handelsnamen: Pentostam®, Glucantime®
Definition
Antimonderivate sind Arzneistoffe aus der Klasse der Antiprotozoika. Bei Natrium-Stiboglukonat (Pentostam®) sowie Meglumin-Antimonat (Glucantime®) handelt es sich um organische Derivate 5-wertigen (pentavalenten) Antimons zur Behandlung der Leishmaniose.
Hintergrund
In der Medizin verwendet man zur übergeordneten Charakterisierung von Vertretern der Wirkstoffgruppe üblicherweise die zugrundeliegende Ausgangssubstanz aller Derivate, das pentavalente Antimon. Es wird durch das Antimon-Kation Sb5+symbolisiert. Wenn also von einer Behandlung mit pentavalentem Antimon oder Sb5+ gesprochen wird, ist damit eine Therapie mittels eines der beiden erwähnten Arzneistoffe gemeint.
Pro ml enthält Pentostam® 100 mg und Glucantime® 81 mg der Ausgangssubstanz Sb5+.
Anwendungsgebiete
- Behandlung einer Infektion mit Leishmanien
Wirkung
Pentavalentes Antimon ist für die Behandlung von Leishmaniosen seit 1945 im Einsatz. Seit den 1950-er Jahren haben die beiden zuvor erwähnten Wirkstoffe frühere giftigere Präparate ersetzt. Die chemische Strukturformel der Wirkstoffe war lange Zeit unbekannt. Erst seit ungefähr der Jahrtausendwende sind konkretere, aber immer noch nicht vollständig gesicherte Ergebnisse veröffentlicht geworden.[1]
Auch heute wird die Wirkungsweise der Derivate fünfwertigen Antimons für die Leishmaniose-Behandlung noch nicht sicher voll verstanden.
Es gibt zwei unterschiedliche Modelle.[1]
Zum einen ist bekannt, dass Derivate fünfwertigen Antimons unter dem Einfluss von Thiolen in Leishmanien in vivo zu einem kleinen Teil zu giftigeren Derivaten dreiwertigen Antimons metabolisiert werden. Das erste Prodrug-Modell geht davon aus, dass verschiedene biochemische Sb3+-Umwandlungsprozesse zur Leishmanien-Apoptose führen.
Das zweite Modell der Sb5+-Wirksamkeit (engl.: active Sb5+ model) vertritt die Auffassung, dass Sb5+ selbst die entscheidende Wirksubstanz von Verbindungen ist, die über verschiedene biochemische Umwandlungsprozesse die Hemmung der parasitären DNA-Topoisomerase I verursachen.
Systemische Behandlung
Eine systemische Behandlung mit Antimonderivaten erfolgt bei viszeraler, mukokutaner und durch Leishmanien vom Subgenus Viannia bedingter kutaner Leishmaniose. Darüber hinaus kann sie bei einigen anderen komplexen kutanen Leishmaniosen sinnvoll sein. Sb5+ kann mittels Kurzinfusionen intravenös oder als Injektion (oft schmerzhaft) intramuskulär verabreicht werden.
Pharmakologie
Pentavalentes Antimon wird schnell absorbiert und überwiegend renal ausgeschieden.
Gemäß einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1988[2] werden die Wirkstoffe bei intramuskulärer Verabreichung nach einer initialen Absorptionsphase im Anschluss in einer ersten schnellen Eliminationsphase mit einer Halbwertzeit im Blut von 2 Stunden und einer zweiten langsamen Eliminationsphase mit einer Halbwertzeit von 76 Stunden ausgeschieden.[3] Die Untersuchung basiert auf einer 30-tägigen Verabreichung von 10 mg Sb5+ pro kg Körpergewicht über 30 Tage.[3] Die tägliche Dosis entspricht damit der Hälfte der in heutigen Richtlinien vorgeschlagenen täglichen Wirkstoffmenge.[4][5] Zwar wird der Wirkstoff in seinen wesentlichen Teilen relativ schnell abgebaut, aufgrund der langsamen zweiten Eliminationsphase steigt jedoch im Verlaufe der 30-tägigen Behandlung die im Blut verbleibende Restmenge von Sb5+ langsam an, und zwar 24 Stunden nach der Verabreichung der letzten Dosis auf das 5-fache des 24 Stunden nach der ersten Verabreichung gemessenen Wertes.[2]
Eine Veröffentlichung aus dem Jahr 2017[6] bestätigt diese Ergebnisse auch für eine intravenöse Verabreichung, wobei sich lediglich in der langsamen Eliminationsphase die Halbwertzeit auf 33 Stunden verkürzt. Der langsame letzte Teil des Eliminationsprozesses bei beiden Verabreichungsformen wird für die Toxizität einer langfristigen Behandlung mit pentavalentem Antimon verantwortlich gemacht.
Die höchste Sb5+-Konzentration im Blutserum wird bei intramuskulärer und intravenöser Verabreichung nach ca. 2 Stunden erreicht.[2][3]
Kontraindikationen
- Schwere Herz-, Leber-, oder Nierenerkrankungen
- Schwangerschaft und Stillzeit (Indikationsabwägung)
Nebenwirkungen
Mögliche Nebenwirkungen sind von der Behandlungsdauer und der Dosis abhängig. Häufig sind:[5][7]
- Arthralgien
- Myalgien
- kolikartige abdominelle Oberbauchschmerzen
- Diarrhö
- Nausea
- Erbrechen
- Kopfschmerzen
- Reversible Erhöhung der Transaminasen und Pankreasenzyme
In seltenen Fällen kommt es zu:
- Nephrotoxizität
- Pankreatitis
- Exanthemen
- Reversibler Leukopenie
- Husten
- Pneumonitis
Antimon ist mutagen.
Kardiotoxizität
Während der Behandlung ist eine ständige EKG-Kontrolle angezeigt. In verschiedenen Ländern (z.B. in Südamerika) mit Leishmaniasis-Endemiegebieten soll pentavalentes Antimon nach dem 65. Lebensjahr nicht mehr eingesetzt werden. Die Verabreichung nach dem 50. Lebensjahr soll nur dann erfolgen, wenn am Ort des Einsatzes EKG-Geräte eines gewissen Mindeststandards und das notwendige Fachwissen zur Beurteilung verfügbar sind, was gerade in abgelegenen Endemiegebieten oft nicht der Fall ist. Mögliche kardiale Nebenwirkungen sind:[5][7]
Die gefährlichsten kardialen Nebenwirkungen treten vor allem im letzten Drittel einer 30-tägigen oder 28-tägigen systemischen Behandlung z.B. gegen viszerale, mukokutane oder disseminierte kutane Leishmaniosen auf.
Therapiekontrolle
Während der Dauer der Behandlung sind Leberenzymwerte und Serumkreatininspiegel zu überwachen. Der Parasitenbefall kann mittels verschiedener (z.B. immunchromatographischer, serologischer oder mikroskopischer) Methoden, bei kutanen und mukokutanen Läsionen auch über deren Abheilen kontrolliert werden.
Lokale Behandlung
Insbesondere bei durch Leishmanien der Alten Welt (Europa, Asien, Afrika) bedingten einfachen kutanen Läsionen kann auch eine lokale Behandlung erfolgen. Sb5+ wird 2-3-mal im Abstand von 1-2 Tagen um und unter die Läsion gespritzt, bis diese ausgebleicht ist. Dieses Verfahren wird in der deutschen Leitlinie zur Behandlung kutaner und mukokutaner Leishmaniosen[5] kurz als "periläsionales Antimon" tituliert. Eine Injektion in den Ulkusgrund allein ist nicht ausreichend.
Kanine Leishmaniose
Sb5+ kann auch in der Veterinärmedizin zur systemischen Behandlung der kaninen Leishmaniose eingesetzt werden. Die Applikation erfolgt im Allgemeinen durch subkutane Injektionen oder sehr langsame intravenöse Infusionen (im Allgemeinen Dauertropfinfusionen).
Handelsformen
Pentostam® (Wirkstoff: Natrium-Stiboglukonat, Summenformel: C12H35Na3O26Sb2) und Glucantime® (Wirkstoff: Meglumin-Antimonat, Summenformel: C7H18NO8Sb) sind gleichwertige Präparate mit den gleichen Nebenwirkungen. Beide können in der Humanmedizin intravenös, intramuskulär oder periläsional, in der Veterinärmedizin bei Hunden intravenös oder subkutan verabreicht werden.
Zulassung
Pentostam® und Glucantime® sind in Deutschland, Österreich und der Schweiz für eine humanmedizinische Anwendung nicht zugelassen. Allerdings beschaffen z.B. die Tropeninstitute die Medikamente bei Bedarf über landesspezifische Härtefallregelungen. Im Allgemeinen wird Glucantime® importiert, da dieses Medikament in verschiedenen EU-Ländern (z.B. Frankreich) zugelassen und die Einfuhr daher an weniger Bedingungen geknüpft ist.
Bemerkungen zur Terminologie
Im Englischen gibt es neben dem Begriff antimony (Antimon) noch das Adjektiv antimonial (Antimon betreffend, Antimon enthaltend) und das daraus abgeleitete Substantiv antimonial (Antimon enthaltende Substanz, Antimon-Präparat). In verschiedenen englischen Texten, z.B. im WHO-Report 949 zur Kontrolle von Leishmaniosen[7], wird für auf pentavalentem Antimon basierende Präparate der Begriff pentavalent antimonial verwendet. Für pentavalentes Antimon enthaltende Verbindungen findet man den Begriff pentavalent antimonial compound.
Bisweilen findet man in der medizinischen Literatur, z.B. in der deutschen Leitlinie zur Behandlung kutaner und mukokutaner Leishmaniosen[5], für die Wirkstoffe Natrium-Stiboglukonat sowie Meglumin-Antimonat auch die Bezeichnung pentavalente Antimonate. Diese Interpretation als Salze der hypothetischen Antimonsäure ist bei noch nicht vollständig geklärten chemischen Strukturformeln nicht abschließend sichergestellt. Allerdings enthalten beide Stoffe die notwendigen Komponenten aus einem metallischen Element (bei Natrium-Stiboglukonat Na+, bei Meglumin-Antimonat ersetzt Meglumin das Natrium-Ion Na+[8]), Sauerstoff und Antimon mit einer Oxidationszahl von +5.
Anstelle von Sb5+[7] findet man in der medizinischen Literatur auch die Schreibweisen SbV, Sb(V)[1] oder SbV[5].
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 Frézard et al. Pentavalent Antimonials: New Perspectives for Old Drugs, Molecules 2009, 14, 2317-2336
- ↑ 2,0 2,1 2,2 Chulay et al. Pharmacokinetics of antimony during treatment of visceral leishmaniasis with sodium stibogluconate or meglumine antimoniate, Trans R Soc Trop Med Hyg. 1988;82(1):69-72
- ↑ 3,0 3,1 3,2 Meglumine Antimoniate (Systemic) Drugs.com
- ↑ Diagnostik und Therapie der viszeralen Leishmaniasis (Kala-Azar) AWMF-Register 042/004 – Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin DTG, Stand März 2012
- ↑ 5,0 5,1 5,2 5,3 5,4 5,5 Diagnostik und Therapie der kutanen und mukokutanen Leishmaniasis in Deutschland Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, 2010
- ↑ Kuhlmann/Fleckenstein Pentavalent Antimonial Compounds, in Cohen/Powderly/Opal: Infectious Diseases (Fourth Edition, Elsevier 2017)
- ↑ 7,0 7,1 7,2 7,3 Control of the leishmaniases WHO Technical Report 949, WHO 2010
- ↑ Meglumin Wikipedia