Mukokutane Leishmaniose
Englisch: mucocutaneous leishmaniasis
Definition
Die mukokutane Leishmaniose ist eine durch Erreger des Leishmanien-Subgenus Viannia hervorgerufene Infektionskrankheit, die durch Läsionen der Schleimhäute des Nasenrachenraums sowie zusätzlich des Kehlkopfs und der Luftröhre gekennzeichnet ist.
Hintergrund
Geschätzt mehr als 90 % aller Fälle werden durch Erreger der Spezies Leishmania braziliensis ausgelöst, die verbleibenden Erkrankungen entfallen fast vollständig auf Leishmania panamensis. Eher selten sind auch Leishmania guyanensis und andere Viannia-Spezies Verursacher der Infektion.
Abgrenzung
Gemäß WHO gilt nur die durch Viannia-Leishmanien ausgelöste Schleimhautinfektion des Nasenrachenraums als mukokutane Leishmaniose im engeren Sinne.[1] Insbesondere bei Kindern mit PKDL, bei disseminierter kutaner Leishmaniose und selten bei diffuser kutaner Leishmaniose, die durch Leishmania aethiopica ausgelöst wird, können vergleichbare Symptome manifest werden. Sie treten dann zusätzlich zu den die jeweilige Krankheitsausprägung definierenden Hautschädigungen auf. Infektionen durch Leishmania amazonensis und auch konfliktreiche Infektionen mit anderen Erregern haben in sehr seltenen Fällen mukokutane Symptome zur Folge. Im Falle einer Koinfektion mit AIDS und bei Immunsuppression können auch bei Infektionen mit fast allen anderen Leishmanienspezies Läsionen im Nasenrachenraum auftreten.
Der vorliegende Artikel behandelt ausschließlich mukokutane Viannia-Infektionen.
Folgeerkrankung einer kutanen Leishmaniose
Die mukokutane Infektion gilt als eine Folgeerkrankung der kutanen Leishmaniose. Bei nicht systemisch behandelter kutaner Primärinfektion werden durch eine hämatogene oder lymphogene Disseminierung der erwähnten Erreger in ca. 5 % der Fälle nach Monaten oder Jahren die mukokutanen Symptome ausgelöst.
In einem kleinen Prozentsatz der Fälle wird auch von einer mukokutanen Erkrankung ohne vorherige kutane Phase berichtet (nach kolumbianischer Leitlinie ca. 10 %[2]). Unklar ist, in wieweit der große Anteil subklinischer oder unbehandelter kutaner Erkrankungen an diesen Schleimhautinfektionen beteiligt ist.
Epidemiologie
Die Endemiegebiete der Erreger sind in Süd- und Mittelamerika inkl. Mexiko gelegen, und zwar (inkl. Nordargentinien) in allen Ländern außer Chile.
Alle Vektoren gehören der Sandmücken-Gattung Lutzomyia an. Bei allen Viannia-Erkrankungen (wie allgemeiner auch bei allen Erkrankungen an Amerikanischer kutaner Leishmaniose) handelt es sich um zoonotische Infektionen.
Auftretenswahrscheinlichkeit und Auftretenszeitpunkt
Mukokutane Leishmaniose tritt bei Viannia-Infektionen auf:
- gemäß WHO endemiegebietsspezifisch, aber im Durchschnitt bei weniger als 5 % der kutan Erkrankten, und zwar wenige Monate bis mehr als 20 Jahre nach der Erstinfektion;[1]
- gemäß der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin bei ca. 1-5 % der unzureichend oder nicht Behandelten, selten aber auch bei korrekt behandelten Patienten mit kutaner Erkrankung, und zwar bei der Hälfte der Patienten nach 2 Jahren, bei 90 % innerhalb von 10 Jahren nach der primären kutanen Infektion.[3]
In PAHO-Dokumenten (PAHO=Pan American Health Organization, amerikanisches Regionalbüro der WHO) werden kutane und "mukosale" Leishmaniose getrennt ausgewiesen. In WHO-Dokumenten hingegen wird die mukokutane Leishmaniose als Sonderform der kutanen Erkrankung aufgefasst. Im Weiteren verwenden wir die bei der WHO übliche Terminologie und weisen die mukokutanen Erkrankungszahlen als Prozentsatz der kutanen Neuerkrankungen aus. Das erste Auftreten einer mukokutanen Erkrankung wird stets als Neuerkrankung dokumentiert. Da in Südamerika im Normalfall keine Speziesbestimmung stattfindet, kennt man nur die Anzahl mukokutaner Infektionen im Vergleich zu Erkrankungen an Amerikanischer kutaner Leishmaniose. Da jedoch die Anzahl kutaner Infektionen durch Leishmanien des Subgenus Leishmania (vor allem Leishmania mexicana und Leishmania amazonensis) in Südamerika im einstelligen prozentualen Bereich liegt, ist der dadurch verursachte Fehler im Vergleich zum Verhältnis zwischen mukokutaner und kutaner Viannia-Leishmaniose gering.
Für mukokutane Neuinfektionen als Anteil kutaner Neuinfektionen gilt folgendes:
- Gemäß brasilianischer[4] und kolumbianischer[2] Behandlungsleitlinie wird der Anteil der mukokutanen Neuerkrankungen an Amerikanischer kutaner Leishmaniose mit 3-5 % angegeben.
- 4.4 % der registrierten Fälle Amerikanischer kutaner Leishmaniose waren gemäß PAHO-Statistiken im Jahr 2013, 3.9 % im Jahr 2014, 4.2 % im Jahr 2015, 3.9 % im Jahr 2016, 3.94 % im Jahr 2017 und 4.22 % im Jahr 2018 in Süd- und Mittelamerika (inkl. Mexiko) mukokutan.
- Größte prozentuale Anteile an mukokutanen Fällen entfielen in den letzten Jahren bei geringer Inzidenz auf:
- Paraguay (2011: 44.6 %, 2013: 37.0 %, 2014: 55.6 %, 2015: 27.8 %, 2016: 47.8 %, 2017: 67.4 %, 2018: 61.9 %)
- und Argentinien (2011: 11.4 %, 2014: 13.7 %, 2015-2017 im Normalbereich - 2015: 3 %, 2016: 3.7 %, 2017: 4 %, 2018: 9%).
- Auch in Bolivien (2011: 16.2 %, 2014: 13.6 %, 2015: 10.6 %, 2016: 15.7 %, 2017: 10.1 %, 2018: 13.9%), allerdings hier bei hoher Inzidenz, lag der Anteil mukokutaner Erkrankungen in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich hoch.[5]
In absoluten Zahlen trugen 2018 Bolivien (428), Brasilien (800) und Peru (417) mit zusammen 84.1 % der aufgetretenen Fälle die Hauptlast der Infektionen an mukokutaner Leishmaniose.[5]
Kutane und mukokutane Symptome treten bei einem kleineren Teil der Erkrankten auch gleichzeitig auf.
Risikofaktoren
Besondere Risikofaktoren aus der vorherigen (nicht systemisch behandelten) kutanen Phase sind:
Symptome
Mindestens 2/3 der Symptome treten im Anfangsstadium an Schleimhäuten der Nase auf, und zwar zunächst meist am Nasenseptum. Ebenfalls betroffen sein kann die Schleimhaut von Gaumen, Rachen, Kehlkopf und Luftröhre. Milde Symptome sind Erytheme, Erosionen, weiter Knoten und Granulome mit späterer Ulzeration und Verkrustung. Zusätzlich liegt eine permanent verstopfte oder laufende Nase sowie Nasenbluten vor. Milde Symptome und das zusätzliche Vorhandensein von Narben einer früheren kutanen Leishmaniose erhärten den Verdacht auf eine mukokutane Sekundärerkrankung.[6]
Die für mukokutane Leishmaniose typische Perforation der Nasenscheidewand oder das Auftreten milder Symptome in mehreren Geweben werden als moderate Krankheitsausprägung eingestuft, ebenso häufige Heiserkeit sowie permanente hyperämische Schwellungen der Nasenhaut.
Schwerwiegende Symptome sind physische Obstruktionen im Nasen- und Rachenbereich, permanente Schluckbeschwerden, später Gewebedestruktionen (zunächst häufig "Tapirnase" als Folge der Schwellungen und der Perforation der Nasenscheidewand) und schließlich schwerste Entstellungen im Nasen-, Mund- und Rachenraum sowie der Lippen, besonders der oberen Lippe. Zusätzlich überlagern fast immer Infektionen, bedingt durch in die befallenen Gewebe eingedrungene Bakterien, die mukokutanen Symptome. Diese schwerwiegendsten Symptome führen ohne systemische Behandlung besonders unter Mitwirken der Sekundärinfektionen häufig zum Tod.
Kann ein Fortschreiten der Erkrankung durch Behandlung im letzten Stadium noch verhindert werden, ist versuchsweise (sofern am Ort der Behandlung verfügbar und bezahlbar) eine rekonstruktive Chirurgie angezeigt, um die Gewebedestruktionen zu korrigieren.
Zwischen dem Auftreten der ersten milden Symptome und dem letzten Stadium mit schwersten Entstellungen vergehen im Allgemeinen mehrere Jahre.
Diagnostik
Da in mukokutanen Läsionen oft nur wenige Erreger vorhanden sind, sind auf Gewebeproben basierende Verfahren erschwert. Bei einem Verdacht auf eine mukokutane Leishmaniose folgt in Deutschland einer klinischen Diagnose und der Entnahme einer Gewebeprobe als heutiger Goldstandard ein PCR-Test mit anschließender Speziesbestimmung via Leishmanien-DNS.[3]
In Südamerika sind in den Leitlinien alle auch in Europa verfügbaren Diagnosemethoden erwähnt – lediglich eine Speziesbestimmung pro Patient wird im Normalfall für nicht erforderlich gehalten. Allerdings ist in den abseits der großen Städte gelegenen Endemiegebieten im Allgemeinen nur der Montenegro-Test verfügbar. Man geht von folgendem diagnostischen Tableau aus.
Pathologie | Parasiten (Mikroskop / Kultur / PCR-Test) | Antikörper (Serologische Tests) | Montenegro-Test |
---|---|---|---|
Kutane Leishmaniose | + | -/+ | ++ |
Mukokutane Leishmaniose | -/+ | + *) | +++ *) |
*) Problem: Antikörper- und Montenegro-Reaktion können ohne Vorliegen einer mukokutanen Erkrankung noch aus der kutanen Infektionsphase positiv sein. |
Für die in den meisten Ländern verfügbare kostenlose Behandlung kann im Normalfall mittels Montenegro-Test und klinischer Begutachtung persistenter mukosaler Läsionen durch einen erfahrenen Tropenmediziner eine relativ gute Diagnose gestellt werden. Ein PCR-Test (ohne folgende Speziesbestimmung) im Anschluss an ein so ermitteltes positives Ergebnis ist in den meisten Leitlinien vorgesehen, wird abseits zentraler Labore und bei nicht funktionierendem Postsystem jedoch meistens nicht durchgeführt.
Behandlung
Eine mukokutane Leishmaniose muss immer systemisch behandelt werden. Alle Behandlungsformen (mit Ausnahme der Behandlung durch Miltefosin) umfassen Chemotherapien mit erheblichen Nebenwirkungen.
Als grobe Regel kann formuliert werden, dass eine mukokutane Leishmaniose mit den gleichen Mitteln behandelt wird wie die kutane Erkrankungsform. Es wird lediglich die Behandlungsdauer verlängert, bei einigen Medikationen wird auch die Dosis erhöht.
WHO[1] und DTG[3] (Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit) geben die folgenden Behandlungsleitlinien vor.
WHO | DTG |
---|---|
Sb5+: 20 mg/kg pro Tag i.m. oder i.v. über 30 Tage | |
Sb5+: wie oben, plus Pentoxifyllin oral zu 400 mg/8 h über 30 Tage | wie WHO, aber Sb5+ nur i.v. |
AmBD: 0.7–1 mg/kg mittels Infusion jeden 2. Tag bis zu 25–45 Dosen | |
LAmB: 2–3 mg/kg pro Tag mittels Infusion bis zu einer Gesamtdosis von 40-60 mg/kg | LAmB: wie WHO |
Miltefosin: 2.5–3.3 mg/kg täglich oral für 28 Tage (für Bolivien) | Miltefosin: ab 45 kg 150 mg pro Tag für 28 Tage (Mittel 2. Wahl) |
Sb5+ = Pentavalentes Antimon; AmBD = Amphotericin B Desoxycholat; LAmB = Liposomales Amphotericin B; i.v. = intravenös; i.m. = intramuskulär. "Infusion" impliziert stets "intravenös". Angaben pro kg beziehen sich auf das Körpergewicht. |
Die WHO gibt für die Behandlungsrichtlinien keine Präferenzen vor.[1] Die DTG präferiert Sb5+ mit Pentoxifyllin vor LAmB. Die Zugabe von Pentoxifyllin bei der Antimontherapie zeigt gerade im Fall einer mukokutanen Leishmaniose positive Effekte.[3]
Die WHO lässt Amphotericin B Desoxycholat für die Behandlung von Viannia-Leishmaniosen zu. Aufgrund erheblicher Nebenwirkungen wird dieses Medikament in Deutschland nicht eingesetzt und ggfs. durch Liposomales Amphotericin B ersetzt.
Aus Kostengründen ist Amphotericin B Desoxycholat jedoch in Südamerika für eine kostenlose Behandlung weit verbreitet. Wo immer pentavalentes Antimon nicht eingesetzt werden soll (z.B. bei älteren Patienten, aufgrund kardialer Vorerkrankungen oder weil elektrokardiographische Veränderungen am Therapieort nicht angemessen bewertet oder kardiotoxische Nebenwirkungen nicht kontrolliert werden können), dürfte Amphotericin B Desoxycholat sogar das am meisten verwendete Medikament zur Behandlung mukokutaner (und auch kutaner) Leishmaniose sein.
Das oral einzunehmende Miltefosin (Medikament: Impavido®) wird in Südamerika fast nicht mehr eingesetzt. Die Heilungsquote liegt (mit regionalen Unterschieden) bei Infektionen mit Leishmania braziliensis nur bei 60%.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 Control of the leishmaniases WHO Technical Report 949, WHO 2010
- ↑ 2,0 2,1 Guía para la atención clínica integral del paciente con leishmaniasis Leitlinie des kolumbianischen Instituto Nacional de Salud, Bogotá 2010
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 Diagnostik und Therapie der kutanen und mukokutanen Leishmaniasis in Deutschland Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin, 2010
- ↑ Manual de vigilância da Leishmaniose tegumentar americana, 2.aktualisierte Auflage; Brasilia 2013 Leitlinie des brasilianischen Gesundheitsministeriums
- ↑ 5,0 5,1 Leishmaniasis - Epidemiological Report of the Americas PAHO-Report #9, Washington D.C. Dezember 2019 (Hinweis: Report #9 für Daten aus dem Jahr 2018 steht beispielhaft für die gesamte Reihe von Reports. Durch Anklicken der einzelnen Länder in der Zeichnung auf der ersten Seite des Reports kann man auf landesspezifische Begleitdokumente mit detaillierten Informationen über das jeweilige Land zugreifen!)
- ↑ Manual de Diagnóstico y Tratamiento de las Leishmaniasis Leitlinie des paraguayischen Ministerio de Salud Pública y Bienestar Social, Asunción 2018
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