Pantherina-Syndrom
Synonym: Fliegenpilzvergiftung
Definition
Beim Pantherina-Syndrom handelt es sich um eine lebensgefährliche Pilzvergiftung, die je nach verzehrter Pilzsorte mehr oder weniger stark ausgeprägt sein kann.
Hintergrund
Das Pantherina-Syndrom kann durch verschiedene Pilze ausgelöst werden. Stellvertretend ist der wohl bekannteste Giftpilz – der Fliegenpilz. Obwohl er von den diese Krankheit auslösenden Pilzen noch ein eher harmloser Vertreter ist, symbolisiert er doch den Giftpilz schlechthin. Das Pantherina-Syndrom betrifft primär das menschliche Nervensystem.
Verursachende Pilze
- Pantherpilz (Amanita pantherina)
- Fliegenpilz (Amanita muscaria)
- Königsfliegenpilz (Amanita regalis)
- Narzissengelber Wulstling (Amanita gemmata)
Relevante Giftstoffe
Die beiden verantwortlichen Giftstoffe sind Muscimol und Ibotensäure. Beide gehören zur chemischen Gruppe der Isoxazole. Ursprünglich hielt man auch bei diesen Pilzen Muskarin für die krankheitsauslösende Substanz – allerdings konnte dies widerlegt werden: Im Fliegenpilz kommt Muskarin nur in sehr geringer Konzentration vor, im Pantherpilz fehlt es völlig.
Die Ibotensäure ist zunächst der Ausgangsstoff der Vergiftung, allerdings ist ihre Wirkung relativ gering und ist nicht alleine für die Gefährlichkeit des verantwortlich. Ibotensäure ist eine nicht-proteinogene Aminosäure, die halluzinogene Wirkungen auslösen kann. Das Hauptsymptom nach Ingestion von Ibotensäure ist aber eher eine starke Übelkeit. Bei Temperaturen über 60 °C oder längere Lagerung bzw. Verbleib im Körper wird sie mittels Decarboxylierung in Muscimol umgewandelt, das wesentlich stärkere neurologische Störungen hervorruft.
Latenzzeit
Sehr kurz, von wenigen Minuten bis i. d. R. zwei Stunden.
Symptome
- Müdigkeit
- Abgeschlagenheit
- Schwindel
- Nausea (selten)
- alkoholähnliche, rauschartige Zustände
- Sinnestäuschungen, Störungen des Farbensehens
- Sprachstörungen
- Verlust des normalen Zeit- und Ortsgefühls
- Gleichgültigkeit
- Euphorie
- starke Depressionen
- Enthemmung
- Aggressivität, Tobsuchtsanfälle
- motorische Unruhe
- Ataxie
- Krampfanfälle
Häufig fällt der Patient anschließend in einen sehr tiefen, komaähnlichen Schlaf. Es kann zu Todesfällen durch Atemstillstand gekommen. Auffallend an dieser Pilzvergiftung ist das fast völlige Fehlen von gastrointestinalen Symptomen. In sehr seltenen Fällen bleiben dauerhafte Folgen wie Interessenlosigkeit, Depressionen und chronische Müdigkeit zurück.
Diagnose
- Begutachtung von Pilzresten
- Erstellung einer Anamnese und genaue Befragung der Angehörigen über die Pilzmahlzeit, Sammelort, Sammelbehälter und Zeitspanne zwischen Verzehr und ersten Symptomen
- Blutuntersuchung
Therapie
Nach Einlieferung in ein Krankenhaus oder eine Giftzentrale sollten – wie bei vielen schweren Pilzvergiftungen – folgende Schritte unternommen werden:
- Herbeiführen von Erbrechen (besonders wichtig, da man bei dieser Vergiftung eher selten bereits erbrochen hat)
- Gabe von medizinischer Aktivkohle zur Toxinbindung
- Symptomatische Behandlung, da sich das bereits in die Blutbahn aufgenommene Muscimol nicht mehr eliminieren lässt
Es gibt kein spezifsches Antidot gegen Muscimol, jedoch können einige Effekte mit Physostigmin antagonisiert werden. Das bei Muskarinvergiftungen eingesetzte Atropin ist kontraindiziert.[1] Der Einsatz von Benzodiazepinen und Barbituraten gegen evtl. auftretende Krämpfe muss vorsichtig erfolgen, da sie die neurotoxische Wirkung von Muscimol weiter verstärken können.[2]
Molekulare Giftwirkung
Muscimol hat, wie alle Isoxazole, eine starke Bindungsaffinität zu den zentralnervösen GABA-Rezeptoren, was an seiner großen strukturellen Ähnlichkeit mit Gamma-Aminobuttersäure (dem wichtigsten inhibitorischen Neurotransmitter im ZNS) liegt. Es lagert sich unkontrolliert an diese Rezeptoren, wodurch präsynaptisch automatisch wieder GABA freigesetzt wird. So kommt es zu einer völligen Entgleisung des hemmenden Systems im Gehirn.
Wichtige Information für Pilzsammler
Wie erwähnt löst der Pantherpilz die mit Abstand stärkste und gefährlichste Form des Pantherina-Syndroms aus. Es existiert ein Speisepilz, der dem Pantherpilz zum Verwechseln ähnlich sieht – der Perlpilz. Laien ist vom Sammeln bzw. Genuss des Perlpilzes dringend abzuraten. Die Verwechslungsgefahr mit dem potenziell tödlichen Pantherpilz ist sehr groß.
Trivia
Der Fliegenpilz hat seinen Namen daher, dass insbesonders in osteuropäischen Ländern, Fliegenpilzstücke in gesüßte Milch einlegte und im Freien platzierte wurden. Fliegen und andere Insekten wurden durch die süße Milch angelockt und betäubt.
Giftzentralen in Deutschland
- Berlin: Berliner Betrieb für Zentrale gesundheitliche Aufgaben Beratungsstelle für Vergiftungserscheinungen Tel.: 0 30 / 1 92 40
- Göttingen: Giftinformationszentrum-Nord der Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein Tel.: 0 55 1 / 1 92 40
- Mainz: Klinische Toxikologie und Beratungsstelle bei Vergiftungen der Länder Rheinland-Pfalz und Hessen Tel.: 0 61 31 / 1 92 40 oder 23 24 66
Weblinks
Quellen
- ↑ James R. Blackman: Clinical Approach To Toxic Mushroom Ingestion. Am Board Fam Pract: first published as 10.3122/jabfm.7.1.31 on 1 January 1994
- ↑ Voynova M et al.: Toxicological and pharmacological profile of Amanita muscaria (L.) – a new rising opportunity for biomedicine. Pharmacia 67(4): 317-323 (2020) doi: 10.3897/pharmacia.67.e56112