Hypoparathyreoidismus (Hund)
Synonyme: Hypoparathyreose, Nebenschilddrüsenunterfunktion, caniner Hypoparathyreoidismus
Englisch: hypoparathyroidism
Definition
Der Hypoparathyreoidismus des Hundes bezeichnet eine verminderte Parathormon-Sekretion, die zu lebensbedrohlichen Hypokalzämien führen kann.
Vorkommen
Ein Hypoparathyreoidismus ist eine äußerst seltene Erkrankung. Es können Hunde jeden Alters (im Mittel ca. 5 Jahre) und beider Geschlechter erkranken, wobei eine Häufung bei Weibchen beobachtet werden kann.
Am häufigsten sind Rassen wie der Toy-Pudel, Zwergschnauzer, Labrador Retriever, Deutscher Schäferhund und verschiedene Terrierrassen betroffen.
Klassifizierung
Anhand der Ätiopathogenese unterscheidet man zwischen folgenden zwei Krankheitsformen:
- primärer Hypoparathyreoidismus
- sekundärer Hypoparathyreoidismus
Ätiologie
Die genauen Ursachen sind noch (2021) nicht vollständig geklärt.
Primärer Hypoparathyreoidismus
- idiopathisch aufgrund einer Entzündung der Nebenschilddrüsen (Parathyreoiditis)
- neoplastisch mit Zerstörung der Nebenschilddrüsen
- traumatisch mit Verlust von funktionellen Drüsengewebe
- iatrogen nach einer Resektion der Nebenschilddrüsen (Parathyreoidektomie)
Sekundärer Hypoparathyreoidismus
- renal infolge einer Hyperparathyreoidismus-bedingten Niereninsuffizienz
- alimentär durch eine falsche Zusammensetzung des Futters
Pathogenese
Beim primären Hypoparathyreodismus entwickelt sich durch das fehlende oder gar zerstörte Drüsengewebe ein absoluter PTH-Mangel. Beim sekundären Hypoparathyreoidismus hingegen wird aufgrund einer Grunderkrankung weniger PTH sezerniert.
Primärer Hypoparathyreoidismus
Beim idiopathischen Hypoparathyreoidismus kommt es vermutlich aufgrund einer autoimmunen lymphozytären Parathyreoiditis zu einer Atrophie des Nebenschilddrüsengewebes. Dadurch entsteht ein Mangel an PTH, der die Freisetzung von Calcium aus den Knochen sowie seine enterale Resorption und renale Rückresorption herabsetzt.
Da dieser Effekt deutlich stärker ist als die verminderte Phosphatresorption (aus Knochen und Darm), entwickelt sich auch eine klinisch manifeste Hyperphosphatämie.
Sekundärer Hypoparathyreoidismus
Aufgrund unterschiedlicher Auslöser kommt es beim sekundären renalen Hypoparathyreoidismus zu einer Retention von Phosphor. In weiterer Folge wird die PTH-Sekretion unterdrückt, weshalb sich auch das Serumcalcitriol erhöht. Bei schwerer Niereninsuffizienz stellt sich zusätzlich ein niedriger Calcitriol-Spiegel ein, weshalb es zusätzlich zu einer Erniedrigung des ionisierten Calciums und zu einer Verstärkung des klinischen Bildes kommt.
Beim alimentären Hypoparathyreoidismus entsteht durch ein ungleiches Calcium-Phosphor-Verhältnis ein Mangel an PTH.
Klinik
Die Schwere der Erkrankung hängt maßgeblich vom Calciumspiegel, von der Geschwindigkeit des Calcium-Abfalls und vom Säure-Basen-Haushalt ab. Symptome stellen sich häufig bei Calcium-Konzentrationen von unter 1,5 mmol/l bzw. 6,0 mg/dl ein.
Durch den erniedrigten Calciumspiegel kommt es zu einer erhöhten Membranpermeabilität und gesteigerter neuromuskulärer Erregbarkeit. Die klinischen Anzeichen treten dabei entweder ständig oder episodisch auf. Folgende Symptome werden häufig bei erniedrigten Calciumwerten beobachtet: Muskelzittern, Unruhe, Schreckhaftigkeit, Aggression, Verwirrtheit, Schwäche, Reiben des Kopfes, steifer Gang, Ataxie, Tetanie, tonische Gliedmaßenstarre, Krämpfe und Hyperthermie. Deutlich seltener werden lentikuläre Katarakt, Anorexie, Erbrechen, Durchfall, abdominaler Schmerz sowie Polyurie und Polydipsie beobachtet.
Labormedizin
- Hypokalzämie
- normale Albumin- und Proteinkonzentration
- normale Harnstoff- und Kreatininkonzentration
Differenzialdiagnosen
Mögliche Differenzialdiagnosen sind:
- Hypomagnesiämie
- akute Pankreatitis
- Eklampsie (puerperale Tetanie)
- akute und chronische Niereninsuffizienz
- schwere systemische Erkrankungen
- intestinale Malabsorption
- alimentärer sekundärer Hyperparathyreoidismus
- medulläres Schilddrüsenkarzinom
- ausgedehntes Weichteiltrauma
- phosphathaltige Einläuge
- Ethylenglykolvergiftung
Diagnose
Therapie
Im Notfall ist 0,5 bis 1,5 ml/kgKG 10%iges Calciumgluconat über 15 bis 30 Minuten intravenös zu verabreichen. Die genaue Dosierung erfolgt nach Wirkung und unter ständiger EKG-Kontrolle. Nach Besserung der Symptome kann auf eine orale Therapie umgestellt werden.
Betroffene Hunde müssen ihr Leben lang eine Vitamin-D-Substitution erhalten. Aufgrund des schnellen Wirkungseintritts und der kurzen biologischen Halbwertszeit ist Calcitriol das Mittel der Wahl. In den ersten 3 bis 4 Tagen beträgt die Dosis 10 bis 15 ng/kgKG BID und wird anschließend auf 2,5 bis 7,5 ng/kgKG BID reduziert. Die Dosierungsangaben sind als Richtwerte anzusehen und müssen nach Effekt und unter Kontrolle des Calciumspiegels angepasst werden. Parallel dazu ist oftmals eine Calcium-Substitution notwendig, wobei der Calciumbedarf im späteren Verlauf häufig über das im Futter verfügbare Calcium gedeckt werden kann.
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Komplikationen
Durch die Therapie kann es zu einer iatrogen Hyperkalzämie kommen. Aufgrund dessen ist besonders zu Beginn der Therapie regelmäßig (1 bis 2 mal wöchentlich) der Calciumspiegel zu überprüfen. Nachdem eine stabile Calciumkonzentration erreicht wurde, können die Intervalle der Blutkontrollen verlängert werden.
Quellen
- Niemand HG (Begr.). Suter PF, Kohn B, Schwarz G (Hrsg.). 2012. Praktikum der Hundeklinik. 11., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Enke-Verlag in MVS Medizinverlag Stuttgart GmbH & Co. KG. ISBN: 978-3-8304-1125-3
- Stillion JR, Ritt MG. 2009. Renal secondary hyperparathyroidism in dogs. Compend Contin Educ Vet 31(6):E8. PMID: 19746344
- Kawaguchi K, Braga IS 3rd, Takahashi A, Ochiai K, Itakura C. 1993. Nutritional secondary hyperparathyroidism occurring in a strain of German shepherd puppies. Jpn J Vet Res 41(2-4):89-96. PMID: 8139162
- Slatopolsky E, Delmez JA. 1994. Pathogenesis of secondary hyperparathyroidism. Am J Kidney Dis 23(2):229-36. DOI: 10.1016/s0272-6386(12)80977-2
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