Pantherina-Syndrom
Synonym: Fliegenpilzsyndrom, Pantherpilzsyndrom
Englisch: isoxazole syndrome
Definition
Das Pantherina-Syndrom ist ein Symptomkomplex, der durch eine Pilzvergiftung mit Amanita-Arten ausgelöst wird, die Ibotensäure und Muscimol enthalten. Es gehört zu den Pilzsyndromen mit kurzer Latenzzeit und ist vor allem durch zentralnervöse Symptome gekennzeichnet.
Verursachende Pilze
Folgende Amanita-Arten können das Syndrom auslösen:[1][2]
- Pantherpilz (Amanita pantherina)
- Fliegenpilz (Amanita muscaria)
- Königsfliegenpilz (Brauner Fliegenpilz) (Amanita regalis)
- Narzissengelber Wulstling (Amanita gemmata)
Vergiftungsursachen
Vergiftungsursache sind häufig Verwechslungen von Pantherpilzen mit Perlpilzen (Amanita rubescens) oder Grauen Wulstlingen (Amanita excelsa). Fliegenpilze können mit Kaiserlingen (Amanita caesarea) verwechselt werden.[3]
Nach Abziehen der Huthaut, Kochen und Salzen werden Fliegenpilze (z.B. in Frankreich, Japan, Sibirien) ohne toxische Wirkungen verzehrt.[3][4]
Fliegen- und Pantherpilze wurden bereits im Altertum zur Auslösung von Rauschzuständen konsumiert. Dabei werden die Pilze roh verzehrt, als Salat zubereitet oder getrocknet, mit Tabak und Cannabis vermischt, geraucht.[5]
Toxine
Die das Pantherina-Syndrom auslösenden biogenen Toxine sind Derivate toxischer Aminosäuren mit 5-gliedriger heterozyklischer Struktur (Isoxazolderivate). Dazu gehören Ibotensäure, Muscimol, Muscazon, Muscarin und 4-Hydroxypyrrolidon-2. Ausgangsstoffe der Biosynthese dieser Toxine sind wahrscheinlich Glutaminsäure und Brenztraubensäure.
Fliegenpilze enthalten 0,1 bis 2,8 %, Pantherpilze 0,02 bis 0,53 % Ibotensäure. Muscimol entsteht sehr leicht durch Decarboxylierung aus Ibotensäure. Fliegenpilze enthalten weniger als 0,01 bis 1,0 %, Pantherpilze 0,19 bis 1,9 % Muscimol. In Königsfliegenpilzen wurden 0,10 bis 0,62 % beider Verbindungen festgestellt. Die Konzentrationen beider Toxine sind von den Wachstumsbedingungen abhängig, im Fleisch der Fruchtkörper i.d.R. höher als in der Huthaut und den Stielen. Wahrscheinlich entsteht Muscimol zum größten Teil erst nach dem Verzehr der Pilze im menschlichen Organismus.
Das Oxazolderivat Muscazon entsteht in den Pilzen unter Lichteinwirkung durch Umlagerung aus Ibotensäure. Der Gehalt an Muscarin (0,0002 %) und 4-Hydroxy-pyrrolidon-2 ist sehr gering und hat für die Vergiftungssymptomatik keine Bedeutung.[3][4]
Wirkmechanismus
Ibotensäure wirkt als Agonist an glutaminergen Rezeptoren, während Muscimol aufgrund seiner strukturellen Ähnlichkeit mit Gamma-Aminobuttersäure als Agonist an GABA-A-Rezeptoren angreift.[1] Im Tierexperiment konnte auch ein Anstieg der zerebralen Serotonin- und eine Verminderung der Dopamin-Konzentrationen nachgewiesen werden. Zusätzlich wird der Sympathikotonus gesteigert. Die teilweise gegensätzliche Beeinflussung der neuronalen Transmission spiegelt sich in der wechselnden klinischen Symptomatik wider.[2][3]
Toxizität
Muscimol ist 5- bis 10-mal wirksamer als Ibotensäure. Bereits nach oraler Aufnahme (20 -) 30 bis 60 mg Ibotensäure bzw. 5 bis 6 mg Muscimol können beim Menschen Vergiftungssymptome auftreten.[3] Das entspricht einer Menge von einem kleinen frischen Pilz. Der Pantherpilz gilt als am giftigsten. Beide Wirkstoffe lösen selbst keine Halluzinationen aus. Für die halluzinogene Wirkung werden bisher nicht charakterisierte psychotrope Substanzen der Pilze verantwortlich gemacht.[4]
Latenzzeit
Symptome
Das Pantherina-Syndrom ist vor allem gekennzeichnet durch rasch wechselnde Vigilanzstörungen und Rauschzustände mit Halluzinationen. Bei Vergiftungen mit Fliegenpilzen werden häufiger Agitiertheit (Tobsuchtsanfälle), bei Pantherpilzen häufiger komatöse Zustände beobachtet. Im Einzelnen sind folgende Organsysteme betroffen:[1][2][4]
- ZNS
- Motorik
- Augen
- Mydriasis
- verschwommenes Sehen
- Doppelbilder
- Haut
- Erythem
- warme, trockene Haut
- Magen-Darm-Trakt
- initial Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen, Diarrhö
- Herz-Kreislauf-System
Das Syndrom erreicht nach 2 bis 3 Stunden seine volle Ausprägung und klingt meist nach 10 bis 15 Stunden ab. Mit nachlassender Wirkung kann ein sehr tiefer, komaähnlicher Schlaf einsetzen, der bis 24 Stunden anhalten kann. Die Prognose ist im Allgemeinen gut. Für die Ereignisse während der Vergiftung besteht eine retrograde Amnesie. Durch einen Atemstillstand oder kardiovaskuläre Komplikationen kann die Vergiftung tödlich verlaufen.[2][4]
Diagnose
- Anamnese: genaue Befragung der Angehörigen über die vermeintlich gesammelten Pilze und deren Zubereitung, den Zeitpunkt der Pilzmahlzeit und die Zeitspanne zwischen Verzehr und ersten Symptomen
- Kontakt zu einem Giftinformationszentrum (Links zuletzt abgerufen am 17.08.2024)
- Begutachtung der Pilze oder von Pilzresten durch einen Pilzsachverständigen, ggf. auch Aufsuchung des Fundorts
- Nachweis von Ibotensäure und Muscimol im Urin (spezielle toxikologische Analytik: HPLC) innerhalb von 1 bis 2 Stunden nach dem Verzehr[2][4]
Therapie
Bei agitierten, aggressiven Patienten sind Maßnahmen der primären Giftentfernung (Magenspülung, Verabreichung von Aktivkohle) aufgrund der Aspirationsgefahr kontraindiziert. Zuerst sollte eine vorsichtige Sedierung (z.B. Lorazepam) erfolgen. Es gibt kein spezifisches Antidot gegen Muscimol. Nur bei ausgeprägten cholinergen Symptomen kann vorsichtig Atropin und bei anticholinergen Symptomen vorsichtig Physostigmin appliziert werden. Bei anhaltenden gastrointestinalen Symptomen müssen Volumen- und Elektrolytverluste ausgeglichen werden. Der Einsatz von Benzodiazepinen und Barbituraten gegen Krampfanfälle muss vorsichtig erfolgen, da sie die neurotoxische Wirkung von Muscimol verstärken können. Bei Atemdepression sind Intubation und Beatmung erforderlich.[1][4]
Trivia
Die Bezeichnung Fliegenpilz hat ihren Ursprung wahrscheinlich von der Verwendung der Pilze als Insektizide in osteuropäischen Ländern. Fliegenpilzstücke werden in gesüßte Milch einlegt, um Fliegen und andere Insekten anzulocken.
Das in der altnordischen Dichtung (Skalden) beschriebene blindwütige Gebaren ("Kampfraserei") der Berserker ("Bärenkrieger" von berseksgangr) soll auf den Verzehr von Fliegenpilzen zurückzuführen sein. Getrocknete Pilze dienten als Tauschmittel.
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Zilker T. Klinische Toxikologie. 2. Aufl., Bremen, London, Boston : Uni-Med 2023
- ↑ 2,0 2,1 2,2 2,3 2,4 Bresinsky A, Besl H. Giftpilze. Stuttgart : Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 1985
- ↑ 3,0 3,1 3,2 3,3 3,4 3,5 Teuscher E, Lindequist U. Biogene Gifte. 3. Aufl., Stuttgart : Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft 2010
- ↑ 4,0 4,1 4,2 4,3 4,4 4,5 4,6 4,7 Flammer R, Horak E. Giftpilze - Pilzgifte. Basel : Schwabe 2003
- ↑ Scherbaum N. Das Drogentaschenbuch. 6. Aufl., Stuttgart, New York : Thieme 2019
Weblinks
- Pantherina-Syndrom. Tox Info Suisse, abgerufen am 17.08.2024
- Wennig R et al. Vergiftungen durch Pilze. Dtsch Arztebl Int 2020