Exagamglogen-Autotemcel
Handelsnamen: Casgevy®
Synonyme: exa-cel, CTX001, S53L777GM8
Englisch: exagamglogene autotemcel
Definition
Exagamglogen-Autotemcel ist ein Gentherapeutikum, das zur Behandlung der transfusionsabhängigen Beta-Thalassämie und der Sichelzellanämie eingesetzt wird. Dabei werden die hämatopoetischen Stammzellen des Patienten genetisch editiert, um hohe Mengen fetalen Hämoglobins zu bilden.
Hintergrund
Das fetale Hämoglobin wird physiologisch während der fetalen Entwicklung gebildet und enthält 2 α-Ketten und 2 γ-Ketten. Sowohl bei der Beta-Thalassämie, als auch bei der Sichelzellanämie kommt es zu Synthesestörungen der β-Ketten des adulten Hämoglobins. Durch die vermehrte Produktion von fetalem Hämoglobin nach der Anwendung von Exagamglogen-Autotemcel kann der Mangel an funktionalem adulten Hämoglobin teilweise ausgeglichen werden.
Dazu wird zunächst eine Mobilisation der hämatopoetischen Stammzellen durchgeführt, um diese im peripheren Blut entnehmen zu können. Nach der Entnahme wird eine myeloablative Therapie (Konditionierung) durchgeführt. Die gewonnenen Stammzellen werden mittels CRISPR/Cas9-Technologie editiert und dem Patienten schließlich als autologe Stammzelltransplantation wieder infundiert.
Biochemie
Exagamglogen-Autotemcel enthält eine Population humaner hämatopoetischer Stamm- und Vorläuferzellen. Dabei handelt es sich um autologe CD34+-Zellen, die ex vivo mit dem CRISPR/Cas-System an der erythroiden-spezifischen Enhancerregion des BCL11A-Gens editiert wurden. Die Konzentration ist dabei chargenabhängig.
Bei In-vitro-Studien mit gesunden Spender- oder Patientenzellen konnte kein Off-Target-Editing festgestellt werden.[1]
Wirkmechanismus
Durch das Gen-Editing wird die Bindung des Transkriptionsfaktors GATA1 an die Enhancerregion von BCL11A irreversibel gestört und dadurch die Expression von BCL11A reduziert. BCL11A ist ein Zinkfinger-Protein, das physiologisch als Silencer die Produktion von γ-Ketten unterdrückt. Eine unterdrückte BCL11A-Expression führt daher zu einer gesteigerten Produktion von γ-Globinketten und zur Synthese von fetalem Hämoglobin durch die erythroiden Zellen. Auf diese Weise kann das fehlende β-Globin bei der transfusionsabhängigen Beta-Thalassämie sowie das defekte β-Globin bei der Sichelzellkrankheit kompensiert werden.[1]
Bei der Beta-Thalassämie wird dadurch das Ungleichgewicht zwischen α-Globin und Nicht-α-Globin aufgehoben. Dadurch wird die ineffektive Erythropoese unterdrückt und die Hämolysegefahr verringert. Die Gesamthämoglobinwerte steigen so weit an, dass regelmäßige Erythrozytentransfusionen nicht mehr erforderlich sind.
Bei der Sichelzellkrankheit verringert die Expression von fetalem Hämoglobin die intrazelluläre Hämoglobin S-Konzentration und verhindert so die Deformation der Erythrozyten, sodass vasookklusive Krisen vermieden werden.
Pharmakokinetik
Aufgrund der Beschaffenheit von Exagamglogen-Autotemcel sind die sonst üblichen Untersuchungen zur Pharmakokinetik nicht anwendbar.
Klinische Studien
In die klinische Studie Phase III (Zulassungsstudie) wurden 52 Patienten mit transfusionsabhängiger Beta-Thalassämie eingeschlossen. Als primärer Endpunkt wurde ein durchschnittlicher Hb-Wert ≥ 9 g/dl ohne Erythrozytentransfusion in ≥ 12 aufeinanderfolgenden Monaten definiert. Es wurden die Daten von 35 Patienten, die durchschnittlich 20,4 Monate behandelt wurden, ausgewertet. Von ihnen erreichten 32 (91 %) den primären Endpunkt.[2]
In die klinische Studie Phase III (Zulassungsstudie) wurden 44 Patienten mit Sichelzellkrankheit eingeschlossen. Als primärer Endpunkt wurde das Ausbleiben schwerer vasookklusiven Krisen für ≥ 12 aufeinanderfolgende Monate definiert. Es wurden die Daten von 30 Patienten ausgewertet, die durchschnittlich 19 Monate behandelt wurden. Von diesen erreichten 29 (97 %) den primären Endpunkt.[3]
In einer voraussichtlich bis 2039 durchgeführten Langzeitstudie wird die Effektivität der Behandlung für beide Erkrankungen untersucht.[4]
Indikationen
Exagamglogen-Autotemcel ist indiziert zur[1]
- Behandlung von transfusionsabhängiger Beta-Thalassämie (TDT) bei Patienten ab 12 Jahren, die für eine Transplantation von hämatopoetischen Stammzellen (HSZ) geeignet sind und für die kein humaner Leukozyten-Antigen (HLA)-kompatibler, verwandter HSZ-Spender zur Verfügung steht;
- Behandlung von schwerer Sichelzellkrankheit (SCD) bei Patienten ab 12 Jahren mit rezidivierenden vasookklusiven Krisen (VOC), die für eine Transplantation von hämatopoetischen Stammzellen (HSZ) geeignet sind und für die kein humaner Leukozyten-Antigen (HLA)-kompatibler, verwandter HSZ-Spender zur Verfügung steht.
Darreichungsform
Exagamglogen-Autotemcel steht in Form einer kryokonservierten Suspension zur intravenösen Anwendung zur Verfügung.
Dosierung
Nach Abschluss einer Konditionierungstherapie müssen vor der Infusion mindestens 48 Stunden oder ein Intervall, das die für die Elimination des Konditionierungsmittels benötigt wird, vergehen. Die Applikation muss innerhalb von 7 Tagen nach der letzten Dosis der myeloablativen Konditionierung erfolgen. Exagamglogen-Autotemcel wird einmalig als intravenöser Bolus verabreicht. Die Mindestdosis beträgt 3 × 106 CD34+-Zellen/kgKG. Eine Prämedikation mit Paracetamol und Diphenhydramin wird empfohlen. Nach erfolgreicher Transfusion ist davon auszugehen, dass die Wirkung lebenslang anhält.[1]
Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.
Nebenwirkungen
Die häufigsten unerwünschten Wirkungen von Exagamglogen-Autotemcel sind:[1]
Wechselwirkungen
Wechselwirkungen mit Cytochrom-P450-Isoenzymen oder Arzneimitteltransportern sind nicht zu erwarten. Es wurden keine Studien zu Wechselwirkungen mit Arzneimitteln durchgeführt.
Die Anwendung von Hydroxyharnstoff/Hydroxycarbamid sowie von Voxelotor and Crizanlizumab sollten mindestens 8 Wochen, Eisenchelatoren mindestens 7 Tage vor der myeloablativen Konditionierung abgesetzt werden.
Die Sicherheit einer Immunisierung mit viralen Lebendimpfstoffen während oder nach einer Behandlung mit Exagamglogen-Autotemcel ist bislang (2023) nicht untersucht worden.[1]
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegen Exagamglogen-Autotemcel oder einen der sonstigen Bestandteile des Arzneimittels
- Kontraindikationen in Bezug auf die zur myeloablativen Konditionierung angewendeten Arzneimittel
Schwangerschaft und Stillzeit
Frauen im gebärfähigen Alter und zeugungsfähige Männer müssen ab Beginn der Mobilisierung bis mindestens 6 Monate nach Behandlung mit Exagamglogen-Autotemcel eine wirksame Verhütungsmethode anwenden. Ein negativer Schwangerschaftstest muss vor Beginn jedes Mobilisierungszyklus und vor der myeloablativen Konditionierung vorliegen.[1]
Es wurden keine Tierexperimente zur Reproduktionstoxizität von Exagamglogen-Autotemcel durchgeführt. Die Anwendung in der Schwangerschaft ist kontraindiziert.
Es ist nicht bekannt, ob Exagamglogen-Autotemcel in die Muttermilch übertritt. Während der myeloablativen Konditionierung darf nicht gestillt werden.
Zulassung
Exagamglogen-Autotemcel wurde 2023 durch die britische Regulierungsbehörde für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte (MHRA) zugelassen.[5] Eine Zulassung durch die FDA erfolgte im Dezember 2023[6], durch die EMA im Februar 2024 (Orphan Drug Status). Es soll ein Netzwerk unabhängiger autorisierter Behandlungszentren („Authorized Treatment Centers“) in Europa aufgebaut werden.[7]
Kosten
Nach einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters kostet in den USA eine einmalige Behandlung rund 2,2 Millionen Dollar. Zur Preisgestaltung in den europäischen Märkten ist noch nichts bekannt. Die Kosten einer Stammzelltransplantation liegen bei maximal 300.000 Euro.[8]
ATC-Code
- B06AX05 - Andere hämatologische Wirkstoffe
Quellen
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 1,5 1,6 Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels Casgevy, EMA, abgerufen am 06.05.2024
- ↑ Locatelli F et al. Exagamglogene Autotemcel for Transfusion-Dependent β-Thalassemia. N Engl J Med. 2024
- ↑ Frangoul H et al. Exagamglogene Autotemcel for Severe Sickle Cell Disease. N Engl J Med. 2024
- ↑ A Long-term Follow-up Study in Participants Who Received CTX001. ClinicalTrials NCT04208529, abgerufen am 06.05.2024
- ↑ MHRA authorises world-first gene therapy that aims to cure sickle-cell disease and transfusion-dependent β-thalassemia. Abgerufen am 21.11.2023
- ↑ Full Prescribing Information Casgevy, FDA. Abgerufen am 19.12.2023
- ↑ SCD und TDT: Exa-cel erhält als erste Gentherapie Zulassung, Journal Onkologie 13.02.2024, abgerufen am 14.02.2024
- ↑ Britische Arzneimittelbehörde lässt erste CRISPR-Gentherapie gegen Sichelzellanämie und Beta-Thalassämie zu. Dtsch Ärzteblatt 2023, abgerufen am 21.11.2023
Weblinks
- Casgevy. Exagamglogene autotemcel. EMA, abgerufen am 14.02.2023
- Drugs.com - Exagamglogene Autotemcel. abgerufen am 21.11.2023
- Drugbank - Exagamglogene Autotemcel. abgerufen am 21.11.2023
- PubChem - Exagamglogene Autotemcel. abgerufen am 21.11.2023
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