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Riesenzellarteriitis

(Weitergeleitet von Arteriitis temporalis)

Synonyme: Arteriitis temporalis, Morbus Horton, Arteriitis temporalis Horton, Polymyalgia arteriitica, PMA, Arteriitis cranialis, Horton'sche Riesenzellarteriitis, Horton-Arteriitis, Horton-Magath-Brown-Syndrom
Englisch: giant cell arteritis (GCA), large vessel vasculitis (LVV)

1. Definition

Die Riesenzellarteriitis, kurz RZA, ist eine Autoimmunerkrankung ungeklärter Ursache, die mit einer meist granulomatösen, nekrotisierenden Vaskulitis der großen und mittelgroßen Arterien einhergeht. Es sind vor allem supraaortale Gefäße, wie Äste der Arteria carotis externa, die Arteria axillaris und die Arteria ophthalmica betroffen.

2. Nomenklatur

Namensgebend für die Erkrankung sind die typischen Riesenzellen, die sich durch Fusion von Makrophagen bilden. Die früher verwendete Bezeichnung "Arteriitis temporalis" ist obsolet und sollte nicht mehr verwendet werden, da bei einer Riesenzellarteriitis nicht nur die Arteria temporalis involviert ist.

3. Epidemiologie

Die Riesenzellarteriitis ist die häufigste Vaskulitis im Erwachsenenalter. Bei den über 50 Jahre alten Menschen liegt die Inzidenz bei etwa 25-30/100.000. Überwiegend sind ältere Frauen betroffen (75 %).

Patienten mit Riesenzellarteriitis leiden in 40 bis 50 % der Fälle an der pathogenetisch verwandten Polymyalgia rheumatica, andersherum leiden etwa 25 % der Patienten mit Polymyalgia rheumatica an einer Riesenzellarteriitis.

4. Ätiologie

Die Ätiologie der Riesenzellarteriitis ist bislang (2024) weitgehend ungeklärt. Es besteht vermutlich eine genetische Prädisposition.

Durch externe Faktoren wie Virusinfekte (u.a. HBV, Influenzaviren, Parvoviren und VZV) oder bakterielle Infektionen (Borrelien, Klebsiellen) bzw. die damit verbundene Immunantwort kann der Ausbruch einer RZA getriggert werden.

5. Pathogenese

Ausgangspunkt der Gefäßentzündung sind wahrscheinlich die Vasa vasorum der Adventitia, da sich pathohistologisch nie eine isolierte Entzündung der Intima darstellt.[1] Dabei kommt es zu einer Aktivierung dendritischer Zellen und T-Zellen (vor allem CD4+-T-Helferzellen), die eine chronische Entzündungsreaktion gegen vaskuläre Gewebekomponenten in Gang setzen. Wahrscheinlich dienen dabei Bestandteile der Gefäßintima bzw. Membrana elastica interna als Antigen.[2] In der Folge kommt es zu einer gesteigerten Zytokinproduktion mit Betonung von Interleukin-6, welche die weitere Gewebeschädigung unterhält.[1]

6. Einteilung

Die Riesenzellarteriitis wird wie die Takayasu-Arteriitis den Großgefäßvaskulitiden zugeordnet.[3]

In der Rheumatologie unterscheidet man eine Riesenzellarteriitis mit kranialem Befallmuster (ehem. "Arteriitis temporalis"), die häufig gemeinsam mit einer Polymyalgia rheumatica auftritt, und eine Riesenzellarteriitis mit extrakranialem Befallsmuster. Letztere ist seltener mit einer Polymyalgia rheumatica assoziiert, zeigt häufiger eine B-Symptomatik und erfordert zur Therapie meist höhere Glukokortikoiddosen.

7. Symptome

7.1. Kopfschmerzen

Kopfschmerzen sind eines der häufigsten Symptome der Riesenzellarteriitis. Sie kommen bei etwa 2/3 der Patienten vor und können temporal, okzipital oder frontal, aber auch diffus auftreten.

7.2. Okuläre Symptome

Wenn okuläre Gefäße wie die Arteria ophthalmica oder Arteria centralis retinae beteiligt sind, kann es zu Sehstörungen mit Flimmerskotomen, Gesichtsfeldausfällen und Amaurosis fugax kommen. Auch eine Diplopie aufgrund der Ischämie einzelner Augenmuskeln ist möglich.

7.3. Weitere Symptome

Weitere mögliche Krankheitszeichen sind:

Bei 40 bis 50 % der Patienten sieht man eine begleitende Polymyalgia rheumatica, bei 1/3 der Patienten eine B-Symptomatik mit Fieber, Nachtschweiß, Gewichtsverlust und Abgeschlagenheit. Die B-Symptomatik tritt häufiger bei Patienten mit extrakranialem Befallsmuster auf. Die unspezifischere Symptomatik kann in diesen Fällen die Diagnosestellung verzögern.

Selten manifestiert sich die Riesenzellarteriitis außerhalb des Versorgungsgebietes der Arteria carotis communis, dann z.B. in Form eines Aortenbogensyndroms, welches sich durch eine Seitendifferenz des Blutdruckes bemerkbar machen kann.

8. Komplikationen

Der Sehverlust ist die gefürchtetste Komplikation der Riesenzellarteriitis. Vor der Glukokortikoid-Ära kam es bei 30 bis 60 % der Patienten zur Erblindung. Mit den heute zur Verfügung stehenden medikamentösen Möglichkeiten kann dieser Anteil auf unter 20 % gesenkt werden. Da es nach Krankheitsbeginn jedoch schnell zu irreversibler Schädigung der Augen kommen kann, sollte schon bei Verdacht auf Riesenzellarteriitis mit Augenbeteiligung unverzüglich mit einer hochdosierten Glukokortikoidtherapie (z.B. 1.000 mg/d Prednisolon i.v.) begonnen werden.

9. Diagnostik

9.1. Klinische Untersuchung

9.2. Bildgebung

9.3. Labor

Typische Laborbefunde der RZA sind:

Gegebenenfalls besteht auch eine Eisenmangelanämie. Spezifische Autoantikörper, die als Biomarker dienen könnten, sind zur Zeit (2023) noch nicht identifiziert. In 30 - 80% der Fälle lassen sich Antiphospholipid-Antikörper (APLA) nachweisen.[4]

9.4. Temporalarterienbiopsie

Die Temporalarterienbiopsie (TAB) war früher der diagnostische Goldstandard, wird heute jedoch nicht mehr in jedem Fall durchgeführt. Bei eindeutigem klinischen Bild und klaren Hinweisen in der Bildgebung kann auf sie verzichtet werden. Da nur einzelne Gefäßabschnitte betroffen sein können, schließt ein negativer TAB-Befund die Erkrankung nicht sicher aus.

Eine Biopsie der Arteria temporalis ist bei einer hochgradigen Karotisstenose kontraindiziert (Umgehungskreisläufe).

10. Pathohistologie

Die betroffenen Blutgefäße zeigen eine Vaskulitis mit granulomatöser Entzündung aller Wandabschnitte. Das Gefäß ist jedoch nicht durchgehend befallen, sondern meist nur segmental verändert. Man spricht von sogenannten "skip lesions".

Die deutliche Intimaproliferation mit Intimaödem führt zu einer Stenose des Gefäßlumens. Die Membrana elastica interna ist fragmentiert. Die namensgebenden Riesenzellen entstehen durch Zusammenschluss von Makrophagen und befinden sich meist zwischen Intima und Media. Sie enthalten Fragmente elastischer Fasern. In der Tunica adventitia finden sich ebenfalls mononukläre Infiltrate. Als Zeichen eines Remodellings können Kalzifikationen und Fibrosen auftreten.[2]

11. Diagnosekriterien

Die diagnostischen Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) umfassen fünf Punkte:

  • Alter über 50 Jahre
  • Neu auftretende Kopfschmerzen
  • Auffälligkeiten der Arteria temporalis (Druckschmerz, abgeschwächte Pulsation)
  • Stark erhöhte BSG (> 50 mm)
  • Histologische Veränderungen im Sinne einer Riesenzellarteriitis im Biopsat der Arteria temporalis

Wenn 3 der 5 Kriterien erfüllt sind, kann die Diagnose einer kranialen RZA mit ausreichender Sensitivität und Spezifität gestellt werden. Für die RZA mit extrakranialem Befallsmuster sind die Diagnosekriterien weniger geeignet.

12. Differentialdiagnose

13. Therapie

13.1. Glukokortikoide

Die Therapie der Riesenzellarteriitis basiert in erster Linie auf der systemischen Gabe von Glukokortikoiden. Die verabreichten Dosen schwanken in verschiedenen klinischen Studien zwischen 20 bis über 100 mg/Tag.[5] Sie werden in der Regel oral verabreicht, in der Initialphase kann aber auch eine i.v.-Gabe erfolgen. Unter der Therapie kommt es zu einer deutlichen Reduktion der Allgemeinsymptome, der Einfluss auf einen ggf. bereits eingetretenen Sehverlust ist deutlich geringer ausgeprägt. Bei erfolgreicher Therapie wird nach einigen Wochen versucht, die Dosis schrittweise zu reduzieren, bis eine minimale Erhaltungsdosis erreicht ist, die das weitere Fortschreiten der Erkrankung aufhält. Als Verlaufsparameter dienen dabei die klinische Symptomatik und die Entzündungswerte (ESR, CRP).

13.2. Zytostatika

Zusätzlich zur Glukokortikoidgabe können Zytostatika (z.B. Methotrexat) oder Immunsuppressiva (z.B. Azathioprin) als Komedikation gegeben werden. Die klinischen Ergebnisse dieser Therapien sind jedoch uneinheitlich.

13.3. ASS

Zusätzlich zu Glukokortikoiden empfiehlt die EULAR die Gabe von Acetylsalicylsäure (ASS) als Thrombozytenaggregationshemmer mit einer Dosierung von 75-150 mg/Tag, wenn keine Kontraindikationen vorliegen.

13.4. Biologika

Bei therapierefraktären oder rezidivierenden Verläufen kann zusätzlich zur Glukokortikoidtherapie der IL-6-Rezeptorantagonist Tocilizumab eingesetzt werden.[6] Das gilt auch für Patienten, die ein erhöhtes Risiko für Glukokortikoid-assoziierte Folgeschäden haben. Durch Tocilizumab kann die Glukokortikoiddosis reduziert werden. Die möglichen schweren Nebenwirkungen einer IL-6-Hemmung müssen im Einzelfall gegen den therapeutischen Nutzen abgewogen werden.

In klinischer Prüfung befinden sich Mavrilimumab und Secukinumab.

14. Quellen

  1. 1,0 1,1 Robinette ML et al.: The Immunopathology of Giant Cell Arteritis Across Disease Spectra Front. Immunol., 25 February 2021
  2. 2,0 2,1 Wang AL et al.: Studies on the Histopathology of Temporal Arteritis. Ocul Oncol Pathol 2017;3:60-65], abgerufen am 11.2.2022
  3. J C Jennette et al.: 2012 revised International Chapel Hill Consensus Conference Nomenclature of Vasculitides; Arthritis Rheum. 2013 Jan;65(1):1-11.
  4. Gideon Nesher: Autoimmune aspects of giant cell arteritis. Isr Med Assoc J. 2014 Jul., abgerufen am 12.2.2022
  5. Fraser, a et al.: The Treatment of Giant Cell Arteritis Rev Neurol Dis. 2008 Summer; 5(3): 140–152, PMCID: PMC3014829
  6. Schirmer JH et al.: S2k-Leitlinie: Management der Großgefäßvaskulitiden AWMF - Registernummer: 060-007, abgerufen am 12.2.2022

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