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Vestibularisparoxysmie

Englisch: vestibular paroxysmia

1. Definition

Die Vestibularisparoxysmie ist ein seltenes Schwindelsyndrom mit rezidivierenden, kurz anhaltenden Schwindelattacken. Gelegentlich können weitere Symptome auftreten.

2. Epidemiologie

Genaue Inzidenzdaten liegen nicht vor. Es scheint sich um eine eher seltene Erkrankung zu handeln, nur bei etwa 2 bis 4 % der Patienten in Schwindelzentren wird eine Vestibularisparoxysmie diagnostiziert.[1]

Die Vestibularisparoxysmie zeigt zwei Häufigkeitsgipfel:

Männer sind doppelt so häufig betroffen.[2] Meist verläuft die Vestibularisparoxysmie chronisch.

3. Ätiologie

Den Schwindelattacken liegt eine pulsatile Kompression des Nervus vestibulocochlearis durch Blutgefäße im Bereich des Kleinhirnbrückenwinkels zugrunde. Die Kompression führt zu einer Irritation des Nerven. Zudem wird eine ephaptische Signalübertragung zwischen benachbarten, durch die Kompression möglicherweise demyelinisierten Axonen vermutet.

Meist handelt es sich um eine Schlinge der Arteria cerebelli anterior inferior (AICA, ca 70 %), seltener der Arteria cerebelli inferior posterior (PICA, ca. 10 %), der Arteria vertebralis oder einer Vene. Auch eine Gefäßmalformation oder arterielle Ektasie in der hinteren Schädelgrube können zu einer Vestibularisparoxysmie führen.

4. Klinik

Leitsymptome der Vestibularisparoxysmie sind kurze, Sekunden bis wenige Minuten anhaltende Attacken mit:

Bei einigen Patienten sind die Attacken durch bestimmte Kopfpositionen oder durch Hyperventilation provozierbar. Die Symptome können auch zwischen den Attacken vorhanden sein. Die Attacken ähneln sich in Qualität und zeitlichem Ablauf.[2]

5. Diagnose

5.1. Körperliche Untersuchung

Die körperliche Untersuchung kann im Intervall unauffällig bleiben, im Verlauf zeigen jedoch 20 bis 45 % der Patienten eine einseitig reduzierte Vestibularfunktion. Diese zeigt sich z.B. durch Nachstellsakkaden im Kopf-Impuls-Test.[2]

Es kann ein Provokationsversuch mittels Hyperventilation unternommen werden. Im Anfall zeigt sich dann ein horizontal-torsioneller Nystagmus zum betroffenen Ohr hin.[3]

Carbamazepin verringert die Erregbarkeit von Nervenzellen durch die Hemmung spannungsabhängiger Natriumkanäle. Wenn eine probatorische Carbamazepin-Gabe zu einer deutlichen Besserung der Symptomatik führt, ist das Vorliegen einer Vestibularisparoxysmie wahrscheinlich (Diagnosis ex juvantibus).

Weitere zentral vestibuläre bzw. okulomotorische Störungen oder Hirnstammzeichen zeigen sich nicht.

5.2. Apparative Diagnostik

In der apparativen Diagnostik können im Verlauf zunehmende Defizite festgestellt werden. Dazu gehören z.B. eine Hypakusis in der Audiometrie, pathologische akustisch evozierten Potenziale, eine verminderte Reaktion bei kalorischer Testung oder eine abweichende subjektive visuelle Vertikale.

Ein möglicher Gefäß-Nerven-Kontakt kann durch eine hochauflösende Magnetresonanztomographie (MRT) des Hirnstamms mit CISS-Sequenz nachgewiesen werden und die Verdachtsdiagnose stützen. Es ist zu beachten, dass derartige Kontakte auch bei einem hohen Anteil der gesunden Population nachweisbar ist. Die MRT dient daher eher zum Ausschluss von Differenzialdiagnosen.

5.3. Diagnosekriterien

Die Diagnosestellung erfolgt nach den Kriterien der Bárány-Society von 2016, wobei alle Kriterien zutreffen müssen. Je nach Erfüllung der Kriterien wird zwischen einer sicheren und einer wahrscheinlichen Diagnose unterschieden:[3]

5.3.1. Sichere Diagnose

  • mindestens 10 spontan aufgetretene Dreh- oder Schwankschwindelattacken
  • Attackendauer < 1min
  • typischer Attackenablauf, die Attacken ähneln einander
  • Besserung der Symptome auf Carbamazepin oder Oxcarbazepin
  • Symptome nicht durch andere Erkrankung erklärbar

Da bei Erstvorstellung keine Therapie mit Carbamazepin begonnen werden sollte, kann eine sichere Diagnose i.d.R. erst später gestellt werden.

5.3.2. Wahrscheinliche Diagnose

  • mindestens 5 spontan aufgetretene Dreh- oder Schwankschwindelattacken
  • Attackendauer < 5min
  • spontanes Auftreten der Attacken oder Provozierbarkeit durch Kopfbewegungen
  • typischer Attackenablauf, die Attacken ähneln einander
  • Symptome nicht durch andere Erkrankung erklärbar

6. Differenzialdiagnosen

Verschiedene Differenzialdiagnosen kommen in Betracht:

7. Therapie

7.1. Medikamentöse Therapie

Bei der Vestibularisparoxysmie kann ein medikamentöser Therapieversuch gestartet werden. Dafür eignen sich Carbamazepin (200 bis 600 mg/d) und Oxcarbazepin (300 bis 600 mg/d). Hierbei zeigt sich i.d.R. eine anhaltende Reduktion der Attackenfrequenz auf ca. 10 % der Ausgangswerte sowie eine Verminderung der Attackenintensität und -dauer. Bei Unverträglichkeiten kommen als Alternativen infrage:

Hinweis: Diese Dosierungsangaben können Fehler enthalten. Ausschlaggebend ist die Dosierungsempfehlung in der Herstellerinformation.

7.2. Operative Therapie

Die Indikation zur operativen mikrovaskulären Dekompression sollte nur zurückhaltend gestellt werden, da es in 3-5 % d.F. aufgrund eines intra- und postoperativen Vasospasmus zu einem Hirnstamminfarkt kommt. Außerdem kann die betroffene Seite oft nicht ausreichend sicher bestimmt werden.[2]

8. Einzelnachweise

  1. Karatas, Mehmet: "Vascular Vertigo: Epidemiology and Clinical Syndromes" The Neurologist, 2011.
  2. 2,0 2,1 2,2 2,3 Brandt, Strupp, Dieterich: "Vestibular paroxysmia: a treatable neurovascular cross-compression syndrome" Journal of Neurology, 2016.
  3. 3,0 3,1 Strupp et al.: "Vestibular paroxysmia: Diagnostic criteria" Journal of Vestibular Research, 2016.

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