Podotrochlose (Pferd)
Synonyme: Podotrochlose-Syndrom, Palmares-Huf-Syndrom, Palmar-Huf-Syndrom, Hufrollennekrose, Hufrollenentzündung
Englisch: podotrochlosis
Definition
Die Podotrochlose ist eine chronisch-degenerative und progressiv fortschreitende Erkrankung der Hufrolle (Podotrochlea) beim Pferd.
Anatomie
Als Hufrolle fasst man das Strahlbein (Os sesamoideum distale), die Bursa podotrochlearis und die tiefe Beugesehne zusammen. Das Strahlbein bildet zusammen mit der Bursa podotrochlearis ein Gleitlager (Hypomochlion) für die Sehne des Musculus flexor digitalis profundus (tiefe Beugesehne) und dient gleichzeitig zur Vergrößerung der Hufbeinpfanne als Auflage für die Kronbeinwalze.
Vorkommen
Die Podotrochlose ist eine der häufigsten Ursachen für intermittierende Stützbeinlahmheiten beim Pferd. Die Erkrankung kommt hauptsächlich bei Rennpferden und seltener bei Zugpferden vor und tritt gehäuft an der Vordergliedmaße auf. Meistens sind die Hufrollen an beiden Vordergliedmaßen gleichzeitig betroffen, wobei häufig jeweils unterschiedliche Schweregrade vorliegen.
Die Podotrochlose betrifft auch unbeschlagene oder ungerittene und zum Teil auch junge Pferde. Sie tritt hauptsächlich im Alter von 6 bis 14 Jahren auf. Das durchschnittliche Alter liegt etwa bei 8 Jahren. Wallache scheinen häufiger betroffen zu sein als andere Geschlechter. Aufgrund familiärer Häufungen wird auch eine erbliche Komponente vermutet.
Ätiologie
Die Ätiologie sowie Pathogenese der Podotrochlose ist bis heute (2020) noch nicht vollständig geklärt. Primäre Ursachen sind degenerative Prozesse im Sinne einer Abnutzungsarthrose. Sowohl endogene als auch exogene Einflüsse sollen zur Krankheitsentstehung beitragen, sodass bei der Podotrochlose von einer Faktorenkrankheit gesprochen wird.
Die spezifische Belastung der Hufrolle bei Reitpferden gilt als gesicherter Auslöser der Erkrankung. Hinzu kommen prädisponierende Faktoren wie ungünstige Hufform, Korrektur- und Beschlagfehler, Gliedmaßen- und Zehenstellung, Verlauf der Zehenachse, Aufzuchtschäden, Haltungsfehler, nutritive Einflüsse, Konditionsmangel und inadäquate Belastungen (besonders bei jungen, nicht-belastungsreifen Pferden im Leistungssport). Alle diese Faktoren führen letztendlich zu Abnutzungserscheinungen an der Hufrolle.
Pathogenese
Sowohl die mechanische Belastung der Hufrolle als auch lokale Ischämien sowie Probleme der Blutversorgung des Strahlbeins sind für die Ausbildung einer Podotrochlose verantwortlich. Durch thrombotische Veränderungen mehrerer distaler Strahlbeinarterien kommt es zu Nekrosen des Knochengewebes. Es entwickeln sich zentrale Einbrüche im Strahlbein, die letztendlich die Ursachen für Schmerzen und Lahmheit darstellen.
Zusätzlich wird angenommen, dass eine Arteriosklerose der nutritiven Strahlbeingefäße (Arteriae nutriciae) und eine durch Obliteration in den Arteriae digitales palmares entstehende Ischämie die Ursache bzw. das auslösende Moment der Podotrochlose ist.
Die komplexe Pathogenese der Podotrochlose wird durch weitere Faktoren unterstützt. Durch Osteophytenwachstum am proximalen Strahlbeinrand bzw. an den Strahlbeinenden kommt es ebenfalls zu ischämisch-entzündlichen Prozessen. Desmopathien der Strahlbeinbänder unterstützen die Ausbildung der Erkrankung. Weitere in Diskussion stehende Faktoren sind ein erhöhter intraartikulärer sowie intraossärer Druck infolge venöser Abflussstörungen.
Klinik
Die Symptome entwickeln sich allmählich und werden daher meist erst spät erkannt. Im Zuge der Anamnese wird häufig über eine Minderung der sportlichen Leistung berichtet. Da oft beide Vorderhufe mehr oder weniger gleichzeitig erkranken, besteht keine Lahmheit im direkten Sinne, sondern vielmehr eine Bewegungsstörung. Der Vorwärtstrieb wird flach, die einzelnen Schritt kürzer und die Gangartig spießig-klammerig.
Geringgradige Veränderungen der Bewegung können nur auf hartem und ebenem Boden (z.B. Asphalt) erkannt werden. Gangveränderungen müssen aber nicht immer vorliegen. Viel häufiger zeigen betroffene Pferde einen deutlichen Wendeschmerz - besonders am Beginn der Bewegung auf dem Kreis. Am nicht-aufgewärmten und berittenen Pferd nimmt die Bewegungsstörung initial zu, um dann später mehr und mehr zu verschwinden. Häufig ist eine allgemeine Leistungsminderung bzw. Arbeitsverweigerung feststellbar.
Stehende Pferde nehmen oft eine ruhende Haltung ein, indem sie eine Vorderhufe abwechselnd nach vorne setzen und so entlasten. Aufgrund der verringerten Aufweitung der Trachtenpartien durch eine unvollkommene Dorsalflexion kommt es zur Ausbildung symptomatischer Trachtenzwanghufen. Gleichzeitig werden die Zehenstellung und die Hufe zunehmend stumpfer. In schweren Fällen bildet sich ein krallenartiger Huf mit konvexer Vorderwand und stark ausgehöhlter Sohle.
Pathologie
Pathologische Veränderungen finden sich am Strahlbein-Hufbein-Band, am Strahlbein selbst, am Hufbein, an der Bursa podotrochlearis und an der tiefen Beugesehen. Klinische Bedeutung haben v.a. die Knochenveränderungen des Strahlbeins, die röntgenologisch pathognomonisch für eine Podotrochlose sind:
- Veränderungen der Struktur und Kontur
- frühzeitige Alterserscheinungen
- Verlängerung der Facies flexoria in Richtung Hufbein
- Buchtige, lakunenartige Ausweitungen der Gefäßkanäle durch Osteoklastentätigkeit
- Knorpeldefekte
- Läsionen in den Beugesehnen
- Veränderungen der Gelenkfläche am Hufbein
- Wandverdickung der Bursa podotrochlearis
Differenzialdiagnosen
Differenzialdiagnostisch sind alle im Versorgungsgebiet des Nervus digitalis palmaris liegenden und schmerzhaften Erkrankungen auszuschließen:
- Podarthrose
- Hufgelenkschale (Podarthrose et Periarthritis)
- Hufknorpelverknöcherung (Ossificatio cartilaginis ungularis)
- Strahlbeinfissuren oder Strahlbeinfrakturen
- Pododermatitis aseptica
- Pododermatitis purulenta superficialis
- Pododermatitis purulenta profunda
Diagnose
Die Diagnosestellung erfolgt mittels:
- Anamnese (Bewegungsstörungen, die sich während des Trainings bessern)
- klinische Befunde an der Hufrolle sowie an den übrigen Extremitäten (Hufzangenpalpation positiv, Wendeschmerz u.ä.)
- Verschwinden bzw. Umspringen der Lahmheit unter Leitungsanästhesie der Nervi digitales palmares (TPA)
- Provokationsproben (Keilprobe)
- Röntgenbefunde (Oxspring-Aufnahme mit dorsopalmarem Strahlengang, Tangentialaufnahme im proximopalmaren-distodorsalen Strahlengang, lateromedialer Strahlengang)
Zusätzlich können Ultraschalluntersuchungen, Szintigraphie und eine Computer- bzw. Magnetresonanztomographie durchgeführt werden.
Therapie
Die Therapie hängt vom Schweregrad der Erkrankung ab. Es sind verschiedene Behandlungsoptionen möglich, die in Form einer Kaskade abgearbeitet werden können:
- Orthopädischer Hufbeschlag: Hufkorrektur, Verwendung von Keilen, Beschlag mit offener Zehe, Beschlag mit Steg, geschlossenem Eisen oder Herzeisen u.ä.
- Medikamentöse Therapie: NSAIDs (z.B. Phenylbutazon, Meloxicam), Antikoagulanzien (z.B. Kumarin), Vasodilatatoren (z.B. Isoxsuprin), Kalzitonin-Therapie, Bisphosphonate (z.B. Tiludronat)
- Stoßwellentherapie (extrakorporale Stoßwellentherapie)
- Chirurgische Therapie: Fasziotomie/Neurolyse und perivaskuläre Sympathektomie (PVS), Desmotomie der Fesselbein-Strahlbein-Bänder, Desmotomie des Ligamentum accessorium der tiefen Beugesehne, Neurektomie der Nervi digitales palmares
Prognose
Die Prognose ist als vorsichtig bis schlecht einzustufen. Die Therapie strebt eine funktionelle Wiederherstellung der Hufrolle an, wobei eine anatomische Heilung nicht mehr möglich ist. Ziel ist es - zusammen mit einem erfahrenen Hufschmied - das Fortschreiten der degenerativen Erkrankung zu verlangsamen bzw. zu stoppen, um einen möglichst schmerzfreien Zustand für das Pferd zu erreichen.
Literatur
- Brehm W., Gehlen H., Ohnesorge B. et al., Hrsg. Handbuch Pferdepraxis. 4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Enke Verlag; 2016.
um diese Funktion zu nutzen.