Neurogenes Lungenödem
Synonyme: Zerebrales Lungenödem, NLE
Englisch: neurogenic pulmonary edema, NPE
Definition
Das neurogene Lungenödem ist ein akut auftretendes Lungenödem, das infolge einer zentralnervösen Schädigung entsteht und nicht durch andere Ursachen wie Aspiration, primär kardiale Dekompensation oder toxische Einflüsse erklärbar ist.
Epidemiologie
Die Inzidenz nach isoliertem Schädel-Hirn-Trauma beträgt ca. 0,1–0,8 %. Weitere belastbare Daten zur Epidemiologie fehlen bisher (Stand 2025).
Ätiologie
Typische Schädigungen des zentralen Nervensystems (ZNS), bei denen ein neurogenes Lungenödem auftreten kann, sind:
- Schädel-Hirn-Trauma
- Schlaganfall
- Intrazerebrale Blutung
- Subarachnoidalblutung
- Subduralhämatom
- Verletzungen, Blutungen oder Infarkte des Rückenmarks
- spinaler Schock
- Generalisierter Krampfanfall (insbesondere mit Status epilepticus)
Pathogenese
Die genauen pathophysiologischen Mechanismen sind bisher (2025) nicht abschließend geklärt. Vermutet wird eine ausgeprägte Stimulation des autonomen Nervensystems, insbesondere infolge eines gesteigerten intrakraniellen Drucks (ICP). Diese übermäßige Sympathikusaktivität ("Sympathikussturm"), die eine ausreichende zerebrale Perfusion bei erhöhtem ICP sicherstellen soll, führt zu arterieller und venöser Vasokonstriktion. Dadurch steigen Vorlast und Nachlast des Herzens, sowie der transkapilläre Druckgradient in der Lunge. Infolgedessen kommt es zum Übertritt von Flüssigkeit aus den Kapillaren in die Alveolen.
Messbare hämodynamische Veränderung sind ein Anstieg des Wedge-Drucks, des Gefäßwiderstands in der Lunge (PVR) und des systemischen Gefäßwiderstands (SVR).
Außerdem erhöht sich die Durchlässigkeit der Lungenkapillaren, sodass proteinreiche Ödemflüssigkeit in das Lungeninterstitium und die Alveolen übertritt.
Symptome
Typisch ist die Entwicklung eines Lungenödems innerhalb von Minuten bis wenigen Stunden nach der ZNS-Schädigung. Mögliche Symptome sind:
- Dyspnoe, Tachypnoe und Tachykardie
- Hypoxie und Zyanose
- Husten mit schaumigem oder blutigem Auswurf (Hämoptysen)
- Grobblasige Rasselgeräusche
Diagnostik
Die Diagnose ergibt sich aus dem klinischen Bild und dem zeitlichen Zusammenhang mit der ZNS Schädigung. Ergänzend können bildgebende Verfahren zum Einsatz kommen. Im Röntgen-Thorax oder CT-Thorax zeigen sich diffuse bilaterale Infiltrate. Echokardiographisch ist, im Unterschied zum kardialen Lungenödem, keine ausgeprägte Linksherzinsuffizienz nachzuweisen. Laborchemisch imponiert ein erhöhter Proteinkoeffizient von Ödemflüssigkeit zu Serum (> 0,6).
Differenzialdiagnosen
Mögliche Differenzialdiagnosen sind:
- Kardiales Lungenödem
- ARDS
- Pneumonie
- Aspiration
Therapie
Die Therapie erfolgt symptomatisch und beinhaltet insbesondere die Behandlung der ursächlichen ZNS-Erkrankung. Bei erhöhtem ICP werden hirndrucksenkende Maßnahmen (z.B. Lagerung mit erhöhtem Oberkörper, Osmotherapie, Sedierung) eingesetzt.
Zudem ist die Gabe von Sauerstoff indiziert. Eine Beatmung mit PEEP zur Verbesserung des Gasaustausches sollte unter Kontrolle des intrakraniellen Drucks erfolgen, da dieser durch einen hohen PEEP weiter gesteigert werden kann.
Medikamentös steht die Senkung der Vor- und Nachlast, sowie ggf. die Steigerung der Inotropie im Vordergrund.
Prognose
Die Prognose ist vor allem vom Ausmaß der ZNS-Schädigung abhängig. Die Mortalität beträgt > 60 %.
Literatur
- Baumann G, Böttiger BW: Neurogenes Lungenödem – Klinik und Pathophysiologie, Anaesthesist, 1997
- Bhardwaj A. Neurogenic pulmonary edema, Current Neurology and Neuroscience Reports, 2010
- WHO, EMCDDA: Clinical Management of Acute Neurologic Syndromes
- Stöhr M, Neumann M: Notfallmedizin: Diagnose und Therapie, Urban & Fischer
- Sedy et al.: Mechanisms of Neurogenic Pulmonary Edema Development, Physiol. Res, 2008