Subscapularissehnenruptur
Englisch: subscapularis tear, SSC tear, subscapularis ruptur, anterior cuff tear
Definition
Die Subscapularissehnenruptur, kurz SSC-Ruptur, ist eine seltene Form der Rotatorenmanschettenruptur. Typischerweise ist der superiore Abschnitt innerhalb der ersten 2 cm vom Sehnenansatz am Tuberculum minus betroffen.
Anatomie
Der Musculus subscapularis dient der Innenrotation und Adduktion des Humerus. Die Subscapularissehne ist Teil der sogenannten Rotatorenmanschette. Letztere setzt sich aus den Sehnen der vier Rotatorenmanschettenmuskeln zusammen und umschließt den Humeruskopf von drei Seiten:
- Oben: Supraspinatussehne
- Vorne: Subscapularissehne
- Hinten: Infraspinatussehne und Teres-minor-Sehne).
Der Musculus subscapularis hat seinen Ursprung in der Fossa subscapularis und setzt am Tuberculum minus an. Die Sehneninsertion (Footprint) erstreckt sich kraniokaudal über ca. 2,5 cm. Das oberste Drittel ist der kräftigste und funktionell wichtigste Anteil. Hier ist die Insertion 1,5 bis 2,5 cm breit. Nach kaudal nimmt die Breite kontinuierlich bis auf wenige Millimeter ab. Am Unterrand der Sehne kann bei einigen Personen ein rein muskulärer Ansatz vorkommen. Funktionell und hinsichtlich der Innervation (Nervi subscapularis superior et inferior) können der kraniale und kaudale Anteil als getrennte Einheiten betrachtet werden.
Epidemiologie
Eine Subscapularissehnenruptur tritt zwei- bis dreimal häufiger bei Männern auf. Das mittlere Erkrankungsalter beträgt 50 Jahre.
Ein Riss der Subscapularissehne macht 2 bis 3,5 % der Rotatorenmanschettenrupturen aus. Jedoch wird von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen, sodass sie möglicherweise ein Drittel der Rotatorenmanschettenläsionen ausmacht.[1]
Lokalisation
In den meisten Fällen beginnt die Ruptur als gelenkseitige Partialruptur am Oberrand der Sehneninsertion. Diese geht im Verlauf in eine transmurale Ruptur über, die sich nach kaudal ausweitet. Eine frühe Mitbeteiligung des Bizeps-Pulley mit konsekutiver Tendinopathie und später Dislokation der Bizepssehne ist typisch. Läsionen im mittleren oder unteren Sehnenanteil bei intaktem Oberrand sind seltener.
Ätiologie
Anteriore Supraspinatussehnenrupturen gehen oft mit einer Beteiligung der Subscapularissehne einher: Bei einer transmuralen Supraspinatussehnenruptur ist in 30 % der Fälle die Subscapularissehne mitbetroffen. Gleichzeitig kann eine Verletzung oder Instabilität der langen Bizepssehne vorliegen.
Eine isolierte SSC-Ruptur infolge eines Traumas ist deutlich seltener und kann bei einem Sturz oder einer starken Muskelkontraktion (z.B. beim Werfen) auftreten. Bei älteren Patienten prädisponiert eine ausgedünnte, laxe Sehne aufgrund einer Schulterinstabilität nach anteriorer Schulterluxation für eine SSC-Ruptur. Im Rahmen einer posterioren Schulterluxation kommt es in 14 % der Fällen zu einer SSC-Ruptur.
Eine Subscapularissehnenruptur kommt auch im Rahmen bestimmter Impingementsyndrome vor:
- subcoracoidales Impingement: Schmerzen bei Adduktion, Anteversion und Innenrotation. Spitze des Processus coracoideus liegt kaudal des Tuberculum supraglenoidale oder coracohumeraler Abstand < 11 mm im axialem Bild.
- anterosuperiores Impingement: Schmerzen durch Kontakt des Tuberculum minus mit dem anterosuperioren Labrum bei Flexion und Innenrotation. Begleitend Verletzungen der Bizepssehne, anterioren Supraspinatussehne und/oder Ligamentum glenohumerale superius (SGHL).
Zuletzt kann es auch postoperativ zu einer SSC-Ruptur kommen: Während einer offenen Reparatur des anterioren Labrums oder einer Arthroplastik wird die SSC-Sehne häufig chirurgisch durchtrennt. Die reparierte Tenotomiestelle prädisponiert für eine Ruptur.
Klassifikation
Die Lafosse-Klassifikation unterscheidet zwischen 5 Schweregaden:
- Grad 1: Partialruptur des oberen Drittels
- Grad 2: Transmurale Ruptur des oberen Drittels
- Grad 3: Transmurale Ruptur der oberen zwei Dritteln
- Grad 4: Transmurale Ruptur der gesamten SSC-Sehne (komplette Ruptur)
- Grad 5: Grad 4 + > 50 % fettige Atrophie des Musculus subscapularis
Die Unterscheidung zwischen partieller und transmuraler Ruptur bezieht sich auf die anteroposteriore und nicht auf die superoinferiore Ausdehnung der Subscapularissehne. Um Verwirrung zwischen beiden Begriffen zu vermeiden, sind auch folgende Bezeichnungen möglich:
- Grad 1 = niedriggradige Partialruptur
- Grad 2 = mittelgradige Partialruptur
- Grad 3 = hochgradige Partialruptur
- Grad 4 = Komplettruptur
Weitere Möglichkeiten zur Einteilung sind die Klassifikation nach Yoo und Rhee sowie die Pfirrmann-Klassifikation.
Klinik
SSC-Rupturen führen zu nächtlich betonten Schulterschmerzen, einer Druckschmerzhaftigkeit der vorderen Schulter sowie zu einer abgeschwächten Innenrotation. Typischerweise treten die Symptome allmählich bzw. verzögert auf. Auch asymptomatische Verläufe kommen nicht selten vor.
Partialrupturen können im Verlauf zu größeren Rissen fortschreiten. Aufgrund der Bildung von Narbengewebe kann es in einigen Fällen trotz kompletter Ruptur zu einer gewissen Wiedererlangung der Muskelfunktion kommen. In diesen Fällen ist die Ruptur in der Arthroskopie auch nicht immer erkennbar.
Weitere klinische Zeichen einer Subscapularisläsion sind:
- Lift-Off-Test: Unfähigkeit, die Hand gegen einen Widerstand vom Rücken abzuheben.
- Belly-Press-Test: Unfähigkeit, die Handfläche in passiver Position auf dem Bauch zu halten.
- Innenrotation-Lag-Test: Der Arm wird hinter dem Rücken maximal nach innen rotiert. Der Patient kann diese Position nicht halten.
Diagnostik
Die klinische Verdachtsdiagnose einer Subscapularisläsion wird radiologisch bestätigt. Insbesondere bei einer großen anterioren Supraspinatussehnenruptur oder subluxierter bzw. dislozierter Bizepssehne muss an eine SSC-Ruptur gedacht werden. Am häufigsten liegt eine unter 1 cm große Partialruptur des superioren Drittels ansatznah am Tuberculum minus vor. Verletzungen des Muskelansatzes sind selten und treten meist im Rahmen einer anterioren Schulterinstabilität auf.
Konventionelles Röntgen
Im Röntgenbild sind subkortikale Zysten und Sklerosen sowie Enthesophyten hinweisend auf eine zugrundeliegende Pathologie der Sehne. Eine Subscpularissehnenruptur kann nicht dargestellt werden.
Computertomographie
In der Computertomographie (CT) können ebenfalls ossäre Veränderungen auf eine zugrundeliegende Tendinopathie hinweisen. Nach intraartikulärer Kontrastmittelgabe können SSC-Rupturen gut dargestellt werden. Die CT-Arthrographie wird insbesondere bei Patienten mit Arthroplastik eingesetzt.
Magnetresonanztomographie
In der Magnetresonanztomographie (MRT) zeigt die Sehne ein hohes Signal oder einen Defekt in der T2w-FS-Sequenz. Die Sehne ist ausgedünnt und weist ein intermediäres T1w-Signal auf. Bei Partialrupturen ist der gelenkseitige Teil deutlich häufiger als die bursaseitige Oberfläche betroffen. Bei der transmuralen Ruptur reicht der Defekt von der gelenkseitigen bis zur bursaseitigen Oberfläche.
Über den Bandkomplex aus Ligamentum glenohumerale superius und Ligamentum coracohumerale sind die Subscapularissehne und die Supraspinatussehne fest verbunden. Diese Gewebebrücke ist bei retrahierten Rupturen der Subscapularissehne oft gut erkennbar und wird als Komma-Zeichen bezeichnet.[2][3][4]
Chronische Risse führen zu einer fettigen Muskelatrophie. SSC-Rupturen sind am besten in axialer und parasagittaler Ebene erkennbar. Ein sekundäres Zeichen einer Subscapularissehnenruptur ist die Subluxation oder Dislokation der langen Bizepssehne. Die diagnostische Genauigkeit der MRT beträgt bis zu 90 %.
MR-Arthrographie
Bei der direkten MR-Arthrographie wird Kontrastmittel intraartikulär appliziert und anschließend eine MRT durchgeführt. Das Kontrastmitel dringt in den Defekt der Subscapularissehne ein. Weiterhin kann das Kontrastmittel über das Tuberculum minus austreten, sofern Narbengewebe dies nicht verhindert. Die Sensitivität beträgt 90 %, die Spezifität 91 %.
Sonographie
In de Sonographie ist ein hypoechogener Defekt in der Subscapularissehne erkennbar. Begleitend kann eine Subluxation oder Dislokation der Bizepssehne vorliegen. Die Sonographie wird insbesondere bei Patienten nach Arthroplastik eingesetzt.
Differenzialdiagnosen
Radiologisch müssen folgende Differenzialdiagnosen erwogen werden:
- Tendinopathie der Subscapularissehne: verdickte Sehne mit intratendinös erhöhtem T2w-Signal ohne Signalausdehnung bis oder Defekt entlang der Sehnenoberfläche. Zwischen den signalfreien Sehnenfaszikeln am Ansatz können Muskelfasern vorliegen und eine Tendinopathie vortäuschen.
- Subluxation/Dislokation oder Riss der langen Bizepssehne: oft assoziiert mit einem Riss der superioren Subscapularissehne. Seltener auch isolierte Bizepsinstabiliät sekundär nach Pulley-Läsion.
- Verletzung des Rotatorenintervalls: assoziiert mit Partialruptur der Subscapularissehne, Verletzung der anterioren Supraspinatussehne sowie Pulley-Läsion.
- Erguss im Recessus subscapularis: kann aufgrund eines Partialvolumeneffekts insbesondere in parakoronarer und/oder axialer Ebene mit einer Ruptur verwechselt werden.
- anterosuperiores Impingement: Riss der Subscapularissehne, der Supraspinatussehne, des Ligamentum glenohumerale superius sowie Riss oder Subluxation/Dislokation der langen Bizepssehne
Therapie
Bei kleinen Partialrupturen kommt ein Débridement in Frage. Transmurale Rupturen bedürfen einer chirurgischen Reparatur. Bei erheblicher Muskelatrophie kann ein Sehnen- bzw. Muskeltransfer notwendig sein.
Literatur
- Bergin D et al. Abnormalities on MRI of the subscapularis tendon in the presence of a full-thickness supraspinatus tendon tear, AJR Am J Roentgenol. 2006;186(2):454-459
- Adams CR et al. A systematic approach for diagnosing subscapularis tendon tears with preoperative magnetic resonance imaging scans, Arthroscopy. 2012;28(11):1592-1600
- Gyftopoulos S et al. Correlation of MRI with arthroscopy for the evaluation of the subscapularis tendon: a musculoskeletal division’s experience, Skeletal Radiol. 2013;42(9):1269-1275
- Alilet M et al. Multi-modal imaging of the subscapularis muscle, Insights Imaging. 2016;7(6):779-791
- Shi LL Accuracy of long head of the biceps subluxation as a predictor for subscapularis tears, Arthroscopy. 2015;31(4):615-619
- Lee J et al. Subscapularis tears: hidden and forgotten no more, JSES Open Access. 2018;2(1):74-83
- Mehta SK et al. Prevalence and risk factors for development of subscapularis and biceps pathology in shoulders with degenerative rotator cuff disease: a prospective cohort evaluation, J Shoulder Elbow Surg. 2020;29(3):451-458
- Lenz R et al. Subscapularis Tendon Tears - Usefulness of Written MRI Reports for Guiding Patient Referral to Shoulder Specialists, Rofo. 2021;193(7):797-803
- Ahmad ZY et al. Imaging Review of Subscapularis Tendon and Rotator Interval Pathology, Radiol Res Pract. 2022;2022:4009829
- Ahn TR et al. Diagnostic performance of conventional magnetic resonance imaging for detection and grading of subscapularis tendon tear according to Yoo and Rhee classification system in patients underwent arthroscopic rotator cuff surgery, Skeletal Radiol. 2022;51(3):659-668
Quellen
- ↑ Koo SS, Burkhart SS. Subscapularis tendon tears: identifying mid to distal footprint disruptions, Arthroscopy. 2010;26(8):1130-1134
- ↑ Visonà E et al. The "comma sign": an anatomical investigation (dissection of the rotator interval in 14 cadaveric shoulders), Surg Radiol Anat. 2015;37(7):793-798
- ↑ Lo IKY, Burkhart SS The comma sign: An arthroscopic guide to the torn subscapularis tendon, Arthroscopy. 2003;19(3):334-337
- ↑ Atinga A et al. Preoperative Magnetic Resonance Imaging Accurately Detects the Arthroscopic Comma Sign in Subscapularis Tears, Arthroscopy. 2021;37(10):3062-3069
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