Labrum glenoidale
Synonym: Knorpellippe, Pfannenlippe
Englisch: glenoid labrum
Definition
Das Labrum glenoidale ist eine Gelenklippe, die eine 3 bis 4 mm breite, wulstige Umrahmung der Knorpelpfanne (Cavitas glenoidalis) des Schulterblatts bildet.
Anatomie
Überblick
Das Labrum glenoidale besteht zum Großteil aus zirkulär verlaufenden Kollagenfasern, zu geringen Anteilen aus Faserknorpel. Es ist im posteroinferioren Abschnitt fest, im superoanterioren Abschnitt beweglich mit der Gelenkpfanne verbunden. Im kranialen Anteil der Gelenkpfanne bildet das Labrum zusammen mit der langen Bizepssehne den Bizepssehnenanker (Labrum-Bizepssehnen-Komplex).
Das Labrum weist eine sehr variable Form und Größe auf. Meist ist es ca. 3 mm dick und 4 mm breit. Im Querschnitt ist es meist dreieckig oder seltener rund. Das Labrum ist mit dem Rotatorenintervall, oben mit der langen Bizepssehne, vorne mit dem Ligamentum glenohumerale superius sowie teilweise mit dem Ligamentum glenohumerale medium und unten mit dem Ligamentum glenohumerale inferius verbunden.
Arterielle Versorgung
Die arterielle Versorgung erfolgt über einen aufsteigenden Ast aus der Arteria axillaris ("ascending glenoid artery"), Äste der Arteria suprascapularis und der Arteria circumflexa scapulae sowie Muskeläste der Rotatorenmanschette und die Arteriae circumflexa humeri anterior und posterior. Die Blutversorgung wird über das darunter liegende knöcherne Glenoid ergänzt.
Klinische Anatomie
Radiologisch erfolgt die Lagebeschreibung des Labrums in der parasagittalen Ebene in Analogie zum Ziffernblatt:
- 11 bis 1 Uhr: superior
- 1 bis 3 Uhr: anterosuperior
- 3 bis 5 Uhr: anteroinferior
- 5 bis 7 Uhr: inferior
- 7 bis 9 Uhr: posteroinferior
- 9 bis 11 Uhr: posterosuperior
Dabei bezieht man sich stets auf die rechte Schulter. Demnach entspricht beispielsweise die 3-Uhr-Position immer dem anterioren Labrum.
Funktion
Das Labrum glenoidale sorgt für eine Vergrößerung der Gelenkfläche und eine bessere Positionierung des Humeruskopfes in der Cavitas glenoidalis der Schulter. Es dient der Stabilisierung des Schultergelenks, wirkt Bewegungen nach anterior und posterior entgegen und verhindert die Luxation.
Normvarianten
Die Variabilität des Labrums ist im anterosuperioren Segment am größten. Hier ist das sublabrale Foramen mit ca. 10 % eine häufige Normvariante. Das Fehlen des anterosuperioren Labrums in Kombination mit einem kräftigen Ligamentum glenohumerale mediale kommt in ca. 1 bis 2 % vor und wird als Buford-Komplex bezeichnet.[1]
Am oberen Labrum gilt der sogenannte sublabrale Rezessus als eine wichtige Normvariante. Es stellt mit 70 % jedoch die häufigste Form des Bizepssehnenankers dar und sollte daher eher als die Regel angesehen werden.
Am hinteren Labrum findet sich in ca. einem Fünftel der Fälle eine schmale Spaltbildung an der Labrumbasis. Meist ist der posteroinferiore Quadrant von der Normvariante betroffen.[2]
Klinik
Bei der vorderen Schultergelenkluxation kommt es häufig zu einem Abriss des anteroinferioren Labrum glenoidale, die als Bankart-Läsion bezeichnet wird. Varianten sind:
Die so genannten SLAP-Läsion des superioren Labrums entsteht bei starker Krafteinwirkung auf die bereits vorgespannte lange Bizepssehne, z.B. durch ruckartiges Anheben großer Gewichte (z.B. Gewichtheben) oder Sturz auf den gestreckten, abduzierten Arm (z.B. Fahrradstürze).
Posteriore Labrumläsionen können bei einer hinteren Schulterluxation auftreten. Man unterscheidet zwischen:
Literatur
- Gustas CN, Tuite MJ. Imaging update on the glenoid labrum: variants versus tears, Semin Musculoskelet Radiol. 2014;18(4):365-373
- Shortt CP et al. Association of glenoid morphology and anterosuperior labral variation, J Comput Assist Tomogr. 2009;33(4):584-586
- Modarresi S et al. Superior labral anteroposterior lesions of the shoulder: part 1, anatomy and anatomic variants, AJR Am J Roentgenol. 2011;197(3):596-603
- Ilahi OA et al. Classification of anterosuperior glenoid labrum variants and their association with shoulder pathology, Orthopedics. 2008;31(3):226
Quellen
- ↑ Tuite MJ et al. Sublabral foramen and buford complex: inferior extent of the unattached or absent labrum in 50 patients, Radiology. 2002;223(1):137-142
- ↑ Lee GY et al. Posteroinferior labral cleft at direct CT arthrography of the shoulder by using multidetector CT: is this a normal variant?, Radiology. 2009;253(3):765-770