Geburtshilflicher Untersuchungsgang (Fleischfresser)
Synonym: Geburtshilfliche Untersuchung
Definition
Hintergrund
Geburtsstörungen bei Tieren sind stets Notfälle und erfordern ein rasches tierärztliches Eingreifen. Der geburtshilfliche Untersuchungsgang dient einerseits dazu, Geburtsstörungen zu verhindern bzw. zu erkennen, um adäquate Maßnahmen frühzeitig einzuleiten.
Geburtsstadien
Beim Fleischfresser können drei verschiedene Geburtsstadien unterschieden werden:
- Vorbereitungsstadium: deutliche Umfangsvermehrung des Abdomens (birnenförmig), Inappetenz, Nestbauverhalten und Absinken der Körpertemperatur
- Öffnungsstadium: Beginn der eigentlichen Geburt mit passiver Dehnung der Zervix und Einsetzen der Wehen, wodurch der Fetus in den Geburtsweg vorgetrieben wird. Das Stadium endet mit dem Sprung der ersten Fruchtblase.
- Austreibungsstadium: Nach dem Sprung der Fruchtblase kommt es aufgrund der Zervixdehnung zur vermehrten Sekretion von Oxytocin (Ferguson-Reflex) und zum Einsetzen der Bauchpresse (Entleerungsreflex).
Untersuchungsgang
Der geburtshilfliche Untersuchungsgang gliedert sich in mehrere Abschnitte, die - insofern es die Situation zulässt - der Reihe nach ausgeführt werden sollten:
- Voruntersuchung
- Befunde am Muttertier
- Befunde am Fetus
- Geburtshilfliche Maßnahmen
- Geburtshilfliche Nachuntersuchung
- Erstversorgung des Neugeborenen
Voruntersuchung
Im Zuge der Voruntersuchung werden die ersten anamnestischen und tierspezifischen Parameter erhoben, um einen orientierenden Eindruck über das Tier zu gewinnen.
Anamnese
Die Anamnese sollte aufgrund der Dringlichkeit auf das Wesentliche beschränkt werden. Die Fragestellungen werden meist parallel zur Untersuchung durchgeführt. Zu erfragen sind:
- Verlauf und Dauer der Trächtigkeit (Hinweis auf Geburtsprobleme oder Abort)
- Beginn der Geburt bzw. wann diese bemerkt wurde
- bisherige Wehentätigkeiten
- bereits stattgefundener Fruchtblasensprung
- bereits geborene Jungtiere (Anzahl, Zeitintervall)
- bereits stattgefundene Geburtshilfen (welche, durch wen)
Nationale
Die Erhebung der Nationale sollte nur dann durchgeführt werden, wenn ausreichend Zeit zur Verfügung steht. Ansonsten können sie bei Notwendigkeit parallel zur Untersuchung dokumentiert werden:
- Rasse
- Alter
- Farbe
- Abzeichen (angeboren, erworben)
- Körpermaße (Gewicht, Größe)
- Verwendungszweck
- Tiername
Allgemeiner Untersuchungsgang
Der geburtshiflichen Untersuchung geht eine kurze allgemeine klinische Untersuchung voraus. Dabei sind besonders die Vitalparameter des Muttertiers zu beachten. Der Allgemeinzustand ist oft entscheidend dafür, welche geburtshilfliche Maßnahmen möglich sind bzw. durchgeführt werden müssen.
- Herzfrequenz und peripherer Kreislauf
- Kapillarfüllungszeit
- Atemfrequenz
- Kopfschleimhäute
- Hydratationszustand
Zusätzlich sollten die ersten Maßnahmen getroffen werden, um das Muttertier und die bevorstehende bzw. laufende Geburt vor Komplikationen zu schützen. Bei bereits geschwächten Tieren sollte der Kreislauf mittels Infusion unterstützt werden.
Befunde am Muttertier
Bei der Befundung des Muttertiers und allen weiteren Untersuchungsschritten muss auf größtmögliche Hygiene geachtet werden. Die Vulva und ihre Umgebung ist zu reinigen (Wasser) und die Hände des Untersuchers müssen gewaschen, desinfiziert und mit Handschuhe geschützt werden.
Am Muttertier sind verschiedene Parameter zu erheben:
- Gleitfähigkeit des Geburtsweges (hinweisend für die bereits verstrichene Zeit der Geburt)
- Verletzungen des Geburtsweges (unsachgemäße Geburtshilfe durch andere Personen oder aufgrund Geburtsstörungen)
- Öffnungsgrad der Zervix (ungenügende Öffnung aufgrund mangelnder Weite des Geburtsweges oder frühes Geburtsstadium)
- Weite des Geburtsweges (mangelnde Weite verhindert das Durchdringen der Feten und muss durch eine Sectio caesarea behoben werden)
- Beurteilung der Schleimhautfältelung (spiralig verlaufende Längsfalten weisen auf eine Torsio uteri hin)
- Beurteilung des Sekrets (grün-schwarzer Ausfluss ist hinweisend für eine Ablösung der Plazenta)
Befunde am Fetus
Am Fetus selbst werden mehrere Parameter überprüft und dokumentiert. Zusätzlich muss die Vitalität des Fetus beurteilt werden.
- Lage (Verhältnis der Längsachse des Fetus zur Längsachse des Muttertiers)
- Stellung (Verhältnis der Rückenlinie des Fetus zur Rückenlinie des Muttertiers)
- Haltung (Verhältnis des Kopfes bzw. der Gliedmaßen zum Körper des Fetus)
- fetale Lebenszeichen durch Auslösen verschiedener Reflexe (Schluck- und Saugreflex, Analreflex, Bulbusreflex)
- fetomaternales Größenverhältnis (absolut oder relativ zu großer Fetus)
- Anzahl der Feten
- etwaige palpatorische Missbildungen
- Pathologische Befunde: unphysiologische Lage, Stellung oder Haltung, fehlende Lebenszeichen und ungünstiges Größenverhältnis (absolut oder relativ zu groß)
- Physiologischer Befund: Vorder- oder Hinterendlage, obere Stellung, gestreckte Haltung
Geburtshilfliche Maßnahmen
Verläuft die Geburt schleppend oder sistiert sie, ist unverzüglich eine tierärztliche Unterstützung notwendig. Durch verschiedene Methoden können auftretende Geburtskomplikationen korrigiert und Schäden am Muttertier sowie Fetus reduziert oder gar verhindert werden. Je nach Indikation kommen unterschiedliche Maßnahmen zum Einsatz:
- Reposition: Durch Zurückschieben der Frucht während den Wehenpausen kann eine Korrektur der Lage durchgeführt werden.
- Sectio caesarea: Bei relativ oder absolut zu großen Früchten, ungenügender Öffnung des Geburtsweges, nicht zu korrigierende Lage-, Stellung- oder Haltungsanomalien ist eine Sectio caesarea durchzuführen.
Geburtshilfliche Nachuntersuchung
Bei allen tierärztlich geleiteten Geburten ist nach der Entwicklung der Feten - unabhängig davon, welche geburtshilflichen Maßnahmen gesetzt wurden - eine Nachuntersuchung des Muttertieres notwendig. Hierbei ist v.a. auf Verletzungen des Geburtsweges und des Uterus zu achten.
Gleichzeitig ist der Abgang der Nachgeburt zu kontrollieren. Beim Hund und auch bei der Katze erfolgt der Nachgeburtsabgang sehr rasch nach der Geburt jedes einzelnen Welpen. Die Anzahl der Welpen und die Anzahl der abgegangenen Nachgeburten sollte dementsprechend verglichen werden, um sicher zu gehen, dass keine Nachgeburten im Muttertier verbleiben. Die Nachgeburten werden auf pathologische Veränderungen (Verdickungen, Auflagerungen, nekrotische Bereiche u.ä.) untersucht.
Erstversorgung des Neugeborenen
Nach dem Abschluss der Geburt sind die Neugeborenen zu untersuchen. Nach unkomplizierten Geburten setzt die Atmung der Neugeborenen in den meisten Fällen spontan ein. Bei Ausbleiben der Atmung (aufgrund vermehrter Hypoxie) muss durch vorsichtige, intermittierende Thoraxkompressionen eine manuelle Atemhilfe geleistet werden. Meist reicht schon das Trockenrubbeln mit einem Handtuch, um die Neugeborenen zum selbständigen Atmen zu animieren.
Zusätzlich sind die Neugeborenen auf Unreife (prominente Stirn, dichte Behaarung u.ä.), offensichtliche Erkrankungen, genetische Defekte und Missbildungen zu untersuchen. Anschließend wird der Nabel desinfiziert und auf eine ausreichende Kolostrumversorgung geachtet.
Literatur
- Baumgartner, Walter. Klinische Propädeutik der Haus- und Heimtiere. 8., aktualisierte Auflage. Enke-Verlag, 2014.