Aorteninsuffizienz (Pferd)
Synonym: Aortenklappeninsuffizienz
Englisch: aortic regurgitation/insufficiency, AR
Definition
Als Aorteninsuffizienz, kurz AR, bezeichnet man einen Herzklappenfehler beim Pferd, der durch einen pathologischen Rückfluss (Regurgitation) von Blut aus der Aorta in das linke Herz gekennzeichnet ist.
Anatomie
Die Aortenklappe (Valva aortae) ist eine Herzklappe des linken Herzens. Sie liegt in der Aortenöffnung (Ostium aortae) der Austreibungsbahn des linken Ventrikels (Ventriculus cordis sinister) und besitzt als Taschenklappe drei einzelne Klappen:
- Valvula semilunaris dextra (liegt kranial und weist so zum rechten Ventrikel)
- Valvula semilunaris sinistra (nach links und kaudal gerichtet)
- Valvula semilunaris septalis (nach rechts in Richtung Septum interatriale gerichtet)
Die Aortenklappe wird in der Systole geöffnet, sodass das durch die Kammerkontraktion ausgepresste Blut in die Aorta abfließen kann, wohingegen die Klappe in der Diastole geschlossen ist.
Epidemiologie
Die Prävalenz der Aorteninsuffizienz hängt von den verschiedenen Rassen ab und variiert zwischen 2,2 und 8,7 % (bis zu 20 %). Kleinere Pferderassen (z.B. Englisches Vollblut oder Arabisches Vollblut) sind im Vergleich zu Ponys vermehrt betroffen.
Die Aorteninsuffizienz ist die häufigste Herzklappenerkrankung beim Pferd, v.a. bei mittelalten bis alten Pferden.
Ätiologie
Die Aortenklappe kann aufgrund unterschiedlicher Auslöser insuffizient werden, u.a.:
- degenerative Klappenveränderungen (z.B. knötchenartige oder generalisierte fibrotische Verdickungen),
- kongenitale Klappenveränderungen,
- infektiöse Endokarditiden oder
- Ventrikelseptumdefekten (aufgrund der Nähe zur Aortenklappe).
Pathogenese
Durch die undichte Aortenklappe fließt während der Diastole das Blut aus der Aorta zurück in den linken Ventrikel. Abhängig von der Menge des Rückflusses kommt es zu unterschiedlichen pathophysiologischen Veränderungen.
Das rückströmende Blut führt zu einem erhöhten Druck im linken Ventrikel. Diese Druckänderungen bewirken eine Dilatation und/oder Hypertrophie der Herzkammer, was wiederum zu einem erhöhten Sauerstoffbedarf des Myokards führt. Da gleichzeitig aber der Perfusionsdruck der Koronararterien abnimmt, kommt es zu einer Unterversorgung des Myokards mit Sauerstoff (Ischämie). Parallel dazu führt der effektive Volumenmangel (bedingt durch den Rückfluss) zu einem Abfall der Druckverhältnisse in der Aorta während der Diastole. Durch das vermehrte Volumen im linken Ventrikel steigt der Druck in der Aorta während der Systole hingegen deutlich an, was zu hohen Druckdifferenzen im Anfangsabschnitt der Aorta führt.
Bleibt die Insuffizienz über einen längeren Zeitraum bestehen, entwickelt sich ein Rückstau vom linken Ventrikel in den linken Vorhof (Atrium cordis sinistrum). Die Volumenüberladung behindert den Zufluss der Venae pulmonales, was wiederum einen Rückstau in den Lungenkreislauf und somit einen Lungenhochdruck mit Ausbildung eines Lungenödems bedingt. In letzter Folge entwickelt sich eine dekompensierte Herzinsuffizienz.
Klinik
Das klinische Bild hängt vom Schweregrad der Insuffizienz und der damit einhergehenden Regurgitation ab. Geringgradige Aorteninsuffizienzen sind häufig asymptomatisch und besitzen keinen Krankheitswert. Mittelgradige Rückflüsse führen zu einer Leistungsintoleranz. Betroffene Tiere schwitzen vermehrt, stolpern und stürzen häufig. Hochgradige Klappenveränderungen gehen mit schwerwiegenden hämodynamischen Störungen bzw. Symptomen eines Kreislaufversagens einher.
Diagnose
Neben einer ausführlichen Anamnese und klinischen Untersuchung gibt v.a. die Auskultation des Herzens erste Hinweise auf eine Klappenveränderung. Meistens ist ein holodiastolisches Herzgeräusch mit Punctum maximum auf der linken Thoraxwand im 4. Interkostalraum und Decrescendo-Charakteristik hörbar. Gleichzeitig muss auch immer die Pulsqualität (meistens pochend) beurteilt werden.
Der Schweregrad der Regurgitation und der damit einhergehenden Veränderungen am Herzen lassen sich mittels Echokardiographie (B-Mode, M-Mode und Dopplersonographie) beurteilen. Einerseits lässt sich die Regurgitation graduieren (Grad 1 bis 4), andererseits können der Grad der Volumenüberladung sowie der Grad der pulmonalen Hypertension ermittelt werden.
Klassifizierung
Regurgitation
Grad | Beurteilung | Klinik |
---|---|---|
1 | unbedeutend | Jet bis unmittelbar hinter die Aortenklappe |
2 | gerginggradig | Jet bis ins erste Dritte des linken Ventrikels |
3 | mittelgradig | Jet bis ins zweite Drittel des linken Ventrikels |
4 | hochgradig | Jet größer als die ersten zwei Drittel des linken Ventrikels |
Volumenüberladung
Durchmesser | Messung | Beurteilung |
---|---|---|
linker Ventrikel | < 12,5 cm | physiologisch |
> 12,5 cm | pathologisch |
Pulmonale Hypertension
Durchmesser | Messung | Beurteilung |
---|---|---|
Pulmonalarterie und Aorta | Pulmonalarterie < Aorta | physiologisch |
Pulmonalarterie > Aorta | pathologisch |
Therapie
Die Therapie richtet sich nach dem Schweregrad der Regurgitation. Gering- bis mittelgradige Insuffizienzen benötigen häufig keine Therapie. Bei einem hochgradigem Rückfluss mit gleichzeitiger Dilatation des Ventrikels sind ACE-Hemmer zu verordnen (z.B. Enalapril, Quinapril oder Ramipril).
Bei Dekompensationserscheinungen sowie bei hochgradiger Dilatation und Lungenkongestion kann eine Behandlung mit Schleifendiuretika (Furosemid) in Kombination mit Digitalispräparaten und ACE-Hemmern erwogen werden. Häufig ist nur noch die Euthanasie indiziert.
Prognose
Die Prognose richtet sich nach den Begleiterscheinungen. Eine Aorteninsuffizienz ohne begleitende Linksherzinsuffizienz bzw. zusätzlich vorliegende Mitralinsuffizienz weist grundsätzlich eine gute Prognose auf. Die Klappenveränderung geht meist ohne relevante klinische Symptome und mit einer langsamen Progression über mehrere Jahre einher.
Liegt zusätzlich eine Insuffizienz der Mitralklappe vor, leiden die Tiere häufig an einer Linksherzsymptomatik. Die Krankheit schreitet schneller voran. Eine gleichzeitige Endokarditis verkompliziert den Krankheitsverlauf.
Literatur
- Marr CM. Cardiac murmurs: valvular regurgitation and insufficiency. In: Marr CM, Bowen IM (Editors). 2010. Cardiology of the horse. Second edition. Saunders Elsevier Limited. 207-2016. ISBN: 978-0-7020-2817-5
- Gehlen H, Hopster-Iversen C, Schmitz RR. Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems. In: Brehm W, Gehlen H, Ohnesorge B, Wehrend A (Hrsg.). 2017. Handbuch Pferdepraxis. 4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Enke Verlag in Georg Thieme Verlag KG. 237-283. ISBN: 978-3-13-219621-6
- Salomon FV, Geyer H, Uwe G. 2008. Anatomie für die Tiermedizin. 2., aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart: Enke Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG. ISBN: 978-3-8304-1075-1