Zitrullinämie
Synonyme: Citrullinämie, ASS-Mangel, Argininosuccinat-Synthase-Mangel
Englisch: citrullinemia
Definition
Die Zitrullinämie ist eine seltene, autosomal-rezessiv vererbte Stoffwechselerkrankung aus der Gruppe der Harnstoffzyklusdefekte. Sie beruht auf einem Enzymmangel, der den Abbau von Ammoniak im Körper beeinträchtigt und zur Anhäufung von Citrullin im Blut führt.
Ätiologie
Die Zitrullinämie entsteht durch Mutationen in Genen, die für Enzyme des Harnstoffzyklus kodieren. Dabei unterscheidet man zwei Hauptformen:
- Zitrullinämie Typ I – verursacht durch Mutationen im ASS1-Gen (Argininosuccinat-Synthase 1) auf Chromosom 9q34. Dieses Enzym katalysiert die Kondensation von Citrullin und Aspartat zu Argininosuccinat. Der Mangel führt zu einer Akkumulation von Citrullin und Ammoniak im Blut.
- Zitrullinämie Typ II – verursacht durch Mutationen im SLC25A13-Gen, das für den mitochondrialen Aspartat-Glutamat-Carrier (Citrin) kodiert. Dieser Transporter ist für den Austausch von Aspartat und Glutamat zwischen Mitochondrien und Zytosol verantwortlich. Ein Defekt führt zu sekundären Störungen des Harnstoffzyklus und des Energiehaushalts.
Beide Formen werden autosomal-rezessiv vererbt. Typ I manifestiert sich meist neonatal, Typ II dagegen typischerweise erst im Jugend- oder Erwachsenenalter.
Pathophysiologie
Der Harnstoffzyklus ist der wichtigste Stoffwechselweg zur Entgiftung von Ammoniak, das beim Proteinabbau entsteht. Bei einer Störung des Zyklus reichert sich Ammoniak im Blut an. Die resultierende Hyperammonämie verursacht neurotoxische Effekte, die sich klinisch durch neurologische und psychiatrische Symptome äußern.
Klinik
Die Symptomatik variiert je nach Typ und Manifestationsalter:
Zitrullinämie Typ I (Neonatale/klassische Zitrullinämie)
Die Erkrankung manifestiert sich meist innerhalb weniger Tage nach der Geburt mit:
- Trinkschwäche, Erbrechen, Lethargie
- Muskelhypotonie, Krampfanfällen
- zunehmender Bewusstseinsstörung bis zum Koma
Unbehandelt kann der Zustand innerhalb weniger Tage letal verlaufen.
Spätmanifestierende Formen
Milde oder partielle Enzymdefekte können sich später im Kindes- oder Erwachsenenalter zeigen, z.B. mit:
- Kopfschmerzen, Übelkeit, intermittierendem Erbrechen
- kognitiver Verlangsamung oder Verwirrtheit
- psychiatrischen Auffälligkeiten
- gelegentlich Lebervergrößerung oder leichter Hepatopathie
Zitrullinämie Typ II
Der Typ II (auch "adult-onset citrullinemia") tritt typischerweise im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter auf. Leitsymptome sind:
- akute, wiederkehrende Episoden von Enzephalopathie
- Desorientierung, Reizbarkeit, aggressive Impulse
- in schweren Fällen Koma durch Hyperammonämie
Typisch ist, dass die Symptome oft durch proteinreiche Mahlzeiten oder Alkoholkonsum ausgelöst werden. In Ostasien ist diese Form häufiger, da bestimmte Mutationen im SLC25A13-Gen dort endemisch sind.
Diagnostik
Die Diagnose ergibt sich aus der Kombination klinischer und laborchemischer Befunde. Charakteristisch sind:
- erhöhte Plasmaammoniak-Werte
- erhöhter Citrullin-Spiegel im Plasma (besonders bei Typ I)
- Nachweis des spezifischen Enzymmangels in Fibroblasten oder Hepatozyten
- Molekulargenetische Analyse (mit Nachweis der Mutation im ASS1- oder SLC25A13-Gen)
- Neugeborenenscreening in vielen Ländern mit Citrullin-Bestimmung im Trockenblut
- MRT des Schädels kann zerebrale Ödeme oder unspezifische Demyelinisierungen zeigen
Therapie
Ziel der Behandlung ist die Senkung des Ammoniakspiegels und die Vermeidung hyperammonämischer Krisen.
Akutbehandlung
- Reduktion der Proteinzufuhr
- intravenöse Gabe von Glukose- und Lipid-Infusionen zur katabolen Hemmung
- Gabe von Natriumbenzoat und Natriumphenylbutyrat (Stickstofffänger) zur Umgehung des Harnstoffzyklus
- Bei schwerer Hyperammonämie: Hämodialyse
Langzeittherapie
- Proteinreduzierte Diät mit essenziellen Aminosäuren
- Substitution von Arginin (bei Typ I) oder Citrullin (bei anderen Harnstoffzyklusdefekten)
- regelmäßige Laborkontrollen von Ammoniak und Aminosäuren
Bei Typ II kann in schweren Fällen eine Lebertransplantation kurativ wirken, da das defekte Citrin ausschließlich hepatisch exprimiert wird.
Prognose
Die Prognose hängt von der Früherkennung und der konsequenten Therapie ab. Früh diagnostizierte und adäquat behandelte Kinder können sich normal entwickeln, während unbehandelte Fälle rasch zu neurologischen Dauerschäden oder zum Tod führen können. Die adulte Form (Typ II) zeigt meist einen episodischen Verlauf mit teils reversiblen Enzephalopathien.
Literatur
- Orphanet - Zitrullinämie, zuletzt abgerufen am 22.10.2025
- GeneReviews - Citrullinemia Type I, zuletzt abgerufen am 22.10.2025
- Hayasaka und Numakura, Adult-onset type II citrullinemia: Current insights and therapy, Appl Clin Genet, 2018