Thionamid
Synonyme: Thiamid, Thioharnstoffderivat, (Thyreo-)Peroxidasehemmer
Englisch: thionamide
Definition
Als Thionamide bezeichnet man eine Gruppe von Thyreostatika, deren Wirkung auf einer Hemmung der Thyreoperoxidase beruht.
Vertreter
Mittel der ersten Wahl sind die schwefel-haltigen Imidazolderivate Carbimazol und Thiamazol (Methimazol).
Propylthiouracil wird bei Schwangerschaftshyperthyreose und als Mittel der 2. Wahl bei Unverträglichkeit von Carbimazol und Thiamazol eingesetzt.
Wirkmechanismus
Thionamide wirken als Hemmstoffe der Thyreoperoxidase und verhindern so einerseits die Oxidation von Iodid zu Iod, andererseits auch die Addition von Iod an Tyrosin und die Kopplung von Iodtyrosinen zu Thyreoglobulin. Sie werden deshalb auch als Iodisationshemmer bezeichnet.
Die Hemmung der Peroxidase ist in niedrigen Dosierungen irreversibel. In hohen Dosen werden die Pharmaka aufgrund der höheren Spiegel nicht verwendeten Iods selbst iodiert, wodurch sie das Enzym nur noch reversibel binden können. Der therapeutische Effekt der Pharmaka tritt um etwa 2 bis 3 Wochen verzögert ein, da zunächst noch im Kolloid vorhandenes Thyreoglobulin verwendet werden kann.[1]
Propylthiouracil hemmt zusätzlich die 5'-Deiodase Typ 1 und dadurch die periphere Konversion von T4 zu T3.[1][2]
Zusätzlich wird eine antiimmunogene Wirkung diskutiert.[1]
Pharmakokinetik
Die Substanzen werden oral nahezu vollständig resorbiert. Carbimazol ist ein Prodrug für Thiamazol.
Thionamide reichern sich in den Thyreozyten an. Die Hemmung der Peroxidase dauert daher deutlich länger an, als es die kurzen Plasmahalbwertszeiten (wenige Stunden) der Substanzen vermuten lassen. Die Metabolisierung erfolgt hepatisch, anschließend werden die Metaboliten renal ausgeschieden.
Alle Substanzen sind placenta- und muttermilchgängig.[1]
Indikationen
- Morbus Basedow zur Remissionsüberbrückung (i.d.R. über ein Jahr)
- thyreotoxische Krise (Thiamazol i.v.)
- überbrückend bei Hyperthyreose durch Schilddrüsenadenome (auch vor Radioiodtherapie verwendbar)
- Schwangerschaftshyperthyreose durch HCG (Propylthiouracil)
Bei Zerfallshyperthyreose sind Thionamide wirkungslos, da eine Freisetzung von präformierten Hormonen aus den Follikeln nicht unterbunden werden kann.
Generell sollte nur in Ausnahmefällen eine Dauertherapie erfolgen.
Nebenwirkungen
Mögliche Nebenwirkungen der Thionamide sind:[3][4][5]
- Hypothyreose
- Strumigenität
- Arthralgien, Myalgien (häufig, teils nach Absetzen über Monate persistierend)
- immunologische Reaktionen
- allergische Hautreaktionen mit Exanthem, Urtikaria, Pruritus; sehr selten SJS/TEN
- Agranulozytose (0,3 bis 0,6% der Fälle), auch noch Monate nach Therapiebeginn
- Aplastische Anämie
- Immunthrombozytopenie
- medikamenteninduzierter Lupus erythematodes
- Antiinsulinantikörper-Syndrom mit Hypoglykämie
- Arzneimittelfieber
- Neuritiden, Polyneuropathie
- Nephritis
- pANCA-vermittelte Vaskulitis, Polyarteriitis nodosa
- Haarausfall
- Dysgeusie, Ageusie
- cholestatische Leberschädigung, toxische Hepatitis
Bei Thiamazol und seinem Prodrug Carbimazol finden sich außerdem:
Eine teratogene Wirkung ist nicht abschließend geklärt. Eine fetale Struma und Hypothyreose ist möglich. Bei Notwendigkeit einer Thyreostase in der Schwangerschaft soll am ehesten Propylthiouracil verwendet werden, wobei eine möglichst geringe Dosierung zur Einhaltung der TSH-Zielwerte anzustreben ist.[6][7]
Kontraindikationen
- Überempfindlichkeit gegenüber Thionamiden
- größere, insbesondere retrosternale Struma (allenfalls kurzfristige Anwendung aufgrund Asphyxiegefahr bei Strumigenität)
- frühere unter Thionamiden aufgetretene Pankreatitis, Agranulozytose oder aplastische Anämie
- vorbestehende Cholestase
Wechselwirkungen
Ein Iodmangel verstärkt die Wirkung von Thionamiden, eine Iodsubstitution schwächt die Wirkung ab. Dies wird mit einer verminderten/vermehrten Iodierung der Pharmaka begründet (siehe Pharmakodynamik).[1]
Einzelnachweise
- ↑ 1,0 1,1 1,2 1,3 1,4 Herdegen (Hrsg.), Kurzlehrbuch Pharmakologie und Toxikologie. 5. Auflage. Thieme Verlag Stuttgart, 2024.
- ↑ Hein, Lüllmann, Mohr, Wehling (Hrsg.), Pharmakologie und Toxikologie. 18., vollständig überarbeitete Auflage. Thieme Verlag Stuttgart, 2016.
- ↑ Fachinfo zu Carbimazol auf Fachinfo.de, abgerufen am 21.07.2024.
- ↑ Fachinfo zu Propylthiouracil auf Fachinfo.de, abgerufen am 21.07.2024.
- ↑ Fachinfo zu Thiamazol auf Fachinfo.de, abgerufen am 21.07.2024.
- ↑ Eintrag zu Propylthiouracil auf EmbryoTox, abgerufen am 21.07.2024.
- ↑ Eintrag zur Hyperthyreose auf EmbryoTox, abgerufen am 21.07.2024.
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